Der Wahnsinn der Welt

Vor fünfhundert Jahren starb der Maler Hieronymus Bosch
Das „Narrenschiff“ von Bosch stammt aus dem ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts. Normalerweise hängt das Bild im Pariser Louvre. Foto: rmn – Grand Palais – Franck Raux
Das „Narrenschiff“ von Bosch stammt aus dem ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts. Normalerweise hängt das Bild im Pariser Louvre. Foto: rmn – Grand Palais – Franck Raux
Seine Bilder beschreiben eine heillose Welt, über die Christus eher hilflos als segnend die Arme breitet. Sie bleiben bis heute voller Rätsel. Wer sich dennoch an die Entzifferung der Gemälde von Hieronymus Bosch wagen will, hat in diesen Wochen dazu Gelegenheit. Eine aktuelle Ausstellung widmet sich dem Werk des Malers. Der Theologe und Autor Robert M. Zoske hat sie besucht.

Zwar gehören die Närrin oder der Narr zu den veraltenden Begriffen, aber der törichte Mensch stirbt gleichwohl nicht aus. Als 1494 der Doktor der Theologie und Jurisprudenz Sebastian Brant (1457–1521) auf der Grundlage biblischer Tugendlehre sein Narrenschiff in Basel publizierte, waren der Narr und das Narrenwesen hoch aktuell. Verbunden mit den Holzstichen Albrecht Dürers (1471–1528) wurde das Buch – ins Lateinische übersetzt – zu einem Welterfolg. Das moralische Lehrgedicht ist voll beißenden Spottes und geistreicher Ironie. In 112 Kapiteln mit mehr als 7000 Reimpaaren werden menschliche Missbräuche, Schwächen und Verfehlungen karikiert und angeprangert. Für den Dichter waren die Narreteien Zeichen einer verkehrten Geisteshaltung, die den Einzelnen und die ganze Welt ins Verderben führt.

Die Narrenwelt des Hieronymus van Aken (1450–1516), der sich nach seinem Geburtsort „Bosch“ nannte – ist in diesem Jahr nahezu in ihrer Gesamtheit an in einer Ausstellung zu bestaunen: Bis zum 8. Mai im niederländischen 's-Hertogenbosch – wo der Maler auch lebte und starb – und vom 21. Mai bis zum 11. September im Madrider Prado, wo mit der Sammlung Philipp II. von Spanien (1527–1598) die größte Boschsammlung bewahrt wird. Anlass ist der fünfhundertste Todestag des Meisters aus Brabant. Für diese beiden Präsentationen hat eine Forschergruppe erneut alle Werke, die dem Künstler zugeschrieben werden, untersucht. Das führte zu einigen neuen Einstufungen der Originalität der Gemälde. Selbst wenn man großzügig in der Zuschreibung ist, sind weltweit nicht mehr als zwei Dutzend Gemälde und zwanzig Zeichnungen von Bosch bekannt. Doch nicht nur die Ungewissheit über die Echtheit der Werke sorgt für Verwirrung, sondern auch die Versuche ihrer Deutung. Die Bilder werden von Kunsthistorikern psychoanalytisch, sektenkundlich oder ikonographisch interpretiert. Surrealisten, Dadaisten und Psychodeliker bedienten sich ihres Bildkosmos. Theologen sehen Verbindungen zu Atheismus, Alchemie und Astronomie. Bosch fasziniert, irritiert und inspiriert.

Je weniger heutzutage vom biblisch-christlichen Weltbild bekannt ist, desto rätselhafter und skurriler erscheinen die Malwelten. Religiöse Bildung und christliche Ikonographie sind Grundvoraussetzungen zum Verständnis Boschs – sonst bleibt man auf der optischen und interpretatorischen Oberfläche. Die Hauptquellen, durch die sich der Meister anregen ließ, waren die Bibel, die Heiligenlegenden der Legenda Aurea, die Lehre von den Sieben Todsünden und eben Sebastian Brants Narrenschiff. Damit erschließt sich immerhin der moralische Impetus fast aller Bilder.

