In blassem Pink

Wilco: Star Wars
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Das neue Wilco-Album ist eine Kühlschranktür: Magnete, Zettel und dahinter ein sonores Brummen.

Der Griff in die Tür zur Milch erfolgt zwar meist unbewusst, in Haushalten mit Kaffeetrinkern und Jugendlichen aber täglich zigfach. Letztere machen, sobald erst magnetbefestigt Einkaufsliste, Rezepte und Notizen dran hängen, gern auch den Schritt darüber hinaus und erweitern den Kühlschrank: von der funktionalen Vorrats- zur mäandernden Küchenlitfaßsäule.

Ob Magnetsticker oder ein Polizei-Badge, verloren und aufgelesen bei einer Demo, alles kommt drauf. Fotos, Karten, Zeichnungen, Sprüche, Zeitungsausrisse. Ziehen die Heranwachsenden dann aus und das Ensemble bleibt, wird es zum Memento von miterlebter Jugendzeit, zum Speicher von Geschichten und Erlebnissen. Oft übersehen wie beim Griff zur Milch, manchmal jedoch, wenn die Wohnung still ist, plötzlich pure Gegenwart.

Eine ganze Welt auf dem Kühlschrank, und in seinem Brummen klingt alles nach. Lachen, Tränen, Gespräche, Partylärm, Gemüseschneiden, Bratenzischen, ausgeschüttete Herzen, Abschiedsworte - alles da. Das neue Wilco-Album "Star Wars" ist solch ein Kühlschrank, in "Magnetized", dem letzten seiner elf Stücke, sogar explizit: "Orchestrate the shallow pink, pink refrigerator drone" heißt es da im rezitierend charismatischen Singsang von Jeff Tweedy zu sakral verschattetem, leierndem Orgelsound. Dann setzen Chorgesang, Gitarren, Bass, Drums und Piano ein, Schleifen vom Mellotron und Streicher treten hinzu. Typisch für den Stil der Americana-Bandikone, die seit zwanzig Jahren Alben aufnimmt und begeisternd aus Folk, Country, Alternativerock, Velvet Underground und vielen Kreuzversionen schöpft oder diese erst selber schafft. Anlagern, Amalgamieren, dem Sound, dem Spirit vertrauen, der der Melancholie von Mastermind Tweedy dicht auf den Fersen ist. Bilder, Storys, Montagen, Ensembles, die wir hören und spüren wollen. Schichten, die mit jedem Hören dichter herantreten. Vier Wochen lang war diese Musikmalerei zunächst als Gratis-Download zu haben, weil sie das so wollten und es sich leisten können.

In der R. E. M. /Radiohead-Liga sind sie schon lange, und auf die Kauftreue der Fans ist Verlass, seit Wilco 2001 die Rechte für ihr Album "Yankee Hotel Foxtrot" für 50.000 Dollar vom Label, dem das nicht gefiel, zurückkauften, den Deal kündigten, die Aufnahmen umgehend ins Netz stellten - und den Durchbruch schafften. Wilco haben seither den Nimbus von Hartnäckigkeit und eigenem Sound. Experimente wie zuletzt passten gut dazu. Auch "Star Wars" beginnt mit "ekg" - dissonant wie eine "Sonic Youth"-Platte -, aber dann folgen nur Wilco-typische Klänge. Große epische Bögen, repetierende Muster, minutiöse Soundarbeit, Gitarrenschichtung, Steigerung bis an den Rand der Kakophonie, und dann sind es doch Songs ganz à la Wilco mit viel Tiefe, selten Up tempo. Beseligende Melancholie. Und dazu ein Glas Milch - weil der Kühlschrank mal wieder so fesselnd gut zu erzählen beginnt.

Wilco: Star Wars. dBpm/anti-Records/Indigo 2015.

Udo Feist

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