Auch sonntags getrennt

Wie Kirchen auf die Tötungen von Afroamerikanern durch die Polizei reagieren
Schwarze Baptistenkirche in New York-Port Richmond. Foto: dpa/ John Godbey
Schwarze Baptistenkirche in New York-Port Richmond. Foto: dpa/ John Godbey
Schwarze und weiße Amerikaner bleiben weitgehend unter sich. Und unter den Afro-Amerikanern gibt es eine Kluft zwischen den Kirchenleuten und den Jugendlichen, zeigt der Washingtoner Journalist Konrad Ege.

Inzwischen redet man in den USA über die Kluft zwischen schwarz und weiß, arm und reich. Ausgelöst wurde die Diskussion von den Todesschüssen von Polizisten auf junge Afro-Amerikaner, denen friedliche und gewalttätige Kundgebungen folgten. Und wenn das Fernsehen zeigt, wie im Dunst des Tränengases Steine geworfen werden und der gesellschaftliche Zusammenhang bedroht ist, betrifft das auch die Kirchen und ihre Geistlichen, geht es ihnen doch um Heilung, Frieden und Gerechtigkeit. Doch sie haben ihre eigenen Probleme beim Zusammenleben von Mitgliedern unterschiedlicher Herkunft.

Baltimore, im Bundesstaat Maryland gelegen, knapp eine Autostunde nördlich der Bundeshauptstadt Washington. Es ist Ende April, kurz nach dem Tod des jungen Afro-Amerikaners Freddie Gray, der nach seiner Festnahme im Transportwagen der Polizei so schwer verletzt worden war, dass er nicht mehr aus dem Koma erwachte. Die Kamera zoomt auf eine Gruppe von rund hundert Menschen, die meisten dunkel gekleidet, viele mit Anzug und Krawatte, fast alle Männer. Es sind Pfarrer, die Frieden stiften wollen. Mehrmals knien sie auf dem Weg durch die Stadt nieder zum Gebet.

Baltimore erwartete bewaffnete Einheiten der Nationalgarde, um die Ausschreitungen unter Kontrolle zu bringen. Mehr als 2.000 Menschen hatten zuvor beim Gottesdienst für Freddie Gray in der New Shiloh Baptist Church teilgenommen. Der Leichnam war in einem offenen weißen Sarg aufgebahrt. Ein mächtiger Gospelchor sang. Gekommen waren Abgesandte des Weißen Hauses, viel lokale Prominenz, darunter Bürgermeisterin Stephanie Rawlings-Blake, ein Kongressabgeordneter und Jesse Jackson, Baptistenpfarrer und Bürgerrechtsaktivist schon zu Zeiten Martin Luther Kings. In Krisenzeiten zeigen sich US-Politiker gerne mit Geistlichen. Und umgekehrt gilt das vermutlich auch. Freddie dürfe nicht umsonst gestorben sein, sagt Pfarrer Jamal Bryant in der New Shiloh Baptist Church. "Wir werden marschieren (...) und Gerechtigkeit fordern (...) und die Kultur der Korruption aufdecken." Bryant hat inzwischen viele Medienauftritte hinter sich. Er prangert die Zustände in seiner Heimatstadt an, ihre Geschichte der Rassentrennung, die wirtschaftliche Not in den Schwarzenvierteln, wo die Arbeitslosenrate bei fast 50 Prozent liegt und die Lebenserwartung 20 Jahre niedriger ist als in den wohlhabenden Vierteln: "25 Jahre alt, als Schwarzer in Baltimore, keine Türen sind offen (zum Studium), er hat sich wohl gefragt, was werde ich mit meinem Leben anfangen?", sagte Bryant über Gray. Implizit übte der Prediger aber auch Kritik an den jungen Afro-Amerikanern: Sie müssten etwas tun, um die Stadt zu verändern, es sei jetzt nicht die Zeit, sich neue Tattoos zuzulegen.Freddie Grays Tod und die Ausschreitungen haben nicht nur in Baltimore Geistliche aller Kirchen zusammengebracht. Man müsse die tiefliegenden Ursachen der Krise angehen, nicht nur die Symptome, forderte Wolfgang Herz-Lane, der Bischof der evangelisch-lutherischen Delaware-Maryland-Synode. Die "anhaltenden Herausforderungen der Armut, der Rassenbeziehungen, der Arbeitslosigkeit und der unzureichenden Wohnbedingungen" führten bei den betroffenen Menschen zu "Gefühlen der Machtlosigkeit und der Hoffnungslosigkeit".

"Schwarze Leben zählen"

Für den römisch-katholischen Bischof Denis Madden wäre am schlimmsten, "sollten wir nach den Ausschreitungen zum Status Quo zurückkehren". Aber wenn die Kirchenmitglieder die Barmherzigkeit Gottes ernstnähmen, würden sie "die Zustände nicht tolerieren". Doch sie werden hingenommen - schon seit langem.Trotz der neuen Aufmerksamkeit in Medien, Kirchen und Politik sind die Missstände längst bekannt. Das gilt auch für die Todesfälle im Zusammenhang mit dem Vorgehen der Polizei. Freddie Grays "Vergehen" bestand offenbar darin, dass der junge Afro-Amerikaner aus dem heruntergekommenen und fast ausschließlich schwarzen Wohnviertel Sandtown mehreren Polizisten weggerannt war und festgenommen wurde. An derartige Festnahmen, und selbst an die Todesfälle in Polizeigewahrsam, hat man sich in den USA gewöhnt.

Baltimores Polzei hat keinen guten Ruf. Mitte Mai berichtete die Zeitung "Baltimore Sun", das örtliche Gefängnis habe von Juni 2012 bis April 2015 2.600 Festgenomme nicht aus dem Polizeigewahrsam übernommen, weil sie erst noch ärztlich behandelt werden mussten.

