Generation Wittenberg

In der Lutherstadt läuft der Countdown für das Jahr 2017
An der Wittenberger Schlosskirche wird noch gebaut. Foto: Rolf Zöllner
An der Wittenberger Schlosskirche wird noch gebaut. Foto: Rolf Zöllner
2017 soll in Wittenberg ein unvergesslicher Sommer der Reformation stattfinden. Zu feiern sind 500 Jahre Reformation mit Großgottesdienst, Weltausstellung, Konfi-Camp und vielem mehr. Ein Spaziergang durch die Lutherstadt an der Seite der Organisatoren jener Ereignisse, die in zwei Jahren in aller Munde sein sollen.

Weite, unendliche Weite! Alles grünt und blüht. Hartwig "Buddy" Bodmann breitet die Arme aus. Herrlich! So soll es sein an jenem 28. Mai 2017, auf den er hinlebt. Vielleicht noch ein paar Grad wärmer, dann wäre es perfekt. Der 62-Jährige dreht sich um und hebt den Blick: Da, am anderen Elbufer, grüßt die Silhouette von Wittenberg. Bodmann ist einer der beiden Geschäftsführer von "Reformationsjubiläum 2017 e.V.", jenes Vereins, der gemeinsam von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und dem Deutschen Evangelischen Kirchentag (DEKT) gegründet wurde, um die großen Ereignisse, die sich im Sommer 2017 in, um und um Wittenberg herum abspielen sollen.

Foto: Rolf Zöllner
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Wittenberg rüstet sich für den Reformationssommer 2017, und Martin Luther auf dem Markplatz schaut zu.

Bodmann schaut hinüber auf die Stadt am anderen Ufer. Ein überwältigender Eindruck! Noch überwältigender, wenn man die Augen schließt und sich vorstellt, dass hier am 28. Mai 2017 wohlmöglich 300.000 Menschen sind und in einem Großgottesdienst 500 Jahre Reformation feiern, die hier in Wittenberg ihren Ausgang genommen hat.

Das große Rad

300.000 Menschen? Kein Problem, meint Bodmann. Die unendlich große Wiese, die seit Jahrzehnten auf dem Grund eines ehemaligen Flugplatzes wächst - deshalb ist sie so schön ebenmäßig - würde mühelos 800.000 Menschen Platz bieten. Doch wie um alles in der Welt sollen die da alle hinkommen? Solche Fragen können Buddy Bodmann nicht erschüttern. In der Logistik von Großereignissen macht ihm so schnell niemand etwas vor. 24 Jahre war er der für Großorganisationen zuständige Geschäftsführer beim Kirchentag, bevor er vor einem Jahr zum 2017-Verein wechselte, um noch einmal das ganz große Rad zu drehen.

Bodmann hat genau berechnet, wie viele der Großgottesdienstbesucher am 28. Mai 2017 von dieser Elbseite über den Bahnhof Pratau anreisen und wie viele bereits zu nachtschlafender Zeit im steten Zugpendelverkehr von Berlin über den Bahnhof Lutherstadt Wittenberg zugebracht werden, die Areale, wo 2.000 (!) Busse abgestellt werden können, sind ausgeguckt. Jene Busse, die nochmal etwa 100.000 Menschen heranschaffen zu den vielen anderen, die bereits die ganze Nacht betend und singend auf dem großen Feld mit dem Panoramablick auf die Wittenberg-Silhouette verbracht haben, und den Scharen, die von den sieben Kirchentagen "auf dem Weg" hinzugeführt werden. Diese Veranstaltungen sollen 2017 parallel zum "großen" offiziellen Kirchentag in Berlin stattfinden und in dem Großgottesdienst vor den Toren Wittenberg enden. Wahnsinn!

Foto: Rolf Zöllner
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Die Stadtkirche mit dem berühmten Cranach-Altar erstrahlt im neuen Glanz.

Aber regnen sollte es besser nicht, und die Elbe sollte auch, anders als 2002 oder 2013, schön brav in ihrem Bett bleiben, oder? Solche Fragen bringen Buddy Bodmann nur bedingt aus der Ruhe: Klar, wenn es regnet, wird es nicht ganz so schön, aber man wäre drauf eingestellt, und ein Elbe-Hochwasser, naja, das sollte schon lieber nicht sein. Andererseits habe Authentizität auch ihren Preis, meint Bodmann, und zum "Geist des Ortes" gehöre vielleicht auch, dass es nicht so bequem wie möglich sei. Ansonsten: Gottvertrauen! Das hilft immer. Und dann erzählt Bodmann dem andächtig staunenden Gast, dass für den Gottesdienst eine gigantische Tribüne für 15.000 (!) Blechbläser errichtet werden soll. 15.000! Wahnsinn! Es ist, als wenn von Ferne bereits leise die Töne herüberwehten ...

