Kompliziertes Knäuel

Die Beurteilung der Homosexualität trennt Kirchen in Nord und Süd
Foto: dpa/ Wolfram Kastl
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Afrikanische Bischöfe reagieren empört, wenn evangelische Kirchen in Europa und Nordamerika Schwule und Lesben ins Pfarramt berufen und gleichgeschlechtliche Paare segnen. Warum das so ist, zeigt Bernd Oberdorfer, Professor für Systematische Theologie an der Universität Augsburg und Mitglied im Deutschen Nationalkomitee des Lutherischen Weltbundes (LWB). Und er skizziert Wege zur Lösung des Konflikts.

Homosexualität ist nicht unafrikanisch, im Unterschied zu Homophobie, „Homosexuality is not unafrican. Homophobia is“: T-Shirts mit diesem Aufdruck sah ich vor einigen Jahren bei einer Demonstration in Kapstadt. Der Satz kehrt gezielt eine Selbstbeschreibung um, der man in afrikanischen Gesellschaften und Kirchen immer wieder begegnet: Gleichgeschlechtliche Liebe sei „unafrikanisch“, widerspreche der „afrikanischen“ Kultur. Und wo es sie doch gibt, sei sie aus dem „liberalen, werterelativistischen“ globalen Norden eingeschleppt.

In der Republik Südafrika verbietet die nach Ende der Apartheid verabschiedete Verfassung die Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung. Und bekannt ist das Wort des anglikanischen Alterzbischofs Desmond Tutu: „I would refuse to go to a homophobic heaven“, ich würde mich weigern, in einen homophoben Himmel zu gehen. Doch beides ist eher die Ausnahme als die Regel. So hat die Synode der Anglikanischen Kirche Südafrikas kürzlich einen Antrag abgelehnt, dass sich schwule und lesbische Paare, die nach südafrikanischem Recht verpartnert sind, im Gottesdienst segnen lassen dürfen.

Natürlich ist das Thema Homosexualität auch in Kirchen des Nordens hoch umstritten. Es ist also nicht einfach so, dass einem progressiven Norden ein konservativer Süden gegenübersteht. Aber dennoch ist der Unterschied unübersehbar: Während in Europa und Nordamerika unterschiedliche Positionen vertreten und diskutiert werden, ist die Ablehnung in Afrika (fast) unisono. Ja, schon das Thema anzusprechen, erscheint als Zumutung.

Und dies führt zu starken Spannungen innerhalb der konfessionellen Weltbünde. Selbst in der römisch-katholischen Kirche, in der eine offizielle Anerkennung Homosexueller ausgeschlossen ist, hat im vergangenen Jahr die von Papst Franziskus einberufene Bischofssynode zu Ehe und Familie massive Differenzen zwischen Nord und Süd offenbart, schon wenn es um Formulierungen ging, Homosexuelle vorsichtig zu würdigen.

Und Ähnliches zeigt sich im Lutherischen Weltbund. Der Rat des lwb initiierte 2007 in Lund einen fünfjährigen Studienprozess zum Thema Familie, Ehe und Sexualität mit Konsultationen in den unterschiedlichen Weltregionen. 2009, also während des Studienprozesses, den manche Kirchen als Moratorium verstanden, öffnete die Schwedische Kirche die kirchliche Trauung für gleichgeschlechtliche Paare. Und die Evangelisch-Lutherische Kirche in Amerika ermöglichte die Ordination von Geistlichen, die zu ihrer Homosexualität stehen.

Dies veranlasste die Bischöfe der Evangelisch-Lutherischen Kirche Tansanias (elct) ein Jahr später zu einer grundsätzlichen Stellungnahme. Diese „Dodomaerklärung“ ist besonders interessant, weil sie auch die kulturellen Differenzen anspricht und sich als eine afrikanische Antwort versteht.

„Abnormales Ereignis“

Die Bischöfe beurteilen die offizielle kirchliche Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Beziehungen, „namentlich in Europa und Amerika“, als schockierendes „abnormales Ereignis“. Damit hätten sich jene Kirchen von der überkommenen Lehre der Kirche abgewendet. Die theologischen Argumente für diesen Schritt werden allesamt verworfen. Die Bibel sei ja darin „präzise, eindeutig und unveränderlich“, „dass es nur eine Ehe zwischen Mann und Frau gibt“. Gewiss sei die Liebe „die Basis für die Beziehung und wirkliche eheliche Einheit“. Aber wenn man Liebe zum alleinigen Kriterium mache, könne man auch nicht mehr „Ehen zwischen Verwandten, Eltern und Kindern und sogar Menschen und Tieren“ ablehnen, „wenn denn ‚Liebe‘ im Spiel ist“.

