Lichterfüllt

Geistliches aus Armenien
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Luys i Luso vereinigt Hymnen und Choräle aus der geistlichen Musik seiner Heimat Armenien.

"Luys i Luso" - Licht aus Licht. Schon der Titel des neuen Albums von Tigran Hamasyan verströmt eine Aura des Geheimnisvollen, Transzendenten. Tatsächlich hat sich der Jazzpianist für seine erste Zusammenarbeit mit dem Münchener ECM-Label einen Stoff gesucht, der über das Irdische hinausreicht. Luys i Luso vereinigt Hymnen und Choräle aus der geistlichen Musik seiner Heimat Armenien. Die ältesten Texte reichen zurück ins vierte Jahrhundert, und die jüngsten datieren ins 20. Jahrhundert.

Die Hamasyan-Aufnahme fügt sich ein in eine lange Reihe von ECM-Veröffentlichungen - seit 1979 - mit engem Bezug zu Armenien. Produzent Manfred Eicher hat hier einen reichen Schatz an rhythmischen, harmonischen und melodischen Besonderheiten entdeckt, dazu eine Schar von Ausnahmekünstlerinnen und -künstlern, Kim Kashkashian die Bekannteste darunter, Hamasyan als jüngstes Glied der Kette.

Die ältesten Notenaufzeichnungen stammen aus dem 13. Jahrhundert, davor und auch später noch ist die armenische Musik durch mündliche Überlieferung von Generation zu Generation weitergegeben worden. Eine Besonderheit, die Tigran Hamasyan bei seinen Nachforschungen entdeckt hat, ist die Erkenntnis, dass bereits der Komponist Nerses Shnorhali im Elften Jahrhundert mit Improvisations-Elementen gearbeitet hat. Die Sänger wechselten zwischen freien und festgelegten Passagen, wie erhalten gebliebene Briefe Shnorhalis verraten.

"Für mich war das eine direkte Ermutigung zu einer improvisatorischen Interpretation", sagt Hamasyan. Auf Luys i Luso übernimmt der staatliche Jerewan Kammerchor den fixierten Part, der freilich eher an ein feines, sehr leichtes Tuch erinnert, in das der Pianist improvisierend seine Fäden webt. Dies tut Tigran Hama-syan von den ersten Takten äußerst behutsam. Die Klaviertöne wirken wie einzeln hingetupft, nichts ist zu viel.

Monophone Hymnen, dem gregorianischen Gesang nicht unähnlich, bilden den größten Teil der geistlich-musikalischen Literatur Armeniens. Doch sie klingen rhythmisch und harmonisch facettenreicher als das westliche Pendant. Glissando-Effekte durch Vierteltonwendungen sind hier möglich, dazu Melismen, die in der Gregorianik undenkbar gewesen wären.

Tigran Hamasyan verleugnet seine Jazz-Herkunft nicht, schöpft aber ebenso aus klassischen bis folkloristischen Quellen. Insbesondere der Impressionismus scheint seine Spuren hinterlassen zu haben, auch in der dynamischen Behandlung des Materials. Zarte Schattierungen sind das Gestaltungsmittel, auf überraschende Sprünge wird verzichtet. Mit einem friedvollen Cantus klingt das Album schließlich aus. Lichterfüllt.

Tigran Hamasyan, Klavier; Jerewan Kammerchor; Harutyan Topikyan, Leitung: Luys i Luso. ECM 2447

Ralf Neite

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