Und allein im vergangenen Jahr sind mehr als tausend Menschen von der Polizei getötet worden, ermittelten Researcher von killedbypolice.net mit Hilfe von Medienberichten. Die Tathergänge sind allerdings sehr verschieden: Viele Opfer waren selber bewaffnet. In einer Nation mit mehr als 200 Millionen Schusswaffen im Umlauf leben auch Polizisten gefährlich. Freddie Grays Tod wäre vermutlich ohne die landesweite Bewegung gegen Polizeibrutalität längst abgehakt, die sich seit dem Tod Michael Browns in Ferguson im Bundesstaat Missouri im August 2014 gebildet hat. Der 18-Jährige war wie Gray unbewaffnet, als er von einem weißen Polizisten erschossen wurde. Aber das US-Justizministeriums kam zum Schluss, der weiße Polizeibeamten habe sich möglicherweise bedroht gefühlt.

Doch für die Demonstranten in Ferguson - es gab wochenlange friedliche Kundgebungen und Ausschreitungen - ist Brown zum Sinnbild für einen Staat geworden, in dem schwarze Leben nicht viel wert sind. BlackLivesMatter nennt sich diese Bewegung: Schwarze Leben zählen. Die Bewegung unterscheidet sich von der durch Geistliche geprägten gewaltfreien Bürgerrechtsbewegung der Sechzigerjahre. Es sind überwiegend junge und überwiegend afro-amerikanische Menschen, die ihre Wut zum Ausdruck bringen und Namen unbewaffneter junger Afro-Amerikaner rezitieren, die im Laufe des vergangenen Jahres von der Polizei erschossen wurden. Unter ihnen der 12-jährige Tamir Rice, der nur eine Spielzeugpistole hatte. Die Bewegung nutzt die moderne Technologie: Ohne Smartphone und Videoaufzeichnungen hätten die Aktivisten ihren Protest wohl kaum so schnell verbreiten können. Und die Aktivisten sind nicht unbedingt kirchlich. Viele schwarze Jugendliche hätten sich den Kirchen entfremdet, stellt die afro-amerikanische Theologin Kelly Brown Douglas fest. Auch die schwarzen Kirchen trügen eine Verantwortung dafür, dass die "schwarze Unterklasse" so überproportional das Opfer "tiefer Armut" sei.

Evangelium ist nicht neutral

Pfarrer Osagyefo Uhuru Sekou, der in Ferguson mitdemonstrierte, gewaltlos, wie er betont, übt noch schärfere Kritik: Forderungen nach Mäßigung seien "das Kennzeichen einer Führung, die den Mächtigen zu nahesteht". Aber das Evangelium sei nicht neutral. Die traditionelle schwarze Führung habe das Heranwachsen der neuen Bewegung verpasst.

Und in der "Washington Post" fragte der Pastor der afrikanisch-methodistischen Bethelkirche in Baltimore, Frank Reid: "Gibt es eine schwarze politische Klasse, die den Kontakt verloren hat mit den Bedürfnissen der Menschen, denen sie dient?" In Baltimore sind die Bürgermeisterin und der Polizeichef Afro-Amerikaner. Wenn es in den USA um Rassismus geht, Diskriminierung von Afro-Amerikanern und Polizeibrutalität gegen Schwarze, fällt man auf althergebrachte Verhaltensmustern zurück. Die Medien wenden sich an schwarze Politiker und Geistliche, die sie als Repräsentanten der afro-amerikanischen Bevölkerung betrachten. Dabei könnten auch einmal mehrheitlich weiße Kirchen gefragt werden, wie sie es mit dem Kampf gegen Rassismus und Vorurteile halten und den Privilegien von Weißen. Doch das geschieht selten.Immerhin regiert mit Barack Obama ein schwarzer Präsident. Aber man lebt getrennt. Das "Public Religion Research Institute" hat im vergangenen Jahr die Beziehungs- und Freundschaftsstrukturen der US-Gesellschaft untersucht. Danach haben drei Viertel der weißen Amerikaner einen "ausschließlich weißen" Bekanntenkreis und rund zwei Drittel der Afro-Amerikaner einen "ausschließlich schwarzen".Martin Luther King klagte in den Sechzigerjahren, der Sonntagvormittag sei die Zeit, in der die Rassen am stärksten getrennt seien. Heute trifft das so nicht mehr zu, aber Kirchen, die von Menschen unterschiedlicher Hautfarbe besucht werden, gibt es nicht allzuoft. Man lebt eben unter der Woche nebeneinander her, und am Sonntag ist es genauso.

Laut einer Untersuchung des "Pew Research Center" besuchen 80 Prozent der Befragten Gottesdienste in Kirchen, in denen eine ethnische Gruppe 80 Prozent oder mehr der Mitglieder stellt. 1998 hätten 85 Prozent Gottesdienste in Gemeinden mit einer dominierenden ethnischen Gruppe besucht. Und viele Gottesdienstbesucher sehen darin kein Problem. 40 Prozent der Befragten meinten bei einer Erhebung des christlichen Lifeway Institute, ihre Kirchengemeinde brauche mehr ethnische Verschiedenheit. Aber 53 Prozent teilten diese Auffassung nicht. 51 Prozent der Afro-Amerikaner und 37 Prozent der Weißen wünschten sich mehr Vielfalt bei den Gottesdienstbesuchern.

Sicher haben sich seit den Sechzigerjahren die Beziehung zwischen Farbigen und Weißen in den USA verändert, und dazu haben die Kirchen und ihre Geistlichen viel beigetragen. Aber in den mehrheitlich weißen Kirchen waren die Reformer wohl nie in der Mehrheit.

Konrad Ege

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Politik"