Zwar sei gesellschaftlicher Wandel unvermeidlich, aber nicht alles wandelbar, ja manches „wird sich niemals ändern“. Und dazu zählen die Bischöfe auch den heterosexuellen Charakter der Ehe: Durch die Akzeptanz der gleichgeschlechtlichen Ehe wird „das Fundament der Heiligen Schrift im Blick auf die Weitergabe von Leben sabotiert“. Deshalb geht die Ehe auch nicht nur die beteiligten Individuen etwas an. Sie steht vielmehr im Generationenzusammenhang der beteiligten Familien. Auch müssen Kirche und Gesellschaft „im vollen Bewusstsein ihrer Verantwortung für die Menschheit“ eingreifen, um zu verhindern, dass jemand etwas tut, „das die humane Würde (humanhood) eines anderen Menschen zerstört“. Und das ist eben bei der gleichgeschlechtlichen Ehe der Fall. Ob sie damit auch ein gesetzliches Verbot und eine strafrechtliche Verfolgung von Homosexualität fordern oder verteidigen, lassen die tansanischen Bischöfe offen.

Sie betonen: Keinesfalls - und hier kommt die interkulturelle Dimension ins Spiel - darf der „kulturelle und gesellschaftliche Wandel“ aus Europa und Amerika in andere Weltregionen exportiert werden. „Wir als Tansanier/Afrikaner haben unsere eigenen, über lange Zeiträume entwickelten Werte und Kulturen, die unsere Lebensführung (lifestyles) geleitet haben und eben nur die Ehe zwischen Mann und Frau akzeptieren.“ Die lutherischen Bischöfe argumentieren also mit einer afrikanischen kulturellen Identität, die nicht von außen in Frage gestellt werden darf und verstehen sich zugleich als Anwälte universaler ethischer Werte, die dem unwandelbaren Wort Gottes entsprechen. Sie sehen sich zur Verantwortung für die Einheit der Kirche gerufen und erheben die „prophetische Stimme“ gegen die „abgeschmackte und skandalöse Angelegenheit“ (tasteless and scandalous subject) der gleichgeschlechtlichen Ehe. Eine weitere Diskussion lehnen sie vehement ab.

Viele der theologischen Argumente, die von den tansanischen Bischöfen vorgebracht werden, sind auch aus der Diskussion in Europa bekannt. Eine besondere Dynamik entsteht aber durch die Umkehrung des Universalismusdiskurses: Während die Europäer üblicherweise mit dem Anspruch auftreten, die allgemeinverbindlichen Werte zu repräsentieren und auszubreiten, die in der europäischen Aufklärung entwickelt wurden, begegnen sie jetzt einer Kritik, die ihnen die Abkehr von diesen allgemeinverbindlichen, kulturübergreifenden Werten vorhält - im Namen einer afrikanischen Kultur, die nach Ansicht der tansanischen Bischöfe mit dem unwandelbaren Wort Gottes und der Schöpfungsordnung konvergiert.

Spiegelbildlich wiederholt sich hier der Streit, der im 19. Jahrhundert über die Vielehe geführt wurde. Damals verboten die europäischen Missionare den christianisierten Afrikanern im Namen der Bibel und der christlich-europäischen Kultur, die in ihrer Kultur tief verwurzelte Tradition der Polygamie weiter zu praktizieren. Das europäisch geprägte Christentum hat die Afrikaner also zu einem gravierenden kulturellen Wandel genötigt. Sie haben sich ihn angeeignet und verteidigen ihn mittlerweile als substanzielles Moment genuin afrikanischer Kultur gegen weitere Versuche, Werte und den europäisch-amerikanischen Wertewandel zu importieren. Die Ablehnung weiterer Diskussion lässt sich sogar im Horizont des postkolonialen Denkens als Verweigerung eines hegemonialen und asymmetrischen Diskurses lesen, der die afrikanische Kultur nicht als eigenständig wahrnimmt.

Auffällig ist freilich, was die „Dodomaerklärung“ der tansanischen Bischöfe nicht anspricht, obwohl es in der Homosexualitätsdiskussion in den Gesellschaften und Kirchen des Nordens eine zentrale Rolle spielt: die Dimension von Gerechtigkeit, Nichtdiskriminierung und Inklusivität. Das ist auch insofern bemerkenswert, als gerade die Kirchen des globalen Südens diese Dimension in den ökumenischen Diskurs gerne einbringen. Ebenfalls keine Rolle spielen auch Verbindlichkeit und Verlässlichkeit in Beziehungen, die in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften ebenfalls gelebt werden können. Der Fokus liegt ausschließlich auf der Verteidigung einer exklusiv heterosexuellen Ehe.

