Katechese und Kapital

Faszination Bibelfilm: Das Genre passt sich Zeitströmungen an
Christian Bale spielt Mose in "Exodus: Götter und Könige" (2014). Foto: 20th Century Fox
Christian Bale spielt Mose in "Exodus: Götter und Könige" (2014). Foto: 20th Century Fox
Helden der Bibel leiden, lieben und kämpfen mal wieder auf der Kinoleinwand. 2014 machten Darren Aronofskys "Noah" und Ridley Scotts "Exodus: Götter und Könige" den Anfang, und in diesem Jahr geht es mit Rodrigo Garcias "Last Days in the Desert" weiter. Das Kino kommt ohne Jesus und Moses nicht aus, meint der Kulturjournalist Roland Mörchen.

Ein oft totgesagtes Genre lebt. Helden aus der Bibel leiden, lieben und kämpfen wieder auf der Leinwand. 2014 machten Darren Aronofskys "Noah" und Ridley Scotts "Exodus: Götter und Könige" den Anfang, inzwischen geht es mit Rodrigo Garcias "Last Days in the Desert" weiter, der wie "Mary" über die Mutter Jesu auch hierzulande zu sehen sein soll. Wie Moses wird Jesus in die Wüste geschickt. Laut Ewan McGregor, der sowohl den Erlöser als auch den Versucher Satan in diesem Film über die vierzigtägige Fastenzeit in der Einöde spielt, will Jesus sich bei Gott Klarheit über seine Sendung verschaffen. Vom Evangelium inspiriert, wagt sich Garcia an eine spezielle Vater-Sohn-Beziehung, bei der die menschliche Natur des Gottessohnes den inneren Konflikt für den identifikationswilligen Zuschauer verständlich machen soll. Bereits Martin Scorsese trieb 1988 in seiner Verfilmung des Kazantzakis-Romans "Die letzte Versuchung Christi" die Psychologie des Erlösers um, der sich seiner Gottessohnschaft bewusst werden muss. Das ging schon damals nicht ohne Komplikationen ab, weil neuzeitliche Denkmuster an eine Person herangetragen wurden, deren Biographie im Kerygma aufgegangen ist. In der Nachaufklärung geriet Christus als "wahrer Mensch und wahrer Gott" immer mehr auf den Prüfstand. Eine neuzeitliche Spaltung ließ 1961 schon Nicholas Ray in "König der Könige" erkennen. Er sah Jesus als Menschen und Christus als Mythos, ohne aber das eine vom anderen zu trennen und ohne die klassische Ästhetik völlig preiszugeben.

Die Bibel ist weder ein psychologischer Roman noch ein modernes Drama. Da hilft es auch nicht, wenn sich Filmemacher in die Erklärung flüchten, eine fiktive Story und keinen Bibelfilm zu drehen. Fiktion ist schließlich immer im Spiel. Autoren müssen erzählerische Lücken füllen und Motivationen schaffen, um dramaturgisch tragfähige Ergebnisse zu erzielen. Versuche, den biblischen Vorlagen neue Deutungsansätze oder andere ästhetische Ausdrucksformen abzugewinnen, stoßen bei frommen Gemütern oft auf Ablehnung, etwa wenn Jean-Luc Godards "Maria und Joseph" (1984) die Geburtsgeschichte Jesu komplett in die Gegenwart verlegt oder Scorsese den Gottessohn der Versuchung aussetzt, sein Erlösungswerk aufzugeben und lieber eine Familie zu gründen.

Provokante Kontrapunkte

Provokante Kontrapunkte bringen das Genre von jeher in Bewegung, das Kontroversen um Scorseses Film und um einen bluttriefenden Kreuzweg in Mel Gibsons "Die Passion Christi" (2004) genauso verträgt wie abstruse Thesen in Michael Campus' "Jesus von Nazareth" (1976), in dem Jesus aus politischen Motiven die eigene Kreuzigung als "Pascha-Komplott" inszeniert, der Plan aber schiefgeht. Tatsächlich ist der Bibelfilm nie tot gewesen. Es gab in der Geschichte des Kinos kaum ein Jahr, in dem nicht mindestens eine Verfilmung entstand, die sich biblischer Quellen bediente. Oft war es pro Jahr gleich eine Handvoll, und etliche wurden zu Exportschlagern. Aber warum noch heute? Aronofskys "Noah" soll seine Kosten nahezu dreimal wieder eingespielt haben. Und wir sprechen hier von neunstelligen Dollarsummen.

