Politisch brisant

Was hinter der Geschichte der Weisen aus dem Morgenland steckt
Auch Mädchen verkleiden sich um Dreikönig als Kaspar, Melchior und Balthasar, wie hier im Salzburger Land. Foto: dpa/ Franz Pritz
Auch Mädchen verkleiden sich um Dreikönig als Kaspar, Melchior und Balthasar, wie hier im Salzburger Land. Foto: dpa/ Franz Pritz
Die Weisen aus dem Morgenland, die später zu drei Königen gemacht wurden, haben die Phantasie der Menschen und Volksbräuche angeregt. Aber die Geschichte, die das Matthäusevangelium erzählt, ist mehr als ein Märchen aus Tausendundeine Nacht, zeigt Claudia Janssen, die an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel Feministische Theologie und Neues Testament lehrt.

In vielen Weihnachtskrippen werden zu Maria, Josef und dem Kind im Stall auch die Figuren der Heiligen Drei Könige gestellt. Aber ein Blick in die neutestamentlichen Texte zeigt, dass diese Tradition zwei Geschichten verbindet, die ursprünglich nicht zusammengehören. Lukas 2,1-7 erzählt von der Geburt Jesu im Stall einer Herberge und Matthäus 2,1-12 von Menschen aus dem Osten, den Magiern (griechisch: magoi), die ein Stern zum Messias führt.

Anders als Lukas setzt Matthäus voraus, dass Maria und Josef in Bethlehem leben, wo Jesus - vermutlich zuhause - zur Welt kommt. Von dort fliehen sie vor Herodes nach Ägypten und lassen sich dann in Nazareth nieder.

Bethlehem hat in beiden Erzählungen eine besondere Bedeutung. Mit diesem Ort verbinden sich die Erwartungen des Messias, des Befreiers. In Matthäus 2,6 geben die Hohenpriester und Torakundigen, als Herodes sie fragt, wo der Christus geboren werden soll, Worte des alttestamentlichen Propheten Micha wieder: „Und du, Bethlehem im Land Juda, keineswegs bist du die unbedeutendste unter den herrschenden Städten Judas. Denn aus dir wird ein Herrscher hervorgehen, der mein Volk Israel behütet.“

Beide Evangelien erzählen in Form von Legenden die Geburt Jesu. Sie erzählen, was das Kommen des Messias für sie bedeutet und nicht, wie es historisch gewesen ist. Dabei verarbeiten sie mündliche Überlieferungen und verbinden sie mit eigenen Erfahrungen. Sie schreiben ihre eigene Geschichte in die Geschichte des Messias ein.

Wer sind nun die Magier, von denen das Matthäusevangelium erzählt? Was erwarten sie vom neugeborenen König des jüdischen Volkes, wie sie ihn nennen (Vers 2)? Ich beziehe mich auf Ergebnisse der sozialgeschichtlichen und der sich aktuell im internationalen Diskurs entwickelnden imperiumskritischen Bibelauslegung. Diese Ansätze lesen das Neue Testament im Kontext des Römischen Reiches, des Imperium Romanum. Und sie gehen davon aus, dass dies Spuren in den Texten hinterlassen hat. Sie fragen nach Hinweisen auf Widerstand und Strategien der Anpassung, nach versteckten Botschaften und offenem Protest gegen die römische Herrschaft. Die Aktualität der Texte wird so - auf oftmals unerwartete Weise - deutlich.

Das Matthäusevangelium spricht auf zwei Ebenen: vom Leben Jesu und zugleich von der Gegenwart der messianischen Gemeinden, die seine Geschichte aufschreiben. Und zwischen diesen Ebenen liegen etwa fünfzig Jahre. Im jüdischen Krieg, der zwischen 66 und 70 n.Chr. stattfand, kamen Tausenden ums Leben. Und es wurde der Jerusalemer Tempel zerstört. Dieses Geschehen ist möglicherweise gerade ein paar Jahre her, als das Matthäusevangelium - vermutlich im Jahr 80 - aufgeschrieben wird.

Durch den Krieg war es auch zu gravierenden politischen Veränderungen gekommen. Die Repression der Römer hatte nach dem jüdischen Aufstand an Schärfe zugenommen: Überall im Land war das Militär präsent, und die wirtschaftliche Not der Bevölkerung hatte sich verschärft. Das Matthäusevangelium berichtet von Gewalt, Flucht, Krankheiten und Hunger. Es erwähnt auch die Steuer, die Rom nach der Niederlage erhob, den fiscus Judaicus (17,24-27). Und das unterlegene Volk musste auch dem Sieger und seinen Gottheiten Ehre erweisen.

Genau genommen ist die Zeit, in der die Evangelien entstanden sind, eine Zwischenkriegszeit. Der zweite jüdische Aufstand gegen Rom, angeführt von Simon Bar Kochba, fand 132-135 n. Chr. statt. Und gehörten auch diejenigen zu den Aufständischen, die Jesus nachfolgten?