Häufig wird darauf hingewiesen, dass in afrikanischen Kulturen die Gemeinschaftsbindung im Generationenzusammenhang eine zentrale Rolle spiele und Homosexualität daher als Ausdruck eines Individualismus erscheine, der sich der Pflicht zur Gemeinschaftserhaltung durch Weitergabe von Leben entziehe. Das ist sicher richtig. Aber hinzu kommt noch etwas anderes, nämlich der weithin konservative Charakter der Theologie, die die europäischen Missionare im 19. Jahrhundert in Afrika ausbreiteten und kulturell verankerten. Sie vertraten häufig methodische Zugänge, theologische Inhalte und ethische Normen, die in Europa schon problematisch geworden waren. Die Missionare wollten zwar die afrikanische Kultur durch eine „christlich-europäische Zivilisation“ überformen. Aber diese repräsentierte das Ideal eines vor- und antimodernen Europas, das sich von den aktuellen Entwicklungen, wie Industrialisierung, Verstädterung und Verlust der überkommenen Bindungen, distanzierte. Mit anderen Worten: Die Missionstheologie war nicht einfach kulturimperialistisch. Vielmehr wollte sie die afrikanische Kultur durch die Christianisierung so transformieren, dass sie ein gleichsam unverdorbenes Gegenbild zum dekadent gewordenen Europa darstellte. Und so fanden später neuzeitliche Entwicklungen des Bibelverständnisses, die historisch-kritische Auslegung, die längerfristig einen veränderten Blick auf die biblischen Aussagen zur gleichgeschlechtlichen Sexualität ermöglichten, keinen Eingang in das Selbstverständnis und die Deutungskulturen afrikanischer Kirchen.

Die Kontroverse über das Verständnis von Homosexualtät und den Umgang mit Homosexuellen ist also nicht auf eine ethische Spezialfrage beschränkt. Sie rührt vielmehr an theologische Grundlagenprobleme. Eine Verständigung zwischen den Kirchen des Nordens und des Südens kann also nicht allein beim ethischen Problem ansetzen.

Während Afrikas Kirchen die Anerkennung von Homosexualität als Abkehr vom Wort Gottes diagnostizieren, bescheinigen Europäer und Amerikaner ihnen einen unkritischen Biblizismus, der der realen Dynamik der Schriftauslegung nicht gerecht wird und also letztlich auch nicht schriftgemäß ist.

Der Lutherische Weltbund hat daher einen mehrjährigen Studienprozess zu Verständnis und Auslegung der Bibel initiiert, der in diesem Jahr mit dem Dokument „The Bible in the Life of the Lutheran Communion“, Die Bibel im Leben der lutherischen Gemeinschaft, seinen Abschluss fand. Sichtbar wurde dabei, welche pragmatischen und kulturellen Faktoren das Schriftverständnis immer beeinflussen. Der Wortsinn ist also nicht einfach vorhanden, sondern erschließt sich in komplexen Auslegungsprozessen immer wieder neu. Diese Einsicht kann dazu beitragen, die falschen Alternativen, Bibeltreue oder Zeitgeisthörigkeit, Biblizismus oder historisch-kritische Auslegung, zu überwinden.

Längerfristig könnte diese vertrauensbildende Maßnahme den Boden für ein neues Gespräch über das strittige Thema Homosexualität bereiten. Aber kurzfristig scheint dies kaum möglich. Dies hat auch damit zu tun, dass die afrikanischen Kirchen allein durch die Zumutung, über das Thema Homosexualität zu reden, häufig den Eindruck gewinnen, sie würden wieder einmal als diejenigen behandelt, die noch nicht so weit sind und allenfalls mit Nachsicht und Geduld rechnen können, aber nicht mit Verständnis. Mit einem zunehmendem postkolonialen Selbstbewusstsein verweigern sich Afrikas Kirchen einem solchen subtilen Paternalismus. Eine Rolle spielt aber auch, dass das Reden über Sexualität in vielen nichteuropäischen Kulturen weiterhin tabuisiert ist. Erst die Aidsepidemie hat hier - notgedrungen - Veränderungen eingeleitet.

Interkulturelle Sensibilität - sprich: Respekt - ist also geboten. Gleichwohl sollten die Kirchen, die gleichgeschlechtliche Paare trauen und offen homosexuelle Geistliche ordinieren, ihre Position nicht zu defensiv vertreten. Vielmehr sollten sie diese als Konsequenz theologischer Einsichten durchsichtig machen. Aber angesichts dessen, dass Homosexuelle in Europas Kirchen erst seit einigen Jahren akzeptiert werden, verbietet sich jeder Überlegenheitsgestus.

Für die weitere Entwicklung wird viel davon abhängen, ob es gelingt, die Differenzen im Horizont eines übergreifenden Gemeinschaftsbewusstseins auszuhalten und gleichsam einzuhegen. Wer - wie ich - die Entscheidungen der europäischen und amerikanischen Kirchen für sachgemäß und theologisch angemessen hält, hofft, dass - wie nach der Einführung der Frauenordination - die Integration Homosexueller ins kirchliche Leben Erfahrungen ermöglicht, die nach außen ausstrahlen und den Horror vor dem „skandalösen und abstoßenden Thema“, „scandalous and distgusting subject“ lindern. Aber es wäre naiv, würde man meinen, das Knäuel aus theologischen, missionsgeschichtlichen, postkolonialen und kulturellen Faktoren schnell lösen zu können. Wohin sich die Weltchristenheit - nicht nur in dieser Frage - entwickelt, ist offen. Das europäische Paradigma ist längst kein Selbstläufer mehr. Eine lineare Entwicklung ist also kaum zu erwarten.

Bernd Oberdorfer

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