Der Zusammenhalt Europas wird auf immer neue Bewährungsproben gestellt. Nach der Finanzkrise und der noch keineswegs gemeisterten Griechenlandkrise bedeutet die Flüchtlingskrise eine noch komplexere Herausausforderung. Während die Flüchtlinge ihre Hoffnung darauf setzen, die Grenze nach Europa zu überqueren, dafür ihr Leben riskieren und ihren gesamten Besitz einsetzen, ist der Zusammenhalt der Europäischen Union fragiler denn je. Integration ist das Problem auf mehreren Ebenen – zum einen die Integration der Bevölkerungsgruppen mit so genanntem Migrationshintergrund, zum anderen aber auch die Integration der EU-Länder. Das Wachstum des ohnehin zarten Pflänzchens einer europäischen Identität scheint gebremst. Wenngleich Identitäten oft im Durchgang durch Krisen wachsen, gibt es wenig Anhaltspunkte für die Hoffnung, dass dies auch für den europäischen Zusammenhalt und die europäische Identität gelten könnte. Hoffnung ist auch das Thema des Osterfestes, das viele Christen gerade gefeiert haben oder beim Erscheinen dieses Heftes noch feiern. „Christus ist auferstanden“ – die Osterbotschaft ist ihre Hoffnung. Denn sie bildet den Grund für die Hoffnung auf die künftige Auferstehung, wie Paulus in 1 Kor 15 eindringlich erklärt. Und sie ist darin zugleich Hoffnung auf Gottes Reich, in dem Friede, Gerechtigkeit und ungetrübte Gemeinschaft herrschen werden. Die Osterbotschaft eröffnet eine Hoffnung, die in der Vorstellung auf Gottes Friedensreich einerseits klare Umrisse trägt und die andererseits doch undeutlich und geheimnisvoll ist. Sie übersteigt menschliches Vorstellungsvermögen und wirkt im Lichte der Faktizität von Gewalt, Vertreibung, Ungerechtigkeit, Feindseligkeit auf viele utopisch. Und doch sorgt sie gerade so für einen neuen Realitätssinn: „wir haben hier keine bleibende Stadt“ (Hebr 13,14). Soviel ist klar. Nicht hier in unserer Welt oder einem ihrer Kontinente kommt unser Weg zum Ziel. Das Erstaunliche ist: solcher Realitätssinn mündet nicht in Defätismus, sondern macht frei, sich der Not der Menschen zuzuwenden, vor Ort und in kleinen Schritten. Die Flüchtlingskrise ist eine große humanitäre Herausforderung. Um ihre Bewältigung geht es in unzähligen Projekten in Gemeinden und Organisationen. Im Eintreten für die Flüchtlinge geht es den Kirchen nicht darum, sich politisch zu positionieren und sich öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Es geht ihnen darum, die humanitäre Verpflichtung anzunehmen, in Nächstenliebe und Gastfreundschaft – aus der Hoffnung auf Gemeinschaft. Vor einigen Monaten, als noch täglich tausende Flüchtlinge nach Bayern kamen, berichteten in einer Radiosendung verschiedene Hörer in Rosenheim von ihren Erfahrungen in der Flüchtlingsarbeit. Ein Mann, der in seiner Gemeinde regelmäßig Flüchtlinge unterstützt, sagte: „Ich hätte nicht gedacht, wie einfach das ist. Ich kann das nur jedem empfehlen.“ Er wirkte über sich selbst überrascht. Seine Schilderung war ansteckend hoffnungsvoll. Integration kann man nicht einfach verordnen. Sie entsteht und wächst in offenherzigen Begegnungen, die von Hoffnung getragen sind. Es ist wichtig, dass die Kirchen dafür eintreten und christliche Hoffnung ausstrahlen – auch für Europa.
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Friederike Nüssel ist Theologieprofessorin in Heidelberg und Herausgeberin von zeitzeichen.
Friederike Nüssel
Friederike Nüssel
Friederike Nüssel ist Professorin für Systematische Theologie in Heidelberg und Herausgeberin von zeitzeichen.