Geheimnis

Über die Bedeutung der Trinität
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Zweifellos präsentiert der Band eine enorme Fülle wertvollen Wissens und theologischer Verknüpfungen.

Selbstbewusst und ambitioniert stellt dieses Buch in Aussicht, die "umfassende Relevanz der christlichen beziehungsweise trinitarischen Gotteslehre für alle Bereiche von Theologie, Kirche, Mensch und Welt" zu erschließen. Es geht um Religionsgeschichte, Fundamentaltheologie, Dogmengeschichte, materiale Dogmatik, Ökumene und den Dialog mit den Religionen, und zugleich soll ein "Kompendium der Dogmatik" vorgelegt werden. Genau darin liegen der Reiz und die Grenzen dieses Buches.

Der Reiz liegt zunächst in dem vom Verfasser aufgegriffenen bemerkenswerten Umstand, dass die Trinitätslehre zwar für das christliche Gottesverständnis als essenziell anzusehen ist, ihr aber zugleich weithin mit Unverständnis oder gar Ablehnung begegnet wird. Dieser tiefgreifenden Verlegenheit stellt das Buch nun die ganze Reichweite religionsgeschichtlicher, philosophischer und theologischer Expositionen des trinitarischen Gotteszugangs entgegen, die überzeugend belegen, wie zentral und zugleich vielfältig sich die Erschließungskraft dieses Themas immer wieder erwiesen hat. Die anschließende Entfaltung der drei Erscheinungsweisen des dreieinigen Gottes, Schöpfer, Versöhner und Vollender, ergibt einen knappen Abriss der Dogmatik, der sich zudem durch die Umsicht ausweist, jeweils auch einen Blick auf die von der Theologie zu führenden Auseinandersetzungen, etwa mit den Naturwissenschaften, der Philosophie und der Religionskritik, zu werfen. Ein wenig überrascht allerdings, wie geschmeidig und unangefochten Matthias Haudel die Theologie durch all die Anfragen und Infragestellungen ihren Weg gehen sieht. Der allzeit zur Verfügung stehende Rekurs auf das zu bewahrende Geheimnis Gottes scheint dabei eine Art Versicherungsargument für die Theologie zu sein, mit dem sie sich gegen die sich von allen Seiten erhebende Forderung nach dem entscheidenden "Offenbarungseid" behauptet. Das zu Recht im Bewusstsein zu haltende bleibende Geheimnis kommt für die Theologie weniger als eine Mahnung zur Wahrung der ihr auferlegten Bescheidenheit in den Blick, als vielmehr als ein flexibel einsetzbares Motiv, das der Theologie immer wieder aus ihrer Verlegenheit hilft. Und so erfahren die Leserinnen und Leser nur wenig über die Probleme, die bestimmte Lösungen mit sich gebracht haben, oder die Brechungen, die ihnen in ihrer Begrenztheit überhaupt erst zu einer nachvollziehbaren Resonanz verholfen haben.

Angesichts des Unverständnisses und der Sprachlosigkeit, die heute verbreitet der Trinität gegenüber herrschen, hätte man sich gewünscht, möglichst klar zu erfahren, welche Probleme die Trinitätslehre zu lösen versucht hat, was mit den Lösungen auf dem Spiel stand und wo auch ihre Grenzen liegen. Der Zugang zur Dogmatik ist heute nur noch offenzuhalten, wenn die Dringlichkeit deutlich wird, warum die erörterten Fragestellungen zu bedenken und auch heute auf irgendeine Weise zu beantworten sind, um das Verständnis des christlichen Glaubens vor dieser oder jener Schräglage zu bewahren. Die schlichte Begegnung mit der beinahe unüberschaubaren Fülle der Tradition und die plakatierte Annoncierung ihrer auch über die Theologie hinausgehenden Reichweite erbringt kaum das erforderliche Problembewusstsein. Der in den Blick genommenen ökumenischen Weite fehlt die kritische Dimension protestantischer Dialektik.

Wenn von einem Lehrbuch erwartet wird, in knapper Form an die klassischen Entdeckungszusammenhänge theologischer Lehre geführt zu werden, so bleiben auch in dieser Hinsicht Fragen offen, weil sich das Buch immer wieder mit Sekundärreferenzen zufrieden gibt. Wenn beispielsweise auf den hermeneutischen Umstand verwiesen wird, dass Gott nur durch Gott erkannt werden könne, wird nicht auf die altkirchliche Hermeneutik und in diesem Fall auf Hilarion verwiesen, sondern auf Walter Kasper, der im Übrigen auch im 20. Jahrhundert nicht der erste war, der an diese Erkenntnisregel erinnert hat.

Zweifellos präsentiert der Band eine enorme Fülle wertvollen Wissens und theologischer Verknüpfungen. Ob es darüber hinaus aber auch zu den nötigen explorativen problemorientierten Erkundungen für die Ausbildung einer eigenständigen theologischen Verantwortung animiert, wird sich zu erweisen haben. Meine Zweifel daran mögen von anderen und vor allem den Studierenden zerstreut werden.

Matthias Haudel: Gotteslehre. Vandenhoeck & Ruprecht, UTB 4292, Göttingen 2015, 333 Seiten, Euro 19,99.

Michael Weinrich

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