Auch wenn die jüngsten Beispiele vielleicht nie zu den Glanzpunkten des Genres zählen werden, ist die Gattung selbst nicht totzukriegen. Bibelfilme versprachen schon immer großes Kino, und bis heute sind sie Starvehikel geblieben. Bekannte Schauspieler sorgen für Vertrautheit und Glaubwürdigkeit, wobei sich Filmemacher immer mit der Besetzung des Gottessohnes schwertaten, an den sich mehr religiöse Emotionen knüpfen als an jede andere Bibelfigur. Das reflektiert noch Rodrigo Garcias Scheu, die Hauptfigur in "Last Days in the Desert" Jesus zu nennen, um stattdessen mit dem Namen Yeshua auf Distanz zu gehen. Bibelfilme passen sich nicht zuletzt Zeitstimmungen an. Das sichert ihr Überleben. Man könnte auch sagen, das Genre erfindet sich immer wieder neu. Als die Gewalt in der Bibel teilweise im Anschluss an die Studien René Girards wieder stärker in die theologische Diskussion gerät, kommt Bruce Beresfords "König David" (1985) mit seinen betont martialischen Szenen gerade richtig. Rund zehn Jahre früher bekommt eine Gesellschaft, die nicht mehr an Wunder glaubt, sie auf natürliche Weise in Gianfranco De Bosios "Moses" (1974) à la "Und die Bibel hat doch Recht" erklärt. Zur gleichen Zeit findet das alternative Lebensgefühl der Jesus-People in "Jesus Christ Superstar" (1973) und "Godspell" (1973) seinen Niederschlag. Pier Paolo Pasolinis persönliches Werk "Das erste Evangelium - Matthäus" (1964) kann man in der Widmung an Papst Johannes XXIII. zugleich als ein Zeugnis der Wirkungsgeschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils sehen, das dieser Papst einberufen hat.

Eine Prise Erotik

In den Zwanzigerjahren setzte man biblische Geschichten gern aktuellen Handlungsteilen gegenüber. Da machte Cecil B. DeMille in seiner ersten Version von "Die zehn Gebote" (1923) keine Ausnahme. Aber schon immer suchte er die Zuschauer zum Glauben zu überwältigen, indem er pralle Spektakel mit viel Statisterie, zugkräftigen Stars und einer Prise Erotik publikumswirksam auflud. Die Schauwerte machen den Bibelfilm noch heute zum Massenmedium, während Kammerspiele vorwiegend die Spezialisten ansprechen. Nicht nur die religiöse Haltung, sondern auch die Ästhetik der Bibelfilme hat sich verändert. Pathos, Neorealismus, Simplizität oder Bilderbuchstil sind der Blockbustermentalität gewichen. "Noah" und "Exodus: Götter und Könige" überführen den Monumentalfilm von einst in die Form des zeitgenössischen Action-Films mit seinen computeranimierten 3D-Bildern. Filmtitel spiegeln auch eine Säkularisierung. Nun heißt es "Prinz von Ägypten" (1998) statt "Moses" (1974) und "Exodus: Götter und Könige" statt "Die zehn Gebote" (1956). Geistig am weitesten entfernt sich "Noah", mit dem sein Regisseur "den am wenigsten biblischen Bibelfilm" drehen wollte. In einer eklektischen Pseudoreligiosität machte er aus dem Stammvater des Alten Testaments einen Fantasy-Berserker.

Anstelle der apokryphen Evangelien und Legenden stillen jetzt Filme die menschliche Wissbegier und Sensationslust. Seit der Frühzeit des Kinos sehen sich Regisseure bei Wundergeschichten zu immer neuen Filmtricks angespornt. Der Pionier Georges Méliès ließ Christus schon 1899 übers Wasser laufen, nicht aus frommen Motiven, sondern weil er es tricktechnisch hinbekam. Das Staunen über das Wunder und die Verblüffung angesichts des Filmtricks fielen in eins. Das Medium Film konnte als ein lebendiges Dokument durchgehen, zwar gestellt wie auf der Bühne, aber wegen der fotographischen Unmittelbarkeit realer als real. Der populäre Bibelfilm erlebt in fundamentalistischen Zirkeln nach wie vor Gegenbewegungen, wobei diese naiven Produkte ein spezielles Phänomen darstellen, weil sie von einschlägigen Gruppierungen finanziert und gewöhnlich nur von Gleichgesinnten gesehen werden. Viele Filmemacher wollen aber die breite Masse ansprechen, schon aus kommerziellen Gründen. Hohe Produktionskosten erfordern noch höhere Einspielergebnisse. Der Bibelfilm erlangt von da seine nicht erst seit DeMille bekannte Doppelnatur aus Katechese und Kapital, die auch Franco Zeffirellis weltweit erfolgreichen Vierteiler "Jesus von Nazareth" (1977) bestimmt, eine ehrfürchtige Mischung aus Biblia pauperum, historischer Rekonstruktion und großer Oper, die immer wieder bei vielen Zuschauern religiöse Gefühle bestätigt, erneuert oder sogar erst weckt.

