Land im Umbruch

Reportage aus der Ukraine
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Ein sehr politisches Buch, das den Weg der Ukraine in die Demokratie und vor allem auch in eine eigene Identität aufzeigen will.

Die Ukraine - sie galt als die Kornkammer des Ostens, rückte mit dem Maidan in die Schlagzeilen und stand 2014 mit dem Absturz des malayischen Flugzeugs erneut im internationalen Blickpunkt. Nur zwei Flugstunden von Berlin entfernt ist dieses Land nach Polen und Rumänien unser nächster Nachbar im Osten, in dem es unentwegt gärt und schwelt. Und damit ist es ein scheinbar unüberschaubarer politischer Dauerbrenner. Die täglichen Pressemeldungen um den Krieg in der Ostukraine verwirren eher, als dass sie aufklären.

Um sich einen fundierten Überblick zu verschaffen, empfehlen sich die "Reportagen aus einem Land im Aufbruch" von Ute Schaeffer. Die Autorin, geboren 1968, ist stellvertretende Direktorin der "Deutsche Welle Akademie" und für Projekte der Medienentwicklungszusammenarbeit verantwortlich. Sie baute das ukrainische Programm des Senders aus und bereist die Ukraine seit mehr als 15 Jahren. Auf 157 Seiten gibt sie ihr Insiderwissen weiter, und es ist ein sehr politisches Buch geworden, das den Weg der Ukraine in die Demokratie und vor allem auch in eine eigene Identität aufzeigen will.

Ute Schaeffer war nicht nur in den großen Städten, sondern auch in den kleinen, in den Randgebieten. Sie zeichnete Gespräche der unterschiedlichen Menschen auf, sowohl der anti- als auch der pro-russischen, in denen die Ungeduld und das ewige Warten auf Veränderung hörbar wird. Der Rentnerin Zoja ging es unter dem Sowjetregime zwar finanziell gut, dennoch ist die ehemalige Ingenieurin strikt gegen die Idealisierung der alten Zeiten, denn sie fühlte sich als Ukrainerin in ihrer Freiheit beschränkt. Alle Hoffnung setzt sie in die neue Regierung, doch Korruption und Vetternwirtschaft bremsen Veränderungen aus.

Wie lange noch warten? Die Jungen setzen ungeduldig auf einen Generationswechsel, studentische Aktivisten wie Denys und Jaroslav sind Teil des "Rechten Sektors", der sich als Alternative zu den Profipolitikern sieht und Demonstranten unterstützt. Kritische Stimmen bemängeln den Abwärtstrend der ukrainischen Wirtschaft, und es gibt nicht wenige Menschen, deren Angehörige in Russland arbeiten, um sie in der Heimat zu versorgen, was zu einer Zersplitterung der Familien führt.

In Gesprächen mit Journalisten versucht Ute Schaeffer, die starke Rolle der Medien und der damit verbundenen Propaganda zu erklären. Ihre intensive Recherche macht deutlich, dass gezielte Desinformationen der russischen Medien für ein Klima großer Ratlosigkeit und Verwirrung gesorgt hat. Und sie stellt die letzten Präsidenten vor: Wiktor Juschtschenko, Wiktor Janukowytsch, Olexandr Turtschynow und Petro Poroschenko. Hier wird deutlich, was das Lesen des Buches schwierig macht, nämlich die Unzahl der für uns fremden und oft leicht verwechselbaren Namen. Die 181 Fußnoten vervollständigen zwar die Informationen, doch ebenso den Schwierigkeitsgrad des Lesens. Ein Buch, mit dem man sich intensiv beschäftigen muss, wobei sich am Schluss, nach allem gelesenen Negativen, fast Erleichterung breit macht, dass die Autorin hoffnungsfroh schließt. Eine pro-europäische und demokratische Zivilgesellschaft im Parlament sei ein gutes Zeichen, denn aus Aktivisten könnten Realpolitiker werden, die hart am Friedensprozess arbeiten.

Ute Schaeffer: Ukraine. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2015, 160 Seiten, Euro 10,90.

Angelika Hornig

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