Der Internationale Frauentag am 8. März – ein wichtiger Aktionstag? In Kirchenkontexten eher nicht. Die Verwurzelung des Frauentages im sozialistischen also oft kirchenfeindlichen Milieu und eine mitunter reflexhafte Skepsis gegenüber feministischen Positionen haben zu seiner Beliebtheit in den evangelischen Kirchen nicht gerade beigetragen. Es gibt den Weltgebetstag der Frauen, der auch Anfang März begangen wird, aber er hat eine andere Tonalität.
An der Gleichgültigkeit dem Internationalen Frauentag gegenüber wird etwas sichtbar, was gerade in Zeiten, in denen so leidenschaftlich um Integration gestritten wird, ebenso banal wie bemerkenswert ist: Es gibt Grundwerte unserer Gesellschaft, die inzwischen so selbstverständlich sind, dass man gefährdet ist zu vergessen, wie hart die Kämpfe um ihre Durchsetzung waren und immer noch sind. Dazu gehört der Artikel 3 des Grundgesetzes, der fordert, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind und dass der Staat die tatsächliche Gleichberechtigung auch durchzusetzen hat. Der Internationale Frauentag unterstützt das Bewusstsein für die Kostbarkeit der Gleichheitsrechte unter den Geschlechtern in unserer Gesellschaft.
Auch in den evangelischen Kirchen bleibt die Durchsetzung dieser Gleichheitsrechte eine Dauerbaustelle. Dass auch erfolgreiche Mütter gute Chefinnen sein können, ist auch heute nicht in allen Arbeitsfeldern der Kirchen angekommen. Aber: Die Stellung der Frau hat sich im 20. und 21. Jahrhundert zum Besseren verändert. Und dieser Prozess, in dem eine Mehrheit in den Kirchen verstanden hat, dass die Gleichstellung der Frauen nicht im Widerspruch zum Evangelischsein steht, kann als Integrationsprozess der Perspektive von Frauen begriffen werden.
Aber es war ein langer Weg von der Wiederentdeckung der Freiheitstraditionen in unserem Glauben hin zu der gesprächsfähigen Haltung, die sich in den Kirchen heute findet. Nicht nur in Frauenfragen. Wir lassen uns herausfordern, wir überprüfen und formulieren unsere Positionen in fortdauernden Gesprächen, in die Argumente aus der Interpretation des Evangeliums genauso eingehen, wie neue Einsichten aus Wissenschaft und Gesellschaft. Wir haben mühsam gelernt, auch in den eigenen Reihen Pluralität als theologisch gerechtfertigt zu begrüßen. Oder zumindest auszuhalten. Kurz: Es ist möglich, im demokratischen Deutschland ein gläubiger Christ zu sein und mit seinem Glauben einen Platz in der Gesellschaft zu finden – auch das ist eine Integrationserfahrung.
Am Internationalen Frauentag und den Haltungen innerhalb der Kirchen zur Gleichberechtigung der Frau lässt sich nachbuchstabieren, dass solche Integrationsprozesse der Freiheit ihre Zeit brauchen. Sie laufen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten ab, oft gegen Widerstände. Ja, Integration verlangt etwas von allen Beteiligten einer Gesellschaft. Aber: Integration von Freiheitsrechten ist möglich. Der Internationale Frauentag regt auch dazu an, unsere eigenen Erfahrungen in den aktuellen Debatten über Integration nicht zu überspringen.
Ulrich Lilie
Ulrich Lilie
Ulrich Lilie (geboren 1957) studierte evangelische Theologie in Bonn, Göttingen und Hamburg. Bis 2011 arbeitete er unter anderem als Krankenhausseelsorger mit dem Zusatzauftrag der Leitung und Seelsorge im Hospiz am Evangelischen Krankenhaus Düsseldorf. 2011 übernahm Lilie den Theologischen Vorstand der Graf-Recke-Stiftung in Düsseldorf. Seit 2014 ist er Präsident der Diakonie Deutschland.