Tore der Freiheit

Doch jetzt heißt es sich loszureißen von diesem paradiesischen Ort. Auf der anderen Elbseite in Wittenberg wartet schon Bodmanns Co-Geschäftsführer Ulrich Schneider. Der 42-Jährige sitzt im Gras mit einem Laptop auf den Knien. Hinter ihm das alte Gefängnis, seit den Siebzigerjahren außer Betrieb und heute leerstehend. Es soll im Reformationssommer 2017 zum Künstlerhaus werden, so Schneiders Vision: "40 Künstler arbeiten über Luther und setzen sich mit Luther auseinander." Dies alles soll in Zusammenarbeit mit der documenta in Kassel geschehen, die 2017 zeitgleich zur Weltausstellung Reformation stattfindet. Etwas zerfallen wirkt es schon, das alte Gefängnis. Egal, so eine Atmosphäre wirkt auf Künstler in der Regel beflügelnd. Das wird toll. "Wollen wir einen Rundgang machen?" - Los geht's! Die "Tore der Freiheit" warten, beziehungsweise die Orte, an denen sie dereinst erstehen sollen.

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So sieht der Plan für die Weltausstellung der Reformation 2017 aus.

Ein paar Schritte vom alten Gefängnis entfernt, nahe der Schlosskirche, zeigt Schneider auf eine Grünfläche: "Hier beginnt der Themenbereich Kultur, wahrscheinlich gibt es auch eine Bühne für größere Veranstaltungen." Die sieben Themenbereiche der Weltausstellung sollen "Tore der Freiheit" heißen, wobei es sich bei den meisten nicht um Tore im Wortsinne handeln wird, erläutert Schneider, sondern um "temporäre Bauwerke". Die Idee, die dahintersteckt: "Martin Luthers Veröffentlichung der 95 Thesen im Herbst 1517 hatte Symbolkraft: Sie stieß die Tore auf, die in die heutige Zeit führen." Ende Juli werden die Gestaltungsideen ausgewählt, für die gerade ein Wettbewerb unter Architekturstudenten veranstaltet wird.

Alles im Fluss

Ulrich Schneider hat als selbstständiger Eventmanager bereits eine Menge Erfahrung gesammelt. Bei den Kirchentagen 2007 in Köln, 2011 in Dresden und beim Ökumenischen Kirchentag in München 2010 war Schneider als Geschäftsführer tätig, und von 2011 bis 2013 saß er für die Grünen im Deutschen Bundestag. Für ihn kommt die Organisation für den Wittenberger Reformationssommer 2017 gerade recht. Es ist ein Projekt, das ihm Spaß macht: anspruchsvoll, einmalig, ausgefallen, und alles ist im Fluss.

Foto: Rolf Zöllner
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Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Vereins "Reformationsjubiläum 2017".

Foto: Rolf Zöllner
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40 Künstler werden im alten Gefängnis während der Weltausstellung der Reformation ihre Sicht auf Luther zeigen.

Weiter geht es entlang der schönen Wallanlagen Wittenbergs: Erstaunlich viel Grün, ein schöner Teich und eine Menge Platz hier! Dem Durchschnittstouristen, der in der Regel an einem Tag die wenige hundert Meter parallel verlaufende Collegienstraße in der historischen Altstadt rauf und runter geht, um das Pensum Lutherhaus, Stadtkirche, Rathausplatz und Schlosskirche zu schaffen, bleibt diese Ansicht zumeist verborgen. Aber im Sommer 2017 wird er Wittenberg ganz neu entdecken, da ist sich Schneider sicher. Hier wird es wimmeln von Aktionen und von Kleinkunst aller Art um die jeweiligen temporären Bauwerke, die Tore der Freiheit.

Wie ein Kranz

An den Bereich Kultur an der Schlosskirche werden sich die Themenbereiche "Globalisierung und Eine Welt", "Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung", "Jugend", "Spiritualität" und "Ökumene/Religion" anschließen. Wie ein Kranz sollen sich diese Aktionsräume mit ihren jeweiligen Toren der Freiheit in den Wallanalagen um die Altstadt legen. Faszinierend! Und dann ist da ja noch der Bahnhof der Lutherstadt, an dem schon heute ICEs auf der Strecke Berlin - Leipzig - München halten. Er liegt etwas außerhalb. Hier soll das erste Tor der Freiheit im Themenbereich "Welcome" liegen. Ein Tor, das im Wortsinne ein Tor ist, da hier die meisten Besucher im Jubiläumsjahr ankommen werden. Wie soll das aussehen? Schneider: "Möglicherweise ein großer Aussichtsturm auf die Stadt!" Mal schauen.

