Das größte Problem dieses Buches ist eines, das man dem Autoren nicht vorwerfen kann: Sein Gegenstand, das geplante Freihandelsabkommen TTIP, bleibt im Nebel. Die mit Verve vorgebrachte kritische Haltung stützt sich nicht auf konkrete Passagen und Beispiele aus dem Vertragsentwurf. Doch das hat einen einfachen Grund, der Textentwurf ist nicht öffentlich zugänglich, obwohl die Verhandlungen schon weit fortgeschritten sind. Selbst diejenigen, die irgendwann im Europaparlament über ihn entscheiden sollen, dürfen den Text nur in einem Datenraum lesen, aber nicht darüber reden, geschweige denn Kopien machen oder einzelne Seiten mit ihrem Handy fotografieren.
Doch diese mangelnde Transparenz befeuert zurecht den heiligen Zorn der TTIP-Gegner, zu denen Thilo Bode zweifelsohne gehört. Daraus macht der frühere Geschäftsführer von Greenpeace und Gründer der Verbraucherschutzorganisation "Foodwatch" kein Geheimnis, fordert bereits in der Einleitung den Leser unter Verweis auf die bürgerliche Freiheit auf, "Nein" zu TTIP zu sagen. Und in der Tat finden sich auf den folgenden rund 200 Seiten gute Gründe, mit Blick auf die Versprechen der TTIP-Befürworter zumindest sehr skeptisch zu sein. Sehr erhellend sind die Passagen, in denen Bode den unterschiedlichen Prognosen zu den zu erwartenden ökonomischen Vorteilen auf den Grund geht. Das nur im Falle eines sehr weitreichenden Abkommens zu erwartende zusätzliche Wirtschaftswachstum aus einem "Best-Case-Szenario" wird zur vermeintlichen Gewissheit, die eher zurückhaltenden Prognosen einer von der EU-Kommission in Auftrag gegebenen Studie vom europäischen Chefunterhändler weggewischt. Stattdessen kämpfen auch die Befürworter mit hohem moralischem Druck, drohen erneut mit den Fabriken in Fernost, in die unsere Arbeitsplätze verlagert werden, wenn TTIP nicht kommt. So werden einheitliche Autoblinker und Außenspiegel in den USA und Europa zur Frage des wirtschaftlichen Überlebens, wie Bode mit angemessenem Spott beschreibt.
Viel wichtiger sind ihm die Risiken von TTIP, wobei sich Bode eher auf die grundlegenden Mechanismen konzentriert, die mit diesem Abkommen verbunden sind. Die erwähnte mangelnde Transparenz ist einer davon, damit verbunden die Entmachtung oder zumindest Selbstbeschränkung der politischen Entscheidungsträger ein anderer. Weitere sind eine zu befürchtende Aushebelung der Justiz durch Schiedsgerichte, deren Urteile nicht durch die klassischen Gerichtsinstanzen zu revidieren seien, und die grundsätzliche Besdrohung des europäischen Vorsorgeprinzips, bei dem ein Hersteller die Unbedenklichkeit seines Produktes beweisen muss und nicht - wie in den USA offenbar noch immer üblich - Verbraucher oder staatliche Stellen deren Schadhaftigkeit. Das alles hat man schon mal irgendwo in der Debatte gehört oder gelesen, ebenso das Versprechen der an den Verhandlungen Beteiligten, dass alle diese Sorgen unbegründet seien. Doch die Skepsis bleibt und Thilo Bode nährt diese, auch - in einem für einen Lebensmittelexperten überraschend kurzem - Kapitel mit Blick auf die Nahrungsmittelindustrie. Alles ist gut verständlich aufgeschrieben und lustvoll zu lesen. Aber dennoch bleibt man am Ende ein wenig hungrig und wünscht sich mehr Details und konkrete Beispiele aus dem Vertrag, um das eigene Unwohlsein wirklich an etwas festmachen zu können. Diesen Hunger stillt Bode nicht, aber dafür ist nicht er verantwortlich.
Thilo Bode: Die Freihandelslüge. Warum TTIP nur Konzernen nützt - und uns allen schadet. Deutsche Verlagsanstalt, München 2015, 270 Seiten, Euro 14,99.
Stephan Kosch