Gott vor Gericht?

Leibniz: Philosoph und Theologe
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Geier erläutert die Finessen der Argumentation von Gottfried Wilhelm Leibniz auf engstem Raum, schon das eine Leistung.

Todestage sind Gedenktage. Denen der Großen wird mit viel Aufwand gedacht, hinsichtlich der halbvergessenen oder der nicht ganz so Großen bleibt zu hoffen, dass ihnen nichts anderes Mediendominantes in die Quere kommt.

Für Gottfried Wilhelm Leibniz sind die Auspizien günstig. Zwar steht zu vermuten, dass er zu den Halbvergessenen zu zählen wäre wie sein akademischer Nachlassgestalter Christian Wolff (1679-1754), wenn Leibniz nicht neben seinen philosophischen Meriten noch bedeutende andere aufzuweisen hätte, vornehmlich auf dem Gebiet der Mathematik.

Manfred Geier hat nun auf ganzen 71 Textseiten des Philosophen Leibniz gedacht. In der Kürze liegt vor aller Würze die Selbstbeschränkung - und ein Konzept, nach dem man dem verehrten Publikum seinen Helden präsentieren will. Um es gleich zu sagen: Geier entledigt sich seiner Aufgabe mit Bravour. Zunächst einmal beschränkt er sich im Wesentlichen auf die theologische Philosophie Leibniz. Er beginnt damit, dass er Leibniz Theodizee in eine Traditionslinie stellt, an deren Anfang Hiob steht. Dieser hatte bekanntlich Gott wegen des ihm zugemessenen und, wie er meinte, unverdienten Unglücks angeklagt, ihn gewissermaßen vor Gericht genötigt. Leibniz habe diesen Prozess wieder aufgenommen, und zwar unter der übergreifenden Frage: Wieso lässt Gott das Übel in der Welt zu? - jedoch keineswegs in der Rolle als Vertreter der Anklage, sondern als „Rechtsbeistand in der ‚Sache Gottes‘“. Nein, Leibniz revoltierte nicht gegen Gott, eher ging er mit einer Art prästabilierter Demut an die Frage heran.

Der Autor beginnt mit einem ebenso knappen wie treffenden Abriss der langen Geschichte jener Frage. Epikur sei der erste gewesen, der das Problem prägnant benannt habe. Die Gnosis aber erst hätte das Problem radikal gelöst, jedenfalls für ihr Verständnis: Diese Welt wurde von einem Demiurgen, einem durch und durch bösen Schöpfer, geschaffen, erst darüber thront der allgütige Gott, zu ihm gelangen die eingeweihten Frommen.

Der frühchristliche Schriftsteller Tertullian dann sah in der Frage der Philosophen nach dem Übel in der Welt eine abschüssige Bahn zum Atheismus, und Augustinus, der sich vom Manichäismus (der den Dualismus zwischen dem Reich der Finsternis und dem des Lichts kannte) abkehrte, hinterließ der Theologie das schwere Erbe, dass da hieß: am Übel in der Welt ist der Mensch selbst schuld. Doch die Frage bekam in der Zeit der Frühaufklärung einen neuen Dreh: Die Philosophen witterten Morgenluft, sie ließen sich immer weniger von den Theologen ihre Denkwege vorschreiben. Geier erläutert die Finessen der Argumentation von Gottfried Wilhelm Leibniz auf engstem Raum, schon das eine Leistung, und er skizziert auch das geistige Umfeld, in dem die Frage der Theodizee ein nachhaltiges Interesse fand - es hielt sich das ganze 18. Jahrhundert über.

Schon in seiner frühen Schrift „Confessio philosophi“ von 1673 lieferte Gottfried Wilhelm Leibniz einen ersten Entwurf seiner späteren Theodizee, in Auseinandersetzung mit Pierre Bayle, der zwar das Problem scharf bezeichnet hatte, aber zu dem frommen Schluss gelangt war, dass die Vernunft des Menschen viel zu schwächlich sei, um je Gottes Vorsehung nachzuvollziehen, ihm bliebe nur der gleichsam blinde Glaube. Damit war der nicht minder fromme Leibniz ganz und gar nicht einverstanden, für ihn war, wie für die späteren Aufklärer, die Vernunft eine Gabe Gottes, die, recht gebraucht, zu der vollen Einsicht führen musste, wieso Gott diese und keine andere Welt geschaffen hat.

Wie Leibniz glaubte, seine selbstgestellte Aufgabe gelöst zu haben, wird von dem Autor brillant zusammengefasst. Manfred Geier geht dann in seinem Kapitel „Das Jahrhundert der Theodizee“ auf das 18. Jahrhundert ein und darauf, wie es mit dem Optimismus Leibnizscher Art aufräumte: Voltaire hatte das ganz Europa erschütternde Erdbeben von Lissabon im Jahr 1755 zu einer spöttischen Abrechnung mit der „besten aller Welten“ genutzt, Immanuel Kant war kühl der Ansicht, dass es sich hierbei um naturgesetzliche Zusammenhänge handelte. Seine Überlegungen gipfelten in seinem Aufsatz „Über das Misslingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee“, der ihm einen schweren Rüffel von Seiten des preußischen Staates eintrug. Der Autor zeigt, dass mit Kant der Gerichtsprozess gegen Gott endete, aus Zweifel an der Verantwortlichkeit des Angeklagten.

Wer einen Kompass durch das unübersichtliche Gelände einer theologisch-philosophischen Frage sucht, die die Denker über zwei Jahrtausende beschäftigt hat, ist mit der Schrift Manfred Geiers bestens bedient.

Helmut Kremers

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