Foto: Rolf Zöllner
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Foto: Rolf Zöllner
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Hartwig Bodmann hat schon alles durchgeplant für den großen Gottesdienst mit 300.000 Menschen.

Die Spaziergänger halten an einem Gebäude mit Gerüst: "Das wird unsere Zentrale!", sagt Buddy Bodmann. Es ist das ehemalige Melanchthon-Gymnasium der Lutherstadt Wittenberg in der Schillerstraße. Es wurde von 1886 bis 1888 gebaut und steht seit zehn Jahren leer, denn die Schule ist in ein neues Gebäude gezogen, das Friedrich Hundertwasser entworfen hat. In diesem eindrucksvollen Repräsentationsbau soll im Sommer 2017 alles zusammenlaufen. Von hier aus wollen Bodmann, Schneider und ihre vielen Helfer die Fäden ziehen. Es ist den 2017-Planern gelungen, die Stadt Wittenberg davon zu überzeugen, ihnen das Gebäude zu überlassen und es nicht bereits - wie ursprünglich geplant - bis 2017 vollständig zu sanieren. Nun wird erstmal nur das nötigste in Sachen räumlicher Infrastruktur und Brandschutz gemacht. Das reicht, denn wie beim alten Gefängnis sind Bodmann und Schneider überzeugt: "Baustellenatmosphäre tut gut!".

Eine Kommunität

Aber wer wird denn alles mitarbeiten beim großen Event? Neben den hauptamtlich Angestellten des Vereins Reformationsjubiläum 2017 - im Mai 2015 waren es bereits 15, jeden Monat kommen mehr und 2017 sollen mindestens 80 Hauptamtliche mitwirken - werden von Herbst 2016 bis Herbst 2017 etwa dreihundert Volunteers, also Ehrenamtliche, mithelfen. Bodmann: "Wir möchten junge Menschen gewinnen, dass sie ein Jahr nach Wittenberg ziehen, sich auf eine Art Kommunität einlassen, Gemeinschaft erleben und sich in einen Dienst stellen." Der Dienst bestehe darin "mit Charme, Hilfsbereitschaft und Pfiffigkeit" die vielfältigen Projekte und Aktionen in diesem Wittenberger Reformationssommer zu unterstützen und zu ermöglichen. Einmalig! Bodmann: "So ein Projekt prägt das Leben und bestimmt es mit - die sind dann so eine Art ,Generation Wittenberg'."

Foto: Rolf Zöllner
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Fröhliches Spiegeln in der Weltkugel: Hartwig Bodmann und Ulrich Schneider (rechts).

Das Leben und Wirken dieser jungen Leute wird die Atmosphäre in Wittenberg prägen, unabhängig davon, ob im Sommer 2017 nun zweimal oder gar dreimal so viele Touristen wie zu normalen Zeiten jeden Tag in die Stadt kommen - da sind sich Bodmann und Schneider sicher. Und dann gibt es ja noch das "Konfi- und Jugendcamp", Motto: trust und try - zu Deutsch: Vertraue und versuche! Der Plan: Vor den Toren Wittenbergs soll es während des gesamten Reformationssommers 2017 ein Camp mit 1.500 Jugendlichen geben, die jeweils eine Woche bleiben. Was machen die? "Die Programme in den KonfiCamps verbinden das Leben in Gemeinschaft mit thematischen Erkenntnissen, reformatorischen Begegnungen und den Besonderheiten, die jede Gruppe mitbringt", heißt es in der neu erschienenen Broschüre des Durchführungsvereins. 14 mal 1.500 Jugendliche von Ende Mai bis Mitte September- auf jeden Fall wird es bunt!

Countdown am Marktplatz

Schließlich ist der Markplatz erreicht. Links vor den ehrfurchtseinflößenden Statuen der Reformatoren Martin Luther und Philipp Melanchthon steht ein Countdown-Zähler in Form einer zwei Meter großen Weltkugel. Wer durch das Guckloch sieht, bekommt die Sekunden, Minuten und Stunden bis zur Ausstellungseröffnung am 20. Mai 2017 angezeigt: "752 days, 2 hrs, 14 secs until the opening of the World exhibition on the Reformation ...” - jeder Blick ist ein Unikat, denn wenn der oder die Nächste reinschaut, sind schon wieder ein paar Sekunden verstrichen. Die Weltkugel auf dem Markt ist seit ihrer Eröffnung im Oktober vergangenen Jahres zum beliebten Selfie-Motiv mit Spieglein-Effekt mutiert. Ein Symbol dafür, dass 2017 die ganze Welt zu Gast in Wittenberg sein soll. Bis dahin haben Buddy Bodmann, Ulrich Schneider und ihr wachsendes Team noch viel zu tun. Na dann! Die beiden schauen fröhlich in die Kugel ...

Text: Reinhard Mawick / Fotos: Rolf Zöllner

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