Höllenspektakel

Es ist aber, als öffneten diese Schlüssel nur den Eintritt in einen großen Raum, in dem ein wunderschöner Renaissanceschrank mit vielen Schubfächern steht. In deren Schlösser passen die großen Schlüssel nicht – zum Glück sind nicht alle Läden verschlossen. Die vier großen Interpretationshilfen erschließen auch nicht das labyrinthische Höllenspektakel, das in Boschs Seele getobt haben muss, damit er seine Jahrhunderte überdauernden Obsessionen auf Papier oder Leinwand bannen konnte.

Doch die Lehre von den Todsünden öffnet immerhin die großen Strukturen in Boschs Werken. Diese Lasterliste ist bis heute aktuell – ein Psychogramm des Menschen: Hochmut, Trägheit, Zorn, Habsucht, Völlerei, Wollust und Neid hat der Künstler überquellend phantastisch und detailreich umgesetzt. Auf vielen Gemälden streitet alle Welt darum, möglichst viele Todsünden exzessiv, scham- und reuelos auszuleben, und dann an den Folgen – dämonisch-sadistisch gequält – zu leiden. Ein Zetern und Schreien, Grunzen und Schmatzen, Stöhnen und Wiehern lärmt aus den Bildern. Man riecht stechenden Qualm und fauliges Wasser, es stinkt nach Fusel und Furz, nach Erbrochenem und Fäkalien. Nähme man das Alles tatsächlich sinnlich wahr, leerte sich das Noordbrabants Museum binnen Kurzem – zu unerträglich wäre die Geräusch- und Geruchsatmosphäre.

Es lebt die Welt in finstrer Nacht

Und tut in Su?nden blind verharren;

Alle Gassen und Straßen sind voll Narren,

Die treiben Torheit an jedem Ort

Und wollen es doch nicht haben Wort.

Hieronymus Boschs Narrenschiff (1500–10, Paris) führt dem Betrachter diese heillose Welt aus Brants Buch vor Augen. Die größten Narren sind – wie fast immer – die Kleriker, Nonnen und Mönche. In eitler Glaubensgewissheit schmettern sie lautstark einen Choral und versuchen gleichzeitig – wie auf einem Kindergeburtstag – gierig in eine herabbaumelnde übergroße Hostie zu beißen. Wie wollüstig es unter der Tischplanke zugeht, symbolisieren die Kirschen zwischen ihnen und der auf eine Stange gestülpte Krug. Eine Glaubensschwester fordert ungestüm Nachschub für ihre Weinkanne, doch der Bewacher der halb im Wasser verborgenen Amphore stellt sich dumm. Die Völlerei führt mit einem Kochlöffel das Ruder, am mittleren Mastbaum weckt ein gerupftes Huhn Heißhunger, in der Krone lugt eine Eule – Symbol spiritueller Umnachtung. Rechts hockt in einem zweiten Mastbaum ein Hofnarr mit Narrenzepter, daneben übergibt sich einer, der sich den Magen zu voll geschlagen hatte. Die ziellos treibende Nussschale ist dennoch so attraktiv, dass ein nackter Schwimmer hinein will und ein anderer um Almosen bettelt. Das Narrenschiff wird ziellos treibend kentern:

Wir fahren um durch jedes Land [...]

Wir suchen nach Hafen und Gestaden

Und fahren um mit großem Schaden

Und können doch nicht treffen an

Das Ufer, wo man landen kann;

All unser Fahren ist ohn Ende,

Denn keiner weiß, wo er anlande.

Nun gibt es nicht nur Narrenschiffe, sondern auch Narrenkarren. Ein solcher ist Boschs Heuwagen (1510–16, Madrid) als Mitteltafel eines Triptychons zwischen Schöpfung und Hölle eingerahmt. Von Dämonen gezogen, prügeln sich Unzählige um das heiß begehrte Stroh, auch wenn sie andere erstechen müssen oder dabei selbst unter die Räder geraten. Königliche und geistliche Würdenträger ziehen hochmütig hinter dem Narrenwagen her, Nonnen versuchen, ihr trockenes Gras anderen aufzuschwatzen. Die Sechs, die es bis auf den Strohgipfel geschafft haben, vergnügen sich bei dämonischer Schalmeibegleitung mit Lied und Lust. Hilfesuchend blickt ein Engel nach oben, wo Christus seine Arme über dieses sinnlose Chaos ausbreitet. Seine Geste wirkt eher ratlos als segensreich. Der Engel ist sowieso der Einzige, der ihn beachtet.

