Universalisten und Populisten

Wachsender Populismus ist eine Antwort auf den missionarischen Eifer von Demokraten
Foto: privat
Manchmal hat auch der Stammtisch recht.

Die Unterscheidung nach Universalisten und Populisten hat die alte Links-Rechts-Achse längst an Bedeutung hinter sich gelassen. Spätestens seit dem Niedergang des Kommunismus gilt es als ausgemacht, dass wir uns über die Aufhebung von Grenzen dem Ziel der Geschichte annähern. Doch über diese großen Visionen ging oft die Sicht auf reale Gefahren verloren. Der global denkende Bill Clinton unterschätzte den Islamismus, George W. Bushs und Tony Blairs Interventionen endeten in den Stammes- und Konfessionskriegen des Orients. Ihr Glaube hatte keine Berge versetzt, sondern diese nur ignoriert.

Außerhalb der westlichen Welt beherrschen nicht Gesellschaften, sondern Gemeinschaften das öffentliche Leben. So genannte Clankulturen organisieren sich nach partikularen Prinzipien und bilden keine nach universellen rechtlichen Prinzipien organisierte Gesellschaft. Die Strukturen der Demokratie richten in Clankulturen mehr Schaden als Nutzen an, treiben Oligarchentum, Stammesfehden, Separatismus und schlimmstenfalls wie etwa heute im Irak heillose Bürgerkriege hervor. Spätestens bei einem Besuch der Vereinigten Arabischen Emirate, gleich hinter dem Irak, wird einem klar, dass die passende Regierungsform einer Clankultur die Monarchie ist, von der man nur hoffen kann, dass der jeweilige Scheich sie - wie im Falle der Emirate - im Sinne einer vergleichsweise guten Gouvernanz ausübt.

Verkitschte Gutmenschenversion

Warum hat aber der ideologisierte Universalismus trotz aller Misserfolge nach wie vor so viele Befürworter? Er ist tief in unseren christlichen und aufklärerischen Genen verankert, die heute oft nur noch in verkitschten Gutmenschenversionen weiterleben. Für Zweifel und Ambivalenz ist in einer säkularisierten Zivilreligion anscheinend weniger Raum als in einer aufgeklärten Religion, die um die Sündhaftigkeit des Menschen und die Grenzen seiner Vernunft weiß.

Im gleichen Maße wie das Christentum von seinem Missionseifer abgelassen hat, scheinen die Demokraten ihren Missionseifer zu erkennen. Um alte Illusionen aufrecht zu erhalten, werden ständig neue Projekte und Begriffe kreiert, die immer auf den Verzicht auf Gegenseitigkeit hinauslaufen. Der Willkommenskultur steht keine Ankommenskultur, dem Recht auf Teilhabe keine Pflicht zur Teilnahme, der Hilfe keine Forderung nach Selbsthilfe zur Seite. Mit dem Verzicht auf Antithesen wird am Ende das Denken selbst eingestellt, plötzlich wird alles "alternativlos".

Der in Europa wachsende Populismus ist eine Antwort auf die Unterdrückung der zur Vorsicht, zu Maß und Grenze mahnenden Skepsis. Es ist kein gutes Zeichen, wenn in einer Demokratie "Volksnähe" zum Schimpfwort wird. Dabei bricht sich ungeniert eine Verachtung der Massen und ihrer Eigeninteressen durch, die irgendwann den selbsternannten Eliten heimgezahlt wird. Die universalistische Empathiefähigkeit endet ausgerechnet vor den Ängsten der Mitbürger.

Mahner integrieren

Aber manchmal hat auch der Stammtisch Recht. Das "Spießergerede" über "goldene Wasserhähne" war ja noch eine Verniedlichung der tatsächlichen Korruptionspraxis in vielen Entwicklungsländern. Auch gegenüber dem Euro haben die "dumpfen Ängste" Recht behalten. Einfache Leute urteilen oft besser über die Grenzen des Möglichen, weil sie weniger in abstrakten und daher vermeintlich universal gültigen Begriffen und dafür mehr in den Bedrängnissen und Grenzen des Alltags denken.

Es wird höchste Zeit, auch Mahner und Warner zu integrieren. Der universalistische Konsens beruht auf einer Koalition zwischen der an grenzenlosen Märkten interessierten Wirtschaft und den an grenzenloser Solidarität interessierten politischen Linken. Konservative, die in realpolitischer Tradition an die Grenzen des Möglichen erinnern, fehlen im Diskurs.

Die Wiederkehr eines für Grenze und Gegenseitigkeit werbenden Konservatismus ist auch außenpolitisch überfällig. Die Einforderung der Demokratie hindert daran, mit nichtdemokratischen Regimen wie Russland und China Koalitionen gegen den Islamismus aufzubauen. Mit den hohen Idealen ist der Sinn für das kleinere Übel dahin gegangen.

Unsere Werte sind universal - für uns. Solange sie nicht auch universal anerkannt werden, geht es um Kompromisse und die richtige Reihenfolge des Vorgehens. Die Demokratie ist das Dach, zuvor muss das Gebäude durch hinreichende Alphabetisierung, Aufklärung, Arbeitsplätze und Rechtsstaatlichkeit aufgebaut worden sein. Angesichts der globalen islamistischen Herausforderung geht es weniger um die Ausbreitung der Demokratie als um die Behauptung der Zivilisation.

Heinz Theisen ist Professor für Politikwissenschaft an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Köln, Fachbereich Sozialwesen.

Heinz Theisen

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