Verflochten

Kurzes Hörspiel, große Fragen
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Das Tempo ist hoch, Aufmerksamkeit ist Hörerpflicht, und es gilt, einen gewissen Druck und die stets spürbare Aura der Bedrohung auszuhalten.

Wie jeder gute Kriminalfall führt auch dieser von Ödön von Horváth aufgeschriebene mitten hinein in die menschlichen und gesellschaftlichen Abgründe seiner Zeit. Hier ist es Nazi-Deutschland, aus dem der 1901 in Österreich-Ungarn geborene Schriftsteller 1936 ausgewiesen wurde. Ein Jahr später erschien in Amsterdam "Jugend ohne Gott", die Geschichte des Gymnasiallehrers L., der im steten Konflikt zwischen seinen moralischen Idealen und dem Anpassungsdruck der Nazis lebt, mit Schülern, Eltern und Schulleiter streitet, nach der Wahrheit sucht und dabei Schuld auf sich lädt. Eine eng geflochtene Erzählung also über richtiges und falsches Handeln in einem Unrechtsregime.

Das Hörspiel, 2013 vom WDR produziert und in diesem Frühjahr im Hörbuchverlag erschienen, setzt das akustisch hervorragend um. Unter der Stimme des Ich-Erzählers liegen fast immer atmosphärische Tonspuren, Fetzen aus einer Hitlerrede, ein paar Takte Lili Marleen, ein dunkler Bass, eine kreischende Geige. Dazwischen die Dialogebene, stets mit guten Schauspielern besetzt. Das Tempo ist hoch, Aufmerksamkeit ist Hörerpflicht, und es gilt, einen gewissen Druck und die stets spürbare Aura der Bedrohung auszuhalten. Allerdings nur 53 Minuten lang, denn so manche Passage des Romans fiel der Hörspielbearbeitung zum Opfer. So kommen auch die Reflexionen L.s über den Glauben und die Frage, ob ein gerechter Gott nicht auch ein strafender Gott sein muss, nur in Andeutungen vor. Das ist schade, aber zu verschmerzen, wenn etwa die kurze Hörspielvariante nur ein Einstieg ist in das gemeinsame Nachdenken über große Fragen - gerade auch in der Schule oder im Konfirmationsunterricht.

Ödön von Horváth: Jugend ohne Gott. Der Hörverlag, München 2015, 1 CD, Laufzeit 53 Minuten.

Stephan Kosch

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