Frohe Skepsis
Dieses Buch ist nicht geplant und in sich nicht groß konzipiert, wie der Autor im Vorwort einräumt: "Die einzelnen Teile haben wenig Systematik, und die Themen sind zufällig. Die Texte sind meistens Auftragsarbeiten." Doch das macht rein gar nichts, denn Texte von Fulbert Steffensky zu lesen, ist immer ein Gewinn: Er schreibt schön, und zwar einfach schön, nicht angestrengt-gestelzt schön. Schon im Vorwort findet sich diese besondere Sprachkunst. Darin erzählt Steffensky von einer Tagung: "Wie es bei theologischen Veranstaltungen immer der Fall ist, waren die meisten der Teilnehmenden alt. (...) Sie erzählten, wie ihnen das Leben eingeengt wurde mit den Begriffen Sünde und Schuld, Gehorsam und Gericht.
Des Jammerns war kein Ende. Es waren einige jüngere Menschen in diesem Kreis, die uns Alten mit großmütigem Verständnis zuhörten. Aber ihr Verständnis war begrenzt. Irgendwann war es ihnen genug, und sie erklärten: 'Wir haben andere Probleme'." Und dann kommt ein Satz, der - und das ist die Gabe Steffenskys! - vielschichtig Schillerndes klar auf den Punkt bringt, ohne es abstrahierend zu verwässern: "Ihr kämpft gegen die engen Grenzen. Wir fragen, was uns eigentlich noch begrenzt." Aus diesem Generationenkonflikt zieht der Autor einige Zeilen später die Summe: "Die Anklage fällt ja immer leichter, als die Güte der eigenen Geschichte zu sehen."
In solch kurzer, klarer, resonanzenreicher Sprache, im Stylus Steffenskiensis also, umspielt und bedenkt der mittlerweile 82-jährigeAutor große Themen. Und er liebt den Dialog über alles. Dies gelingt kunstvoll, zum Beispiel in "Zwiesprache I-III", einem Text-Triptychon am Ende des Buches. Schon die Art der Fragen - ein Beispiel: "Warum verziehst du das Gesicht, wenn du das Wort Spiritualität hörst?" - zeigt, dass hier nicht abgehoben spekuliert wird, sondern ein ehrlicher Dialog mit dem gläubigen und fragenden Selbst geführt wird.
Dem mag der Leser nur allzu gerne folgen, weil er spürt, dass hier und in allen anderen Texten des Buches - und sei es bei der zauberhaften Alltagsbeobachtung unter dem Titel "Freundschaft mit einem alten Pullover" - im Grunde genau die Dinge verhandelt werden, die ihn selbst umtreiben.
Unbedingt genannt werden muss noch der mit Abstand längste der 28 Texte des Buches: "Dorothee Sölle - ein Wildfang der Hoffnung". Hier legt der Autor von Wesen und Werk der Theologin und Dichterin Zeugnis ab, mit der er 34 Jahre verheiratet war. Den vielschichtigen, bewegenden Text beschließt Steffensky mit einer "köstliche(n) Formulierung dessen, was wir Gnade nennen" aus dem letzten Vortrag von Dorothee Sölle: "Wir beginnen den Weg zum Glück nicht als Suchende, sondern als schon Gefundene."
Nach der Lektüre dieses Buches bleibt der möglicherweise unbescheidene Wunsch, dass von Fulbert Steffensky, dem großen Weisen und liebevoll-frohen Skeptiker des deutschen Protestantismus, schon bald wieder Textsammlungen veröffentlicht würden, gerne auch mit "wenig Systematik" und "zufällig(en) Themen"...
Fulbert Steffensky: Heimathöhle Religion. Ein Gastrecht für widersprüchliche Gedanken. Radius-Verlag Stuttgart 2015, 160 Seiten, Euro 16,-.
Reinhard Mawick