Wunderfreie Zone

Damit verhält sich Zeffirellis Film kontrapunktisch zur fast amateurhaften Umsetzung von Roberto Rossellini, der in einer historisch ausgerichteten Didaktik die Bibel zur wunderfreien Zone erklärt ("Der Messias", 1975). Rossellini hat schon 1969 die Apostelgeschichte verfilmt. Im "Messias" erzählt er die Vorgeschichte des Alten Testaments gleich mit und rückt sie ansatzhaft in die Nähe einer Gesamtverfilmung. Als Mitte der Neunzigerjahre die magische Millenniumsschwelle näherkommt, schickt sich die Kirchgruppe an, der Mediengesellschaft mit theologischem Fachbeistand die ganze Bibel in Einzelteilen fürs Fernsehen mundgerecht zu servieren. So etwas macht man nur, wenn die Marktanalyse günstig ist, zumal frühere Versuche dieser Art unvollständig geblieben sind. Obschon konsumorientiert, wollen die Filme den Glauben für die neue Zeit retten. Auch in einer säkularisierten Gesellschaft haften dem Bibelfilm noch Sinnrelikte an, die von nichtmateriellen Werten zeugen. Das Wunderbare erfährt zudem einen Wahrheitsanspruch, der anders als bei purer Fantasy über die Handlung hinausweist. Im Gegensatz zu Harry Potter und Co. wird der jüdisch-christliche Glaube noch immer von religiösen Institutionen sichtbar repräsentiert.

Gewiss trafen vor einigen Jahrzehnten die Bibelfilme auf breitere Akzeptanz in der westlichen Zivilisation und erfüllten umfassender als heute ein frommes Bedürfnis. Aber die Krise des Gottesglaubens, die sich schließlich in neoreligiösen und politischen Fundamentalismen Luft verschaffte, war größer als die Krise des Bibelfilms, der vom Kino nur stärker ins Fernsehen abwanderte. Trotz Reduzierungen auf bewährte Erzählmuster lässt sich ein unterschwelliger metaphysischer Ernst nicht unterdrücken - nicht einmal dann, wenn er den Machern selbst gegen den Strich geht. Er ist den Bibeltexten aufgrund ihrer Überlieferungsgeschichte untrennbar eingeschrieben und noch in seiner Verfremdung oder Auflösung wirksam. Unverändert gilt, was Christopher Fry, der Drehbuchautor von John Hustons "Die Bibel", 1966 schrieb: dass die Heilige Schrift "das Denken und die Erfahrung, die poetischen und spirituellen Eingebungen, von Generationen von Menschen" enthält.

Multikulturelle Gesellschaft

Im Buch der Bücher stehen pralle Geschichten von Kampf und Unterdrückung, Befreiung und Erlösung, die ihr Publikum auch dann erreichen, wenn es nicht mehr mit ihnen vertraut oder nie vertraut geworden ist. Filmemacher treffen auf eine multikulturelle Gesellschaft, in der überzeugte Christen nicht uneingeschränkt den Ton angeben. "Exodus"-Regisseur Ridley Scott sagt im Interview mit "Die Welt", dass sich ein Film über Religion heute "viel mehr verschiedenen Meinungen" gegenübersehe und Religion von Politik nicht mehr zu trennen sei. Einige Filmexperten sehen die Widerstandskraft des Genres grundsätzlich vor politischem Hintergrund, schon in der Zeit des Kalten Krieges, als das fromme Amerika den gottlosen Kommunisten mit der (Film-)Bibel gedroht habe.

Als Referenzbuch der abendländischen Kultur hat die Heilige Schrift nicht ausgedient. "Die Zehn Gebote sind ein grundlegender Code der Menschheit", meint der Agnostiker Scott im Welt-Interview sogar. Vor einem halben Jahrhundert klang das schon ähnlich, als der tiefgläubige George Stevens, Regisseur von "Die größte Geschichte aller Zeiten" (1965), in der "New York Times" sagte, das Evangelium beziehe sich auf die Allgemeinheit der Menschen und auf die Voraussetzungen fürs Zusammenleben aller. Das Problem, weltweit miteinander auszukommen, bleibt brandaktuell.

Roland Mörchen

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