Gehaltvoll

Generation der Kriegskinder
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Große Themen, uralt und stets aktuell: Flucht und Heimat, Schuld und Angst.

Und ich will meinem Volk Israel eine Stätte geben und will es pflanzen, dass es dort wohne und sich nicht mehr ängstigen müsse und die Kinder der Bosheit es nicht mehr bedrängen.“ Mit dem Spruch aus dem alttestamentlichen Samuelbuch weist der Autor Peter H. Gogolin gleich eingangs auf die großen Themen, uralt und stets aktuell: Flucht und Heimat, Schuld und Angst. Es ist vordergründig die Geschichte von Paul, der zur Generation der Kriegskinder gehört, die 1946 einsetzt und uns, durchzogen von vielen Erinnerungen, auf zwei narrativen Zeitebenen in die Achtzigerjahre mitnimmt.

Zwei einsame Kinderseelen finden sich auf dem holsteinischen Gutshof von Pauls Großmutter zu merkwürdigen Spielen. Der Junge schlägt sich die Zeit mit gruseligen Puppenspielen tot, und sein einziger Freund, ein Flüchtlingsjunge, trägt gerne Kleider und weiß Pauls Phantasie mit Zeitreisen zu überflügeln. Sein Tod beim gemeinsamen Spiel im See wird Paul ein Leben lang belasten. Der einzige Vertraute der despotischen, lieblosen Großmutter ist der evangelische Dorfpfarrer, der seltsam bigott wirkt, denn seine Gebete scheinen weder Erlösung zu bringen, noch ihn von seinen Schuldgefühlen zu befreien. Halt in Gott? Mitnichten. Sein Glaube wirkt aufgesetzt, Freund Alkohol scheint schnelleres Heil zu bringen. Ausgerechnet den Pfarrer erwählt die Großmutter jedoch zu Pauls Ziehvater, und es ist nicht verwunderlich, dass eine derart schwammige Gestalt dem Jungen wenig Vorbild sein kann. Pauls Leben bleibt belanglos, nicht einmal die Liebe zu der schroffen Künstlerin Sophia bringt Schwung hinein.

In einem Hamburger Krankenhaus, wo er als Pfleger arbeitet, ringt ein alter Mann mit dem Tod. Diesem ehemaligen Nazi ist Schwäche verhasst, und er versucht, alle Willensstärke aufzubieten, dem Tod zu entgehen. Schreckliche, lang verdrängte Bilder aus seiner Zeit als Aufseher in einem Lager holen ihn ein. Sie sind quälender als körperlicher Schmerz. Zur Demut ist er nicht bereit. Und beide, weder Paul noch er, wissen nicht, dass das Schicksal sie schon einmal zusammengeführt hat. Und beide sind sie voller Schuld und dunkler Geheimnisse. Als ehemaliger Medizinstudent weiß der Autor hier eindringlich zu beschreiben, wie ein Mensch kämpft, der nicht bereit ist, zu sterben. Den Reiz bilden die Fragen: Was ist Lüge, was ist Wahrheit? Was ist Erinnerung, was ist Wunschdenken? Welches Spiel treibt das Gedächtnis mit den Menschen, wie weit reicht Verdrängung? Gehaltvoll.

Angelika Hornig

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