Mit Kreuz und Kalaschnikow

Christliche Milizen in Syrien und im Irak
Mitglieder der Sutoro-Miliz während eines Gottesdienstes in Kamischli im Nordosten Syriens. Foto: dpa/ Valeriy Melnikov
Mitglieder der Sutoro-Miliz während eines Gottesdienstes in Kamischli im Nordosten Syriens. Foto: dpa/ Valeriy Melnikov
Die Bedrohung der Christen im Nahen Osten vor allem durch die Terrororganisation „Islamischer Staat“ hat zur Gründung bewaffneter christlicher Milizen geführt. Sie haben sich trotz gegenteiliger Voten von Kirchenführern vom Grundsatz der Gewaltlosigkeit verabschiedet. Der auf friedensethische Themen spezialisierte Publizist Gerhard Arnold beschreibt die verworrene Lage.

Die Existenz des Christentums im Nahen Osten ist bedroht. Besonders schlimm ist die Lage der Kirchen im Irak. Gegenwärtig dürfte, so sachkundige Schätzungen, die Zahl der noch im Lande lebenden Mitglieder der ältesten Kirchen bei 300?000 liegen. Zu Beginn der Herrschaft des früheren irakischen Diktators Saddam Hussein 1979 sollen es ungefähr eineinhalb Millionen gewesen sein. Saddams Ende 2003 im Gefolge der UN-Intervention und der anschließende Bürgerkrieg im Land brachten die erste schwere Verfolgung für die Christen, verübt von fanatischen sunnitischen Extremisten. Der Siegeszug der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ seit Sommer 2014 verschärfte die Situation weiter. Die Lage der christlichen Flüchtlinge in den Lagern im Kurdengebiet und im Nordosten der Ninive-Ebene ist katastrophal, die Zukunftsperspektive trostlos.

Dabei verstehen die Christen im Irak sich als die älteste, also indigene Bevölkerung des Landes, als Nachfahren der Assyrer, als eine eigene Ethnie, die vielfach die Sprache Jesu, das Aramäische, spricht. In dieser Bedrängnis haben immer mehr aramäische oder assyrische und chaldäische Christen, wie sie sich auch nennen, von dem bisher selbstverständlichen, kirchlichen Grundsatz strikter Gewaltlosigkeit Abstand genommen. Viele akzeptieren die bisher unvorstellbare Alternative Flucht oder Tod nicht. Ihre Heimat verlassen? Nein, dann lieber kämpfen!

Die Pläne hierfür reichen zurück in die Zeit nach dem Sturz Saddam Husseins, als insbesondere die Sarkawi-Gruppe, Vorläufer des jetzigen „Islamischen Staates“, mit beispielloser Brutalität gegen Christen und Schiiten vorging. Die Christen sahen, wie die sehr effektive kurdische Selbstverwaltung in den drei Nordostprovinzen des Irak mit ihren Milizen für Sicherheit sorgte. Das schuf bei den politischen Gruppierungen der Assyrer den Wunsch nach einer regionalen Selbstverwaltung in der Ninive-Ebene und nach einer eigenen Polizei. Die wachsenden Auslandsgemeinden der Chaldoassyrer in den USA und in Europa mit ihrer hervorragenden Vernetzung und mit glänzender politischer Lobbyarbeit unterstützten die Selbstverwaltungspläne mit Nachdruck.

Eigene Polizei

Daraus erwuchs zum Beispiel der aufwändige und hervorragend ausgearbeitete Niniveh Plains Need Assessment Report vom April 2005. Unter Punkt acht der Studie, „Safety and Security“, werden die zehn Städte mit christlicher Mehrheit aufgelistet. Für sie solle es örtliche Polizeikräfte geben, die nicht von den kurdischen Peschmerga gestellt werden, weil diese kein ausreichendes Vertrauen genössen. Karakosch und Bartilla sind zwei der zehn Städte. Drei Jahre später verfügten beide über eigene christliche Sicherheitskräfte. In Karakosch, der damals größten christlichen Stadt des ganzen Irak mit zuletzt etwa 50?000 Bewohnern, wurde von Pfarrer Behnam Geggi das Qaraqosh Protection Committee gegründet, Folge der Terroranschläge gegen Christen seit 2004.

Mitte August 2014, nach der Eroberung von Mossul durch den IS, entstand die assyrische Miliz. Sie rekrutiert sich aus einheimischen Kämpfern, aber auch internationalen Unterstützern, die mit wenigen Waffen die Kurden in ihren vorgeschobenen Verteidigungsstellungen verstärken. Aber sehr knappe finanzielle Ressourcen beschränken Aufwuchs, Ausrüstung und damit ihre Aktionsfähigkeit.