So groß ist jetzt der Narren Zahl;

Ein Teil sucht Fuhrwerk u?berall [...]

Viel Schwätzer beraten das ganze Jahr

In Kirche und in Chor fürwahr,

Wie sie zurichten Schiff und Karren,

Um drin gen Narragon zu fahren.

Gibt es einen Ausweg aus dieser Irrwelt? Bosch bietet ihn mehrfach an, so auf dem geschlossenen Heuwagenaltar. Dort variiert der Künstler eine Darstellung des Einzelnen auf dem Weg zu Gott. Nach rechts gewandt, stapft ein ausgemergelter, stoppelbärtiger und ärmlich gekleideter Mensch auf einem schmalen Pfad auf eine Planke zu, die über einen Bach gelegt ist. Mit seinem Wanderstab hält er einen zähnefletschenden Hund mit Stachelhalsband fern. Er wendet seinen traurigen Blick zurück, wo gerade Räuber jemanden überfallen, im Hintergrund ein übergroßer Galgen errichtet ist und Hirten tanzend ihre Herde vergessen. Diese Darstellung aus dem Prado ähnelt sehr einer Bildtafel Boschs im Rotterdamer Boijmans Van Beuningen Museum. Dort steht im Hintergrund eine heruntergekommene Spelunke, in deren Eingangstür sich ein Pärchen vergnügt und vor der Schweine aus einem Trog fressen. Beide Gemälde wurden jahrhundertelang als eine Darstellung des Gleichnisses Jesu vom Verlorenen Sohn verstanden. In den letzen Jahrzehnten wechselten die Benennungen: Landstreicher, Jedermann, Lebenspilger oder Hausierer. Doch Bosch lebte in einer tiefreligiösen Welt. Seine allegorischen Bilder gestaltete er naheliegend mit Figuren seines Lebensraums. Jedenfalls malte er auf die Rückseite des hochmoralischen Heuwagentriptychons nicht nur einen wandernden Haushaltswarenhändler. Vielleicht würde der Meister heute als Verlorenen Sohn aalglatte Manager, eitle Politiker oder kirchliche Würdenträger im Kollarhemd mit Metallkreuz auf Busen oder Bauch darstellen.

Boschs Antwort auf den massenhaften Wahnsinn der Welt ist der Weg des Einzelnen zu Gott: „Wie eng ist die Pforte und wie schmal der Weg, der zum Leben führt, und wenige sind´s, die ihn finden!“ (Matthäus 7,14) Seinen Namenspatron (Hieronymus im Gebet, 1485–95, Gent) malte er in einer bizarr-bedrohlichen Landschaft. Einsam hingestreckt liegt der Heilige in Kontemplation versunken. Hingebungsvoll, fast liebkosend, umfängt er ein Kruzifix. Auch in seiner berühmten Darstellung des Himmlischen Paradieses (1505–15, Venedig, siehe Seite 54) steigt – zuerst noch engelgeleitet – jede Seele für sich im Lichttunnel empor. Bei Bosch nimmt der Mensch den Kampf mit den Dämonen alleine auf und findet – ohne kirchliche Vermittlung – das Heil frei und selbstbestimmt. Fast schon protestantisch.

Information

Hieronymus Bosch – Visionen eines Genies. Bis zum 8. Mai im Het Noordbrabants Museum in ´s-Hertogenbosch. Vom 31. Mai bis zum 11. September im Prado zu Madrid.

Ausstellungskatalog: Ilsink, Matthijs / Koldeweij, Jos: Visionen eines Genies. Belser Verlag, Stuttgart 2016, Euro 24,99.

Werkverzeichnis: Fischer, Stefan: Hieronymus Bosch, Das vollständige Werk (Taschenverlag, Köln 2013, Euro 99,99, in einer kleineren, sehr empfehlenswerten Version, Köln 2016, Euro 29,99).

Robert M. Zoske

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