High Tech essen Seele auf

Kritische Bemerkungen zur Zukunft der digitalen Revolution
Digitales auf dem Grabmal: QR-Code in einer Ausstellung in Stuttgart. Foto: epd/ Norbert Neetz
Digitales auf dem Grabmal: QR-Code in einer Ausstellung in Stuttgart. Foto: epd/ Norbert Neetz
Gegen die schöne neue Welt der Digitalisierung regt sich zunehmend Widerstand. Der Erlanger Theologe Werner Thiede rät zur Wachsamkeit gegenüber dem "trügerischen Schein der Machbarkeit". Er befürchtet, dass die evangelische Kirche der Cyberwelt bisher zu unkritisch gegenübersteht.

Wenn sich Theologinnen und Theologen näher mit Naturwissenschaft und Technik befassen, geht es meist um weltanschauliche Fragen: Wie lassen sich biblische und moderne Weltbilder aufeinander beziehen? Ist der Schöpferglaube noch intellektuell redlich zu vertreten? Erstaunlich selten hingegen werden Probleme aktueller Weiterentwicklung des technischen Fortschritts theologisch reflektiert. Das gilt auch gegenwärtig - in einer Zeit, in der sich modernste Technologien alles andere als wertneutral erweisen und die "digitale Revolution" sich keineswegs nur auf Technisches beschränkt, sondern in einem immer stärkeren und schnelleren Maße kulturumwandelnd wirkt. Wie lange noch können sich Theologie und Kirche diesen Veränderungen gegenüber eher schweigend oder allenfalls als freundliche Beobachter oder gar als fröhlich-unbedarfte Teilnehmer verhalten?

Im März 2015 titelte "Der Spiegel": "Die Weltregierung. Wie das Silicon Valley unsere Zukunft steuert". In der nächsten Ausgabe gab es ausschließlich zustimmende Leserbriefe; beispielsweise hieß es: "Wenn man das liest, muss man sich den Fortschritt als rasende Rückfahrt in die selbst verschuldete Unmündigkeit vorstellen." Bald darauf schrieb Andrian Kreye in der "Süddeutschen Zeitung" unter der Überschrift "Die Weltretter" über die die Eroberungspläne des Silicon Valley. Diese begnügten sich nicht mit den Ländern dieser Erde: "Nein, es sind neben dem Weltraum und den Meeren jede Minute im Leben des Menschen, jede Zelle sein Körpers, sein Geist und letztlich auch seine Seele zu erobern."

Das entspricht einer Feststellung, die schon Frank Schirrmacher, der 2014 verstorbene Herausgeber der FAZ, in seinem Buch "EGO" (2013) getroffen hatte: Es gehe um die "Manipulation der Seele durch eine Art digitale Alchemie". Spätestens dann aber, wenn die Seele ins Spiel kommt, wird die Rundum-Digitalisierung unserer Welt zu einer Herausforderung für Theologie und Kirche, für Ethik und Seelsorge.

Digitalen Wandel mitgestalten

Die katholische Weltkirche hat das früher erkannt als die reformatorischen Kirchen: Schon seit dem Zweiten Vatikanum zeigt sie sich aufgeschlossen, wenn auch nicht kritiklos gegenüber der technologischen Weiterentwicklung der Sende- und Kommunikationsmittel. Papst Johannes Paul II. machte in seinem Dekret "Redemptio missio" (1990) sowie in seinem letzten Apostolischen Schreiben "Die schnelle Entwicklung" (2005) deutlich, dass die Kirche nicht nur dazu berufen sei, die Medien zur Verbreitung des Evangeliums zu nutzen, "sondern die heilbringende Botschaft heute mehr denn je in die 'neue Kultur' zu integrieren, die die machtvollen Instrumente der Kommunikation schaffen und verbreiten. Sie ist sich bewusst, dass die Nutzung der Techniken und Technologien der Kommunikation unserer Zeit fester Bestandteil ihrer Sendung im dritten Jahrtausend ist." Sein Resümee: "Fürchtet euch nicht vor den neuen Technologien!" Aber er wusste auch schon damals um die Probleme der digitalen Revolution: um Internetsucht, Hackerangriffe, Cybermobbing, Datenklau, Ausspähung und andere Internetkriminalität. Sein Fazit 2005: "Auch die Welt der Medien bedarf der Erlösung durch Christus."

