Unter Schafen

Starkes Benefizalbum
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"Kein Mensch ist illegal" ist Statement und Hörabenteuer, ob Rap-Diktion oder Gitarren-Talking.

Der Biss aufs seelenlose Klischee schmerzt, auch bei denen, die sich mundvoll Rock’n’Roller nennen. Und es sind Gespräche, die wir führen. Nehmen wir den Bildhauer, Maler, was auch immer. Nicht berühmt, aber auskömmlich arriviert in der Stadt, in der er partiell schillernd lebt, zumindest in seiner Alterskohorte. Mit Ende fünfzig greift er wieder zur Gitarre. Wie früher. Ist in Bands, deren Gigs dank Partnerinnen und nostalgisch mitgealterten Bekannten verlässlich besucht sind. Rolling Stones-Dino Keith Richards gilt als Referenz, musikalisch und als Künstlertyp.

Sensibel, egoman, aber kreativ – und deshalb angeblich berechtigt unterm Anstandsradar – wie man selber, ganz Stereotyp im Bürgerschafspelz. Sprich mit solcherart Späterweckten über Benefizprojekte wie die Doppel-CD „Kein Mensch ist illegal“, und dich springt plötzlich Schärfe an: Das sei doch alles Masche, es gehe immer nur um Frauen und Kohle, in diesem Benefizfall also darum, via Compilation neue Käufer zu finden. So kann man das sehen mit dem Rock’n’Roll. Erzählenswert ist das jedoch nur, weil es psychologisch interessant ist. „Alles Affen“, würde eine Freundin empört dazu sagen, wobei ausgerechnet jene intuitiv wohl mehr Verständnis für derlei Altruismus hätten, wie Primatenforscher Frans de Waal jüngst wieder darlegte.

Aber lassen wir die Bonobos getrost beiseite: „Kein Mensch ist illegal“ mit 36 Tracks ist eine Wucht, bärenstarke Compilation und Leistungsschau von aktuellem Deutsch-Pop/Rock/Rap und mehr zugleich. 100 Prozent der Einnahmen bekommen „Pro Asyl“ und das Netzwerk „Kein Mensch ist illegal“. Ein Sampler, der Position gegen die Abschiebepolitik bezieht und sich mit denen auf der Flucht solidarisiert und flugs zwei Tonträger brauchte, weil so viele bei dem Projekt von „Unter*Schafen Records“ mitmachen wollten. Herbert Grönemeyer und „Die Goldenen Zitronen“ hatten davon gehört und kamen von selbst, auch „Ton Steine Scherben“ sind mit einem Track vertreten.

Ansonsten nur neueste Ware: Durchstartende Newcomer wie AnnenMayKantereit und Trümmer, Etablierte wie Farin Urlaub von den Ärzten, Deichkind, Jan Delay, Frittenbude, Thees Uhlmann und Tocotronic mit „Prolog“ vom frischen „Roten Album“. Dazu viele aufrechte (Punk-)Rocker von Kraftklub, k.i.z., Love A und Madsen bis zu den Boxhamsters sowie viele, viele Entdeckungen. OK Kid („Stadt ohne Meer“) mischen Indierock und Rap-Flow, Marcus Wiebusch von Kettcar konstatiert wortstark „Jede Zeit hat ihre Pest“, Marteria zeigen eine „Welt der Wunder“ und Fiva sagt „Das Beste ist noch nicht vorbei“.

„Kein Mensch ist illegal“ ist Statement und Hörabenteuer, ob Rap-Diktion oder Gitarren-Talking. Ein toll kompiliertes Album, dessen Grundbeat Love A formulieren: „Nur wenn jemand mal aufgestanden ist, darf er sich setzen – darum bleiben hier so viele Stühle leer.“ Affengeiles Album, absolut State of the Art, Bonobo-sympathisch.

Kein Mensch ist illegal. Doppel-CD, Unter*Schafen Records/Al!ve-AG.de 2015.

Udo Feist

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