Neue Impulse

Das EKD-Papier „Reformation und Islam“
Muslimas aus dem Nahen Osten in Wittenberg – auf Einladung der ekd, April 2012. Foto: epd/ Rolf Zöllner
Muslimas aus dem Nahen Osten in Wittenberg – auf Einladung der ekd, April 2012. Foto: epd/ Rolf Zöllner
In einem neuen, kompakten Text schildert und korrigiert die EKD die reformatorische Verurteilung der Muslime aus dem 16. Jahrhundert und hofft so, den Dialog mit dem Islam intensivieren zu können.

Der Countdown läuft: Nur noch wenige Monate, dann beginnt das Jahr des großen Reformationsjubiläums. Zeit für letzte historische Flurbereinigungen – diesmal ist es das Thema „Reformation und Islam“, und erschienen ist ein „Impulspapier der Konferenz für Islamfragen der EKD“. Das ist ein Zusammenschluss von Pfarrerinnen und Pfarrern, die sich in besonderer Weise auf den Dialog mit dem Islam spezialisiert haben. Anders als beim Daueraufreger „Luther und die Juden“ sei die Zahl kirchlicher und wissenschaftlicher Publikationen zum Themenkomplex Reformation und Islam „insgesamt überschaubar“, erklärt EKD-Auslandsbischöfin Petra Bosse-Huber in ihrem Vorwort. Jetzt ist die Zahl dieser Publikationen um eine quantitativ durchaus überschaubare reicher geworden, denn das Impulspapier umfasst im engeren Sinne genau 21 Seiten, die in einer guten Stunde zu lesen sind.

Gleich zu Beginn macht der Text deutlich, dass man in Luthers Zeit von einer weltanschaulich neutralen Sichtweise der Religionen, wie sie heute in der modernen Religionswissenschaft gepflegt wird, noch weit entfernt war. Damals war auch noch nicht vom „Islam“ oder von „Muslimen“ die Rede, sondern, wenn man die Anhänger dieser fremden Religion nicht gleich einfach nur als „Heiden“ bezeichnete, sprach man von „Türken“, von „Sarazenen“, von „Mahometisten“ oder „Muselmanen“, von „Heiden“ oder von „Ismaeliten“.

Letzteres weist darauf hin, dass es damals durchaus ein starkes Bewusstsein für die biblische Herkunft der Anhänger des Propheten Mohammeds gab, als Nachkommen von Ismael, dem Sohn, der Abraham nach der biblischen Überlieferung von seiner Magd Hagar geboren wurde (vergleiche 1. Mose Kapitel 16,15f.; 21,8-21 und 25,9). Die Rede von den sogenannten Abrahamitischen Religionen ist also im Kern keinesfalls eine Erfindung der jüngeren Vergangenheit.

Auch in reformatorischen Bekenntnisschriften ist dieses Bewusstsein lebendig: Zum Beispiel im ersten Artikel des Augsburgischen Bekenntnisses von 1530, der das Wesen des dreieinigen Gottes proklamiert. Dort werden „Mohammedaner und alle ähnlichen“ zusammen mit christlichen Häretikern, zum Beispiel den Arianern und den Valentinianern, genannt, um das wahre Bekenntnis gegen das falsche abzugrenzen.

Kampf am Ende der Zeit

Für Martin Luther war die Auseinandersetzung mit dem Islam „ein Kampf um den rechten Glauben am Ende der Zeit“. Denn sie fiel in eine Zeit, in der der osmanische Sultan Suleiman den nördlichen Balkan eroberte und 1529 vor Wien stand. Und so identifiziert Luther das Reich der Türken mit jenem rätselhaften letzten Reich, von dem im Buch Daniel die Rede ist (Daniel 7,24-25). Gott bediene sich der Türken, weil er die Papstkirche strafen wolle, die sich dem rechten Evangelium verweigere. Ja, die türkische Eroberung sei, so Luther in seiner Schrift „Vom Kriege wider die Türken“ von 1529, „lauter Frevel und Räuberei, dadurch Gott die Welt straft, wie er sonst manchmal durch böse Buben auch zuweilen fromme Leute strafet. Denn er (der Türke) streitet nicht aus Not oder um sein Land im Frieden zu schützen, wie es eine ordentliche Obrigkeit tut, sondern er sucht anderer Land zu rauben und zu beschädigen, die ihm doch nichts tun oder getan haben, wie ein Meer Räuber oder Straßenräuber.“ Das harte Urteil des Reformators über „den Türken“ lautet: „Er ist Gottes Rute und des Teufels Diener, das hat keinen Zweifel.“

Einen bemerkenswert anderen Akzent setzt der Genfer Reformator Johannes Calvin: Er lehnt die apokalyptische Sichtweise Luthers ab, der auch reformierte Theologen wie Ulrich Zwingli und Heinrich Bullinger in Zürich anhingen. Die Muslime sind für Calvin zwar Häretiker, weil sie die Göttlichkeit Christi und die Trinität nicht anerkennen, aber anders als bei Luther schwingt bei ihm keinerlei moralische Abwertung mit. In einer Predigt argumentiert Calvin sogar mit dem Barmherzigen Samariter: „Nehmen wir den Fall, wir seien quasi unter den Türken und dass es kein anderes Band gäbe, das uns mit dieser Gemeinschaft verbindet, (…), außer dass wir alle Menschen sind, wovon wir alle überzeugt sind, denn ein Türke ist unser Fleisch. Und unser Herr Jesu zeigt auch klar, dass wir eine Nähe zu denen haben, die uns fremd erscheinen, wie bei der Person, die er uns seitens des Samaritaners vorschlägt.“ Calvins Sichtweise eröffne, so der EKD-Text, durchaus „Perspektiven für einen Dialog und für Toleranz“. Dies bestätigt eine erste islamische Reaktion auf den Text .

Nach diesem ausführlichen Referat der historischen Sichtweisen wird in dem Text ein Zeitsprung vom 16. ins 21. Jahrhundert vollzogen, und unter der Überschrift „Eine neue theologische Verhältnisbestimmung zum Islam“ die heutige Herausforderung in Bezug auf den interreligiösen Dialog mit dem Islam skizziert. Dabei stelle sich zum Beispiel die Aufgabe, wie die im reformatorischen „solus Christus (…) zu Ausdruck gebrachte Exklusivität Jesu Christi in einer religiös pluralen Gesellschaft so bekannt werden kann, dass sie im Dialog nicht als überheblich oder anmaßend wahrgenommen wird.“

Ein wichtiges Thema dieses Dialogs müsse die zentrale Bedeutung sein, „die dem Wort bzw. der Schrift in beiden Religionen“ zukommt, wobei das Papier abschließend die Überzeugung vertritt: „Wir können uns mit Interesse und Offenheit mit den Offenbarungsquellen des Islam auseinandersetzen, ohne Sorge, dabei das Eigene zu verlieren. Ein solcher Dialog eröffnet im Gegenteil die Möglichkeit, den eigenen Glauben zu intensivieren und zu weiten.“

zum Download
Interview mit Harry Harun Behr zum Islam-Papier

Reinhard Mawick

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