Im November 2014 hat sich die 11. EKD-Synode deutlich positioniert: Im Zeichen ihres Schwerpunktthemas "Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft" hat sie die Parole ausgegeben, die Kirche müsse sich verändern, damit Gemeinschaft auch in virtuellen Räumen gelebt werden könne. Ein Kernsatz der synodalen Verlautbarung lautet: "Als evangelische Kirche gestalten wir den digitalen Wandel mit und vertrauen auch in der digitalen Gesellschaft auf Gottes Begleitung." Doch damit werden zahlreiche Warnungen von Technik-Philosophen, Internetexperten, Medizinern und kundigen Journalisten gegenüber der rasanten Technikentwicklung ignoriert. Die EKD-Synode erweckte vielmehr den Eindruck, als ließe sich die Problematik der digitalen Revolution im Wesentlichen auf die Frage eines hinreichenden Datenschutzes reduzieren. Was der digitale Zugriff auf Mensch und Welt mit den Seelen macht, war offenbar keine theologische Erwägung wert. Längst hat sich herumgesprochen, dass im Zuge der anvisierten "Digitalisierung der Dinge" milliardenfach IP-Adressen vergeben werden sollen: Es geht um ein gigantisches, globales Vernetzungsprojekt. Gewiss, am Ende soll alles auf den Menschen ausgerichtet sein und ihm dienen. Aber was bedeutet das für die Seele des Menschen, der hier förmlich die ganze Welt gewinnt, aber sich selber zu verlieren droht? Wird überhaupt der Mensch die Kontrolle in den Händen behalten, oder werden Künstliche Intelligenzen die Herrschaften übernehmen? Befürchtungen dieser Art hat jüngst der britische Physiker Stephen Hawking geäußert. Die Gefahr, dass die Technik dem Menschen nicht nur dient, sondern dass sie ihn zunehmend beherrscht, zeichnet sich im Zuge der voranschreitenden digitalen Revolution immer deutlicher ab.

Zunächst aber erfährt der Mensch durch High Tech eine ihn bestechende Vergöttlichung. Die magisch anmutenden Fähigkeiten der Smartphones, die narzisstisch aufgeladenen Social Media, die das Leben beschleunigenden und bereichernden, die Welt immer mehr in ein Schlaraffenland verwandelnden Bequemlichkeits- und Sicherheitstechnologien - sie erheben das Cyborg-Subjekt in virtuelle Seligkeitssphären. Je mehr Glückshormone seine digitalen Betätigungen bestätigen, desto kritikloser und gewissenloser wird er in der Anwendung der smarten Geräte und Chips; nach Risiken und Nebenwirkungen fragt er immer weniger. Die Digitalisierung der Kultur wächst sich in der Folge tendenziell zu einem Massenwahn aus.

Philosophen unserer Tage wie Byung-Chul Han, Peter Fischer und Gernot Böhme schütteln darüber schon länger den Kopf; Schriftsteller wie Hans-Magnus Enzensberger, Miriam Meckel und Dave Eggers äußern sich warnend und auch Journalisten wie Götz Hamann, Holger Stark und Stefan Aust diagnostizieren engagiert die Gefahren.

Doch offenbar lässt sich die Entwicklung nicht mehr bremsen: Schon verheißt die digitale Revolution am Ende den Sieg einer technologisch errungenen Unsterblichkeit der Seele. Die sogenannten "Transhumanisten" tendieren zu einer virtuellen Ersatz-Transzendenz. Schon in den Neunzigerjahren hatte der Physikprofessor Frank J. Tipler in seinem Buch "Die Physik der Unsterblichkeit" eine physikalische Theorie zu entfalten versucht, die traditionelle Auferstehungshoffnungen ins Korsett einer digitalisierten Kosmologie zwingt. Gott gilt ihm nicht mehr als der Schöpfer und Vollender des Universums, sondern pantheistisch als das Universum oder ein Teil davon, wie er der Physik im Prinzip zugänglich sein muss. Die "Seele" des Menschen reduziert Tipler demgemäß auf ein "hochkomplexes Computerprogramm". Unsterblichkeit oder Auferstehung komme in ferner Zukunft zustande durch eine von Computern erzeugte exakte Simulation der Originale.

Digitalisierte Unsterblichkeit

Inzwischen verheißt der russische Milliardär Dmitry Itskov digitalisierte Unsterblichkeit. Seiner "Initiative 2045" soll es bis spätestens 2045 gelungen sein, das Bewusstsein in rein elektronischer Form existieren zu lassen. Bereits 2025, also in zehn Jahren, könnten die Gehirne von Menschen, deren Körper kurz vor dem Exitus stehen, in Roboter verpflanzt werden, was ihnen ein "aktives" Leben ermöglichen solle. Um 2035, so Itskov, würden Wissenschaftler fähig sein, das menschliche Gehirn und Bewusstsein auf Computer zu kopieren und somit in Roboter zu verpflanzen, wodurch ein Weiterleben nach dem Tod möglich werde.

Ähnliches verkündet in den USA der Erfinder, Technik-Prophet und Geschäftsmann Ray Kurzweil, den inzwischen der Google-Konzern unter Vertrag genommen hat: Er erhofft den Triumph der künstlichen Intelligenz über die menschliche - mit dem utopischen Ziel, dass die Technik ewiges Leben bringt.

Solche rasanten Zukunftsvisionen ernten allerdings auch reichlich Widerspruch: So bemerkt Reinhold Popp, der Leiter des Zentrums für Zukunftsstudien der Fachhochschule Salzburg, das menschliche Bewusstsein sei ungeheuer komplex - und die Annahme, es könne auf Maschinen übertragen werden, überaus blauäugig. Auch ist sich der Neurologe Todd E. Feinberg, Professor für Klinische Psychatrie und Neurologie am Albert Einstein College in New York, ganz sicher, die Menschheit werde selbst dem fortgeschrittensten Computer niemals Bewusstsein zusprechen.

