Gedämpfter Geist

Der Pflichtzölibat für Pfarrer behindert Gottes Wirken
Die Quellen schweigen über Jesu Sexualität. Und daher kann auch der Bischof von Münster nichts über sie wissen.

Der Zölibat sei „die Lebensform Jesu“, behauptete der römisch-katholische Bischof von Münster, Felix Genn, jüngst bei einer Predigt im Freiburger Münster. Aber woher weiß er das? Höchstwahrscheinlich war Jesus unverheiratet. Aber das taugt nicht als Argument für den Priesterzölibat. Denn der ist ja nicht mit „Ehelosigkeit“ gleichzusetzen, wie das häufig verkürzend geschieht. Das Kirchenrecht der römischen Kirche definiert den Zölibat in Canon 277 vielmehr als „vollkommene und immerwährende Enthaltsamkeit“. Ob Jesus sie praktiziert hat, ist unbekannt. Die Quellen schweigen über seine Sexualität. Und daher kann auch der Bischof von Münster nichts über sie wissen. Nach der Überlieferung des Matthäusevangeliums stellt Jesus fest, dass es „Eunuchen um des Himmelreiches willen“ gibt. Aber anders als die Päpste hat er kein Loblied auf die „Jungfräulichkeit“ gesungen, geschweige sie den Aposteln auferlegt. So dürfte Petrus verheiratet gewesen sein: Drei der vier Evangelien (die synoptischen) berichten die Heilung seiner Schwiegermutter. Der Jünger, der nach römisch-katholischer Lehre der erste Papst war, praktizierte also nicht, was Bischof Genn für „die Lebensform Jesu“ hält. Und wenn der Zölibat wirklich „die Lebensform Jesu“ ist, warum dauerte es so lange, bis die katholische Kirche ihn einführte? Denn, so heißt es auf der Webseite des Bistums Münster lapidar: „1139, auf dem Höhepunkt des Investiturstreits, wurde die Zölibatsverpflichtung zum Kirchengesetz, als das Zweite Laterankonzil Priesterehen für nichtig erklärte.“ Wer den Zölibat zur „Lebensform Jesu“ stilisiert, fällt auch ein Werturteil. Dann hätten sich der Mönch Martin Luther und die Nonne Katharina von Bora einer Abkehr von der „Lebensform Jesu“ schuldig gemacht, als sie heirateten. Aber das entscheidende Kriterium der Nachfolge Jesu ist nicht eine bestimmte „Lebensform“, sondern die Liebe, wie Jesu Rede vom Weltgericht einschärft. Kritiker machen den Pflichtzölibat oft für den Rückgang der Priesteramtskandidaten verantwortlich. Doch dabei geht es nicht allein um Zahlen. Indem die römische Kirche den Zölibat zur Bedingung für das Pfarramt macht, schwächt sie nicht nur die eigenen Ressourcen, sondern behindert auch Gottes Wirken. Sie verhindert, dass Männer, die für den Pfarrberuf geeignet sind, ihrer Berufung folgen können. Aber „den Geist dämpfet nicht“, mahnte schon der Apostel Paulus. Für Protestanten ist der Pflichtzölibat der Pfarrer keine Nebensache. Seine Abschaffung forderte Martin Luther schon 1520 in der Schrift an den christlichen Adel deutscher Nation. Die Zölibatspflicht für Weltpriester unterscheidet bis heute die römisch-katholische Kirche von der evangelischen (der altkatholischen und orthodoxen). Die Reformation hat Geistliche vom Zwang zu „vollkommener und immerwährender Enthaltsamkeit“ befreit. Das sollten Protestanten beim Reformationsjubiläum herausstellen – und zwar um der Ökumene willen. So würde sie die große Mehrheit der römischen Katholiken Westeuropas und Nordamerikas ermutigen, die für die Abschaffung des Pflichtzölibats der Pfarrer sind. Schließlich ist es recht und billig, dass Geistliche wie andere Christen Tisch und Bett mit einem geliebten Menschen teilen dürfen.

Jürgen Wandel

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