Über das Verhältnis zur römischen Besatzungsmacht wurde in dieser Zeit im jüdischen Volk viel diskutiert. Gefragt wurde: Wie viel Assimilation ist nötig und wie viel Widerstand möglich?

Das Matthäusevangelium wurde vermutlich in Antiochia verfasst, der Hauptstadt der römischen Provinz Syria, die 200.000 (andere Schätzung: 500.000) Einwohner hatte. Sie lag - strategisch günstig - an der Grenze des Römischen Reiches zu Parthien, der konkurrierenden Großmacht im Osten. Drei römische Legionen waren dort stationiert. Sie waren mehrfach in Marsch gesetzt worden, um Aufstände in Galiläa und Judäa niederzuschlagen. „Die meisten Einwohner Antiochias lebten in furchtbaren, beengten Verhältnissen, die sich durch Lärm, Dreck, Elend, Müll, menschliche Ausscheidungen, Tiere, Krankheit, Feuergefahr, Verbrechen, soziale und ethnische Konflikte, Naturkatastrophen auszeichneten… Zu diesen Armen gehörte auch die Gemeinde des Matthäus“, schreibt der amerikanische Neutestamentler Warren Carter. Unterernährung, Mangel- und Infektionskrankheiten waren die Folge der Armut, die Beschaffung des zum Leben Nötigen wurde zur alles bestimmenden Sorge.

Antiochia heißt heute Antakya und liegt in der Türkei, nahe an der syrischen Grenze. Wenn ich mir die Situation der Menschen vorstelle, die dort im ersten Jahrhundert lebten und zu denen wohl auch viele Flüchtlinge gehörten, die vor dem Krieg in Judäa geflohen waren, gehen mir die aktuellen Nachrichtenbilder nicht aus dem Kopf. Heute sind in der Region um Antakya über 400.000 Menschen in Lagern und privat untergebracht, Menschen, die vor Krieg und Not geflohen sind und nun unter sehr schwierigen Bedingungen dort leben. In einer ganz ähnlichen Lage dürften viele von denen gewesen sein, die das Matthäusevangelium verfassten. Was hat sie dazu bewegt, die Geschichte Jesu neu zu erzählen?

Hoffnung auf Gerechtigkeit

Bereits der erste Satz ist programmatisch (1,1): „Buch des Ursprungs Jesu, des Messias, des Nachkommen Davids und Abrahams.“ Das, dass Jesus der Messias des jüdischen Volkes ist, stellt ihn in die Geschichte Gottes mit Israel. So ist „Jesus Christus“ keine harmlose, vermeintlich nur religiöse Aussage. Die Bezeichnung christos, die das hebräische Wort maschiah wiedergibt, hat im ersten Jahrhundert auch einen konkret politischen Klang - zumindest für römische Ohren. Denn damals gab es immer wieder antirömische jüdische Bewegungen, die messianische Ziele hatten. Und auch Jesus war als Aufständischer von Rom getötet worden. „Die Herstellung von Freiheit und Gerechtigkeit für Arme und Unterdrückte sind der Kern der messianischen Hoffnung und der Sinn der grundlegenden und fundamentalen Kennzeichnung Jesu im Neuen Testament als ‚Christus’“, schreibt der Bielefelder Alttestamentler Frank Crüsemann.

Zudem wird Jesus Sohn Davids genannt. Und damit ist die Hoffnung auf gerechtes Regieren in Israel verbunden. Und Messias und Sohn Davids waren Schlüsselbegriffe, die auch den Römern bekannt waren. Dafür gibt es vielfältige Quellen.

Das zweite Kapitel des Matthäus-evangeliums bestätigt die herrschaftskritische Dimension des Kommens des Messias' auf unüberhörbare Weise. Die geheimnisvollen Gestalten aus dem Osten, die den neugeborenen König der Juden suchen, erscheinen zunächst wie Gestalten aus einem Märchen. Doch die Legende erfasst sehr klar die damalige Lage des jüdischen Volkes zwischen den Großreichen Rom und Parthien. Bereits die einleitenden Worte verweisen auf die große Weltpolitik, in die die Erzählung sich einordnet: Sie schildert ein Ereignis „in den Tagen des König Herodes“, der von 40-4 v. Chr. in Israel herrschte. Das Wort König (griechisch: basileus) kommt in dem Text viermal vor, dreimal für Herodes (Vers 1; 3; 9) und einmal für den Neugeborenen, nach dem die Magier fragen (Vers 2). Eine weitere Herrschaftsbezeichnung (griechisch: hegemon) findet sich in dem Zitat aus dem alttestamentlichen Michabuch, das die Hohenpriester und Schriftgelehrten anführen, als sie nach dem Messias gefragt werden.

