Verbotene Lust

Nonnen in Film und TV
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Wie genau nehmen es die Frauen mit Armut, Gehorsam, Keuschheit, wenn im strengen Klosteralltag der Lagerkoller droht? Lebt eine Frau, die sich als Braut selbstlos Christus „hingibt“, nicht doch verbotene Lüste aus?

Nonnen sind keusch. Daran gibt es nichts zu rütteln. Seit Antje Nikola Mönning aus der Erfolgsserie „Um Himmels Willen“ ausstieg und in „Engel mit schmutzigen Flügeln“ (2009) lustvolle Sexszenen drehte, bezeichnet die Boulevardpresse sie gern als „Nackt-Nonne“. So weit geht der vermeintliche Tabubruch, dass Rolle und Darstellerin in eins fallen.

Der zweideutige Buchtitel Himmlische Frauen für Nonnen in Film und Fernsehen passt gut. „Himmlisch“ umfasst sowohl die gottgeweihte Lebensweise als auch die irdischen Seligkeiten, die Ordensfrauen in Filmen wecken. Je nach Kontext erscheint die Nonne sexualisiert oder sexuell neutral. Die alles verhüllende Ordenstracht bietet Schutz, verweist sowohl auf ein soziales Rollenprofil als auch auf eine unkonventionelle Geschlechterrolle und suggeriert eine sittliche Schranke. Tabus bringen die Fantasie besonders in Wallung, Frivoles gehört zum Geschäft wie das Klappern zum Handwerk. Wie genau nehmen es die Frauen mit Armut, Gehorsam, Keuschheit, wenn im strengen Klosteralltag der Lagerkoller droht? Lebt eine Frau, die sich als Braut selbstlos Christus „hingibt“, nicht doch verbotene Lüste aus? Erst recht, wenn sie wie in früherer Zeit unfreiwillig hinter Klostermauern landete (Die Nonne, 1966 und 2013)?

Das Nunsploitation-Genre, das solche Fragen spekulativ ausreizt, ist eines der Themen in diesem Band. Neun Religionswissenschaftler, fünf Frauen und vier Männer, befassen sich ausführlich mit dem medialen Nonnenbild. Das Spektrum reicht von guten und bösen Erzieherinnen bis zu Detektivinnen und Schlagerstars (Dominique – Die singende Nonne, 1966), von Ordensfrauen im Exorzismus-Drama (Ken Russells Die Teufel, 1971) bis zu Nonnen im Musikvideo und in der Werbung.

Spirituelle und karitative Lebensformen – „Geschichte einer Nonne“ (1959), „Thérèse“ (1986) – kommen genauso vor wie Ganoven, die sich auf der Flucht bloß als Nonnen verkleiden. Zur Maskerade gehört auch die musikalische Komödie „Sister Act“ (1992), deren Erfolg 1993 zur unvermeidlichen Fortsetzung führte. Nicht zuletzt betreibt das Fernsehen in Serien wie „Um Himmels Willen“ (seit 2002) oder „Die Nonne und der Kommissar“ (seit 2006) die konsequente Popularisierung einer exotisch anmutenden Existenzform, die sich auch komödiantisch ausschlachten lässt. Nonnen sind wie alle Menschen: mal resolut und lebenstüchtig, mal naiv und scheu. Die Buchbeiträge sind instruktiv, die Filme anschaulich beschrieben und binnenkirchliche Hierarchie-Probleme ebenso bedacht wie historische Einordnungen.

In Details mag man anderer Meinung sein. Rollenklischees und Stereotypen reflektieren nicht immer Vorurteile, sondern können auch positiv ein nützliches Orientierungsmerkmal abbilden. Wenn sich in John Hustons „Der Seemann und die Nonne“ (1957) die Ordensfrau dem Mann fügt, so geschieht dies auch, weil er als Soldat auf einer vom Kriegsgegner frequentierten Insel in Gefahrensituationen die nötige Erfahrung besitzt. Fred Zinnemanns „Geschichte einer Nonne“ zeigt in der Kongo-Mission nicht bloß die „unterwürfig-dankbaren ‚Eingeborenen‘“, sondern realistisch auch die trostlose Leprakolonie und die brutal-verzweifelte Gegenwehr, angestiftet von einem „Zauberdoktor“. Statt „The Sound of Music“ (auf Deutsch Meine Lieder – meine Träume, 1965) hätte man besser das Drama „Agnes – Engel im Feuer“ (1985) genau untersucht, das eine komplexe Diskussion um Glaube, Psychologie und Sexualität anstrengt. Auch wäre Jean Delannoys nur erwähnter Film „La Passion de Bernadette“ (1989) wegen des eingehend thematisierten Ordenslebens eine reizvolle Ergänzung zu „Das Lied von Bernadette“ (1943) gewesen.

Roland Mörchen

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