Theologie und Kirche sind in dieser Hinsicht mit aufgerufen, realutopische Paradiesvorstellungen und illusionäre Unsterblichkeitsphantasien technizistischer Art zu entmythologisieren. Zugleich haben sie allen Anlass, vor einer Art digitaler Ersatzreligion zu warnen. Selbst wenn es allen kritischen Überlegungen zum Trotz technisch irgendwie gelingen sollte, Bewusstsein auf Maschinen zu verpflanzen, würde dies keineswegs Unsterblichkeit oder Auferstehung bedeuten können: Soviel die Physik heute weiß, sind unsere Galaxien definitiv vergänglich - und mit ihnen alle noch so perfekten Maschinen.

Welches Menschenbild liegt der digitalen Realutopie unserer Tage zu Grunde? Welche Ideologie spornt die Posthumanisten an? Schon Frank Schirrmacher stellte fest, dass "Ökonomen den Seelenhaushalt des modernen Menschen zu ihrer Sache gemacht" haben. Das vollziehe sich konsequent auf digitalem Wege: "Im Informationskapitalismus wird der Mensch zur Summe seiner Algorithmen. Deshalb ist es so gewinnbringend, sie zu erfassen, zu analysieren und zu vergleichen." Der Seelenhaushalt des Menschen von heute - keine Angelegenheit mehr von Psychologen oder Seelsorgern, "sondern das Ergebnis eines einfachen, fast geistlosen Prozesses"?

Die Digitalisierung der Seele kommt nicht aus dem Nichts, sondern hat eine Vorgeschichte. Sie beginnt mit dem Jahrhunderte alten Ansinnen, Mensch und Maschine einander ähnlicher zu machen. Ist nicht die Maschine selbst ein Produkt des menschlichen Geistes? Verdankt sich nicht die Technik Ideen und Zielen der menschlichen Seele? Sollte also nicht das Maschinenprodukt in lebendiger Analogie zum "homo technicus" gedacht und umgekehrt der so intelligente Mensch immer mehr als Ebenbild seiner zunehmend perfekten Maschinen aufgefasst und angepeilt werden? Erscheinen Computer digital inspirierten Visionären gar als die "besseren Menschen"?

Zunächst baut die digitale Revolution durchaus auf den Autonomiegedanken der Neuzeit: Der kennt die Freiheit als geistige Eigenschaft des Menschen; der Philosoph René Descartes (1596-1650) hatte sie als "res cogitans" kategorial unterschieden von den "res extensae", den ausgedehnten, materiellen Dingen, zu welchen er übrigens die Tiere zählte, welche er als Automaten auffasste. Seit im weiteren Verlauf der Neuzeit eine materialistische Weltsicht immer mehr an Zuspruch gewann und der Mensch zunehmend in seiner Verwandtschaft mit Tieren betrachtet wurde, lag es nahe, das 1748 von dem französischen Arzt und Philosophen Julien-Offray de Lamettrie vorgelegte Konzept "l'Homme machine" immer ernster zu nehmen. Damit aber wurde die Autonomie des Menschen von einer ontologisch abgehobenen Eigenschaft selber zu einer relativen, ihrerseits verrechenbaren, ja manipulierbaren Größe.

Sich und seine Freiheit weltanschaulich auf das Gebilde einer "mind machine" reduzieren zu lassen, fand der moderne Mensch nicht unbedingt ehrenrührig. Noch herrscht weithin jener trügerische Schein der Machbarkeit, der zukunftsverbessernden Herrschaft des Technik produzierenden Menschen. Aber in Wirklichkeit verliert dieser Mensch zunehmend die Kontrolle, eben weil er sie an herzlose Maschinen delegiert und ihnen eigene Intelligenz, also der Machbarkeit entsprungenen "Geist" zutraut. Indem Theologie und Kirche um Gottes Geist wissen, haben sie heute hinreichend Anlass, die geistlosen Zukunftspläne und Menschenbilder digitaler Revolutionäre entschieden zu hinterfragen.

Gottebenbildlichkeit bleibt der Maßstab des Humanen, nicht etwa eine Maschinenebenbildlichkeit. Deshalb hat der Internetexperte Jaron Lanier Recht: "Wenn wir eine Welt schaffen wollen, die gut ist für den Menschen, dann muss der zunehmenden Gleichsetzung von Menschen und Maschinen entgegengewirkt werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass dem technischen Fortschritt eine Philosophie zugrunde gelegt wird, in der Menschen keine herausgehobene Stellung mehr haben." Digitalisierte Seelen können weder heute noch in Zukunft ein Ideal sein!

Literatur

Werner Thiede: Digitaler Turmbau zu Babel - Der Technikwahn und seine Folgen. oekom verlag, München 2015, 238 Seiten, Euro 19,95.

Werner Thiede

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