Was sagten die irakischen Bischöfe zu diesem ständigen Wachstum verschiedener christlicher Selbstverteidigungskräfte? Klar und unbeirrt äußert sich dazu der chaldäisch-katholische Patriarch des Irak, Raphael I. Sako, seit Herbst 2014. Er ist der angesehendste Kirchenführer im Irak. Sein Nein zu den christlichen Milizen ist untrennbar verbunden mit der Absage an eine eigene Selbstverwaltungszone in der Ninive-Ebene. Er sieht darin einen unheilvollen politischen Separatismus. Zuletzt hat er sich am 24. März 2016 in Radio Vatikan positioniert: „Viele Leute haben uns geschrieben und gefragt, ob die Kirche diese Milizen unterstützt oder mit ihnen zu tun hat. Nun: Für uns ist das eine Gefahr, eine christliche Miliz aufzustellen. Sie sind nicht gut ausgebildet und ohnehin nicht dazu in der Lage, Mosul oder die Ninive-Ebene zu befreien. Es ist besser, in die irakische oder die kurdische Armee einzutreten. Die Christen sind irakische Bürger und haben das Recht, zur Armee zu gehen, aber nicht, eine eigene Armee zu gründen. Und als Christen sollten wir nicht eine besondere Zielscheibe sein für all den Radikalismus, den es hier gibt. Das ist eine reale Gefahr.“ Der Patriarch tritt seit Jahren konsequent für einen wahrhaft demokratischen und rechtsstaatlichen Irak ein und zwar als Gesamtstaat, mit voller Geltung der Religionsfreiheit und damit gleichen Bürgerrechten für alle Iraker, mit wirksamen Sicherheitskräften, die Schutz für alle bieten.

Hilfe aus USA

Das Nein zu den christlichen Milizen dürfte einen weiteren Grund haben. Die finanziellen Mittel und die Kämpfer auf Zeit kommen auch aus den USA. Ehemalige US-Soldaten, selber christlich-irakischer Herkunft, sind nach Medienberichten als Ausbilder ihrer christlichen Brüder tätig. Das kann den irakischen Bischöfen nicht gefallen, werden sie doch nicht müde, den Westen allgemein und die USA im Besonderen für die katastrophale Lage im Land in Mitverantwortung zu nehmen. Sie haben kein Interesse, bei ihren politischen und religiösen Feinden im Land als verlängerter Arm der US-Politik zu erscheinen.

Eine eigenständige Variante bewaffneter christlicher Selbstbehauptung vertrat hingegen der syrisch-katholische Erzbischof von Mossul, Yoanna Petrus Mouche in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 9. Juli 2015. Er dachte bei Fortdauer der unerträglichen militärischen und humanitären Katastrophenlage an eine komplette Auswanderung all seiner Kirchenmitglieder, damals noch höchstens 50?000, oder aber, nach einer militärischen Intervention der Weltmächte, an eine eigene Schutzzone in der Ninive-Ebene. „Zudem wünsche ich mir eine Bewaffnung unseres Volkes – nur zur Selbstverteidigung. Wir wollen keinen Krieg führen, wir sind ein friedliches Volk. Aber eine schwache Staatsmacht und instabile Verhältnisse haben den IS erst ermöglicht. Sollte uns jemand nach unserer Rückkehr angreifen, wollen wir unser Hab und Gut selbst verteidigen und unser Schicksal nicht mehr in die Hände anderer legen. Niemand von uns möchte aber Unruhe stiften oder in einen Krieg ziehen.“ Die von ihm ins Gespräch gebrachten Selbstverteidigungskräfte wären keine privaten Milizen sondern wohl ein Mittelding zwischen Polizei und Militär.

Man kann diese Zukunftsvorstellung einer Selbstverwaltungsregion mit internationaler Hilfe nur als Ausdruck blanker Verzweiflung verstehen, weit entfernt von jeglicher politischen Realisierungs-chance.

