Lebensgefühl

Religiosität im Alter
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Mit Hilfe des so genannten mehrdimensionalen Messmodells der Religiosität hat Petra-Angela Ahrens eine beeindruckende Fülle von Analysen zusammengestellt.

Bereits seit einiger Zeit zeigt sich eine bestimmte Segmentierung: Mit ihrer Werbung für modische Kleidung, nahezu unsichtbare Hörgeräte und faltbare Luxusrollatoren haben die Anbieter auf dem Markt die noch jüngeren Alten, die Älteren und die nun wirklich alt gewordenen Menschen für sich entdeckt. Sie alle, ab Ende ihrer Fünfzigerjahre, stellen eine stetig zunehmende Einnahmequelle dar.

Welche