Die Magier kommen aufgrund einer von ihnen gedeuteten Sternerscheinung nach Jerusalem. „Osten“ war keine neutrale Angabe einer Himmelsrichtung, sondern bezeichnete aus römischer Perspektive das Partherreich, gegen das Rom mehrere Kriege geführt hatte und die meist mit Niederlagen geendet hatten. Auch wenn diplomatische Vereinbarungen und ein Waffenstillstand geschlossen worden war, blieb das Grenzgebiet immer umkämpft: als Einflussbereich und Puffer.

Priester und Politiker

Für die, die direkt im Grenzbereich zu Parthien leben, sind die Magier sofort als Abgesandte der parthischen Regierung zu identifizieren. Magier hatten priesterliche Funktionen inne, Astronomie, Astrologie und andere Wissenschaften gehörten zu ihrem Bereich, aber - sie übernahmen auch staatliche Ämter.

Die Magier wollen Beziehungen zu einem neugeborenen König des jüdischen Volkes aufnehmen und begeben sich nach Jerusalem, wo dessen König loyal römische Interessen vertritt. Ein Blick in die Geschichte lässt die Provokation verstehen, die hier erzählt wird: Pompeius hatte Jerusalem im Jahr 63 v. Chr. erobert. Seit dem Tod der Königin Salome Alexandra im Jahr 67 v. Chr. gab es Streit um die Nachfolge zwischen ihren Söhnen Hyrkanus und Aristobul. Pompeius entschied sich für Hyrkanus und setzte ihn zum Ethnarchen ein. An seiner Seite stand der Idumäer Antipatros als Verwalter. Sein Sohn Herodes unterstützte das römische Heer im Kampf gegen Parthien militärisch und wurde von Rom als verlässlicher Partner geschätzt. Auf der anderen Seite förderten die Parther Antigonos, einen Sohn Aristobuls, und setzten ihn im Jahr 40 v. Chr. als König in Jerusalem ein. Herodes floh daraufhin nach Rom und ließ sich dort zum König von Judäa einsetzen. Zwischen 40 und 37 kam es zwischen Herodes und Antigonos zum Krieg. Er führte zu einer langen Belagerung Jerusalems, der Hinrichtung des Antigonos durch Herodes und einer grausame Säuberungswelle.

Die Magier suchen den König des jüdischen Volkes (basileus ton Judaion). Im Gegensatz dazu wird Herodes nur „König“ genannt. In den Augen der Mehrheit des jüdischen Volkes wäre Antigonos der legitime König gewesen, während Herodes als Handlanger Roms galt. Möglicherweise klingt das auch noch im zweiten Kapitel des Matthäusevangeliums an. Die Magier kommen zunächst nicht direkt zu Herodes. Sie wollen vielmehr den neuen König als Verbündeten gewinnen, ihm Ehre erweisen (das griechische Wort proskynein bedeutet nicht „anbeten“, sondern beschreibt eine diplomatische Geste) und Geschenke bringen. So ist es in der Beziehung zwischen zwei Mächten üblich.

Symbolische Rolle

Auf die Nachricht vom Kommen der Magier reagiert Herodes mit Erschrecken - und mit ihm ganz Jerusalem. Denn das Volk fürchtet einen neuen Krieg. Herodes handelt schnell und lässt alle neugeborenen Kinder töten. Die Magier sind indessen schon wieder in ihr Land zurückgekehrt.

Biblisch-theologisch haben sie eine weitere symbolisch wichtige Rolle: Als Vertreter der nichtjüdischen Völker erweisen sie dem Messias als jüdischem König die Ehre. Die Völker kommen zum Zion, auch das erzählt die Legende. Sie beleuchtet die politischen Machtverhältnisse, die auch nach 70 n. Chr. Bestand hatten. Diejenigen, die das Matthäusevangelium verfassten, haben sehr klar reflektiert, was die Botschaft vom Kommen des Messias in ihrer schwierigen Lage heißt. Wenn sie verkünden, dass sie einen anderen König haben als den von Rom eingesetzten, nehmen sie bewusst Konflikte in Kauf.

„Schon in dieser Erzählung steht die Gewalt des Unrechtsherrschers gegen die so andersartige Macht eines von Gott gesandten Königs, der ein kleines Kind ist.“ So deutete die im vergangenen Jahr gestorbene Kasseler Neutestamentlerin Luise Schottroff die Erzählung. Der Messias ist Teil des Volkes, er bringt Frieden und heilt die Leiden. Er verkörpert die Hoffnung auf die Befreiung und das Anbrechen der gerechten Welt Gottes.

Claudia Janssen

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Foto: Sandra Schildwächter

Claudia Janssen

Dr. Claudia Janssen ist seit 2016 Professorin für Neues Testament und Theologische Geschlechterforschung an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel. Zuvor hat die 55-Jährige unter anderem als Studienleiterin im Studienzentrum der EKD für Genderfragen in Kirche und Theologie und als theologische Referentin der Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland gearbeitet.  Seit 2011 lehrte sie als apl. Professorin an der Universität Marburg.


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