Zeit zum Handeln

„Amoris Laetitia“ und die Deutsche Bischofskonferenz
Die katholische Deutsche Bischofskonferenz sollte mutig die Initiative ergreifen und den Spielraum nutzen, den „Amoris Laetitia“ eröffnet.

Manchmal braucht es wenig, um gelobt zu werden. Diesen Eindruck konnte gewinnen, wer die Reaktionen auf das mit Spannung erwartete Papst-Schreiben „Amoris Laetitia“ vernahm. Auch der EKD-Ratsvorsitzende lobte den darin zu findenden „Grundton der Güte und Einfühlsamkeit gegenüber den tatsächlichen Verhältnissen“, den auch evangelische Christen „dankbar mittragen“ könnten. In der Tat beeindruckt das Schreiben von Papst Franziskus durch seinen offenen, einfühlsamen Ton. Möglicherweise höhlt es auf Sicht wirklich „den legalistischen, kasuistischen Geist des Kirchenrechts von innen her aus“, so wie man „ein Haus von innen entkernt und neu baut“, wie der katholische Theologe Wolfgang Beinert der Süddeutschen Zeitung sagte.

Festzuhalten aber bleibt, dass sich die katholische Lehre vorerst nicht ändern wird. Immerhin hat Franziskus in dem Schreiben die Ortskirchen ermutigt, in Ehe- und Familienfragen „in jedem Land oder jeder Region besser inkulturierte Lösungen“ zu suchen, „welche die örtlichen Traditionen und Herausforderungen berücksichtigen“.

Es könnte also die Stunde der katholischen Deutschen Bischofskonferenz schlagen! Sie könnte für die Katholiken in diesem Lande – mutmaßlich von Rom unbehelligt – endlich Reformen verwirklichen, die seit Jahrzehnten dringend anstehen. Zum Beispiel die Zulassung Wiederverheirateter zur Eucharistie, oder am besten gleich die grundsätzliche Abschaffung der Exkommunikation von Geschiedenen. Ganz zu schweigen von einem Feld, wo die katholische Kirche bisher noch überhaupt nichts zustande gebracht hat, nämlich bei der geistlichen Anerkennung homosexueller Partnerschaften.

Zur gleichen Zeit, als „Amoris Laetitia“ veröffentlicht wurde, verabschiedete die Synode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz – kurz EKBO – mit großer Mehrheit, dass es künftig für homosexuelle Paare genauso Traugottesdienste gibt wie für heterosexuelle (siehe Seite 71). Die EKBO ist damit bereits die dritte evangelische Landeskirche nach Hessen-Nassau und dem Rheinland, die Traugottesdienste für gleichgeschlechtliche Paare einführt, und weitere werden sicher bald folgen.

Den meisten Zeitungen war die Berliner Synodalentscheidung vom 8. April – wenn überhaupt – nur eine kurze Meldung wert. Trotzdem dürfen evangelische Christen in diesem Falle auf ihre Kirche stolz sein, denn mit dieser Entscheidung ist sie deutlich näher bei den Menschen als der Papst, und zwar auch bei den Katholiken, denn nach dem Bertelsmann-Religionsmonitor von 2013 sind 70 Prozent der Katholiken in Deutschland dafür, dass Schwule und Lesben heiraten dürfen. Und das Meinungsforschungsinstitut YouGov Deutschland hat im vergangenen Jahr ähnliche Zahlen ermittelt: Danach befürworten 68 Prozent der deutschen Katholiken die Homo-Ehe.

Die katholische Deutsche Bischofskonferenz sollte mutig die Initiative ergreifen und den Spielraum nutzen, den „Amoris Laetitia“ eröffnet, denn die völlig unzeitgemäße Haltung der katholischen Kirche in Fragen von Ehe, Partnerschaft und Familie schadet dem Ansehen der beiden großen Volkskirchen in Deutschland, zwischen denen viele Menschen heute nicht mehr differenzieren können. Insofern wäre ein katholischer Wandel durchaus auch in evangelischem Interesse!

Reinhard Mawick

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