Die dramatische Lage der Menschen in Syrien, Muslime wie Christen, begann erst vor fünf Jahren, im März 2011, als politische Proteste gegen die Herrschaft von Präsident Assad von ihm und seinem Herrschaftssystem mit großer Brutalität niedergeschlagen wurden und zum Bürgerkrieg führten. Anders als im Irak, wo seit 2005 auf dem Papier eine halbwegs demokratische Verfassungsordnung aufgebaut wurde, herrscht in weiten Gebieten Syriens ein undurchschaubares politisches Chaos bei äußerer Fortgeltung der säkularen Baat-Herrschaft unter Führung Assads. Christen und einzelne Gemeinden, die ganz unterschiedlichen nahöstlichen Kirchen angehörten, ergriffen in den politischen Auseinandersetzungen im Land auch Partei gegen Staatschef Assad, weil sie dessen tyrannische und zunehmend verbrecherische Gewaltpolitik ablehnten. Sie schlossen sich den anfangs gemäßigten Oppositionskräften an, wie sie im Westen genannt wurden, also auch der „Freien Syrischen Armee“. Dieser Schritt führte innerhalb der syrischen Kirchen zu erheblichen Kontroversen und in den zivilgesellschaftlichen Kreisen syrischer Christen zu teilweise scharfer Kritik an den eigenen Bischöfen und Patriarchen. Die Gründung kleiner christlicher Milizen, die in oppositionellen, aber auch in Pro-Assad-Verbänden kämpften, zeigt die politische Zerrissenheit der christlichen Gemeinschaften. Praktisch alle Würdenträger, die sich öffentlich zu den Schicksalsfragen ihres Landes bisher geäußert haben, lehnen einen Aufstand gegen Präsident Assad ab, weil er bisher als zuverlässiger Garant der Religionsfreiheit in Syrien gilt. „Nach Assad kommt die Herrschaft der religiösen Fanatiker“, so die vorherrschende Meinung der Kirchenführer. Für Überlegungen eines militärischen Widerstands aus den kirchlichen Reihen gegen das herrschende Regime kann bei ihnen logischerweise kein Platz sein. Da wichtige christliche Gebiete im Westen Syriens, wozu auch die Hauptstadt Damaskus in Teilen gehört, auf Regierungsgebiet liegen, auch christliche Viertel in Aleppo, besteht dort kein Bedarf an eigenen christlichen Selbstverteidigungskräften. Sie wären auch unklug, weil die Christen damit zu einer Bürgerkriegspartei werden würden, was sie keinesfalls wollen. Für die meisten von Chaos und Gewalt betroffenen syrischen Christen war eine Flucht in sichere Gebiete des eigenen Landes, notfalls auch in den Libanon oder nach Jordanien die näher liegende Alternative als der Griff zur Gewalt.

Kurdisches Vorbild

Dennoch ist es im Nordosten des Landes seit 2012 zum Aufbau einer nennenswerten assyrischen Miliz gekommen, weil dort sehr eigene politische und militärische Rahmenbedingungen herrschen. Die Rede ist vom kurdischen Siedlungsgebiet in der Nordostprovinz Hasakah, an der Grenze zur Türkei und zum Irak. Dort gelang es den Kurden mithilfe ihrer im Juli 2012 gegründeten „Volksverteidigungskräfte“ (YPG), ein eigenes Selbstverwaltungsgebiet gegen die Regierungsherrschaft zu erkämpfen und zu sichern. An der Südgrenze wohnen am Khabourfluss Christen in 34 eigenen Dörfern, aber auch in Städten, insgesamt etwa 200?000 Gläubige. Der Vormarsch der IS-Terrormiliz seit 2013 bedrohte sie und die Kurden gleichermaßen. Kurdische Tapferkeit und Disziplin verhinderten nennenswerte und dauerhafte Geländegewinne des IS. Ihr Vorbild führte aber bei den Christen zu eigenen, den Kurden nachgebildeten Milizen. Sie wollten mit ihnen insbesondere verhindern, dass weiterhin IS-Kämpfer in die christlichen Dörfer vordringen, um Glaubensgenossen zu entführen und gegen Lösegeld freizupressen. In der Stadt Qamischli, direkt an der türkischen Grenze, wurde bereits 2012 die christliche Miliz Sutoro gegründet. Anders als bei den kurdischen Peschmergas in der Ninive-Ebene gibt es für die Christen mit den rein säkularen YPG -Kräften zumeist keine Konkurrenzprobleme. Die Zusammenarbeit mit der kurdischen Democratic Union Party (YPG) soll gut funktionieren. Politisch untersteht die christliche Sutoro-Miliz der Suryoye-Einheitspartei, der politischen Interessenvertretung des assyrischen beziehungsweise aramäischen christlichen Volkes. Beide gehören seit Beginn des Bürgerkriegs zur politischen Opposition gegen die Assad-Herrschaft. Die syrischen Patriarchen lehnen sie deshalb selbstverständlich ab.

Die christlichen Sutoro-Kräfte haben einen polizeilichen und einen militärischen Zweig. Mit ihren kurdischen Partnerverbänden stehen sie auch in harten Kampfeinsätzen, wenn sie Vorstöße der IS-Terrormiliz abwehren müssen.

Seit Herbst 2015 greifen auch christliche Frauen zu den Waffen. Meistens sehr jung und unverheiratet folgen sie dem Vorbild der kurdischen Frauenbataillone und lassen sich von kurdischen Kräften ausbilden.

Die christliche Sutoro-Miliz wird so lange bestehen bleiben, wie die Sicherheitslage es erfordert, solange aus dem Ausland finanzielle Hilfen fließen und die Zusammenarbeit mit der politischen Kurdenorganisation funktioniert. Im Blick auf die Lage in ganz Syrien schützen sie nur einen kleinen Teil der vielleicht noch eine Million Gläubigen im Land. Bei allem persönlichen Engagement der christlichen Milizionäre und ihrem internationalen Unterstützer-Umfeld in Syrien und im Irak: Das Schicksal der christlichen Kirchen in der Region, ihre Zukunft in der christlichen Urheimat, können sie nicht beeinflussen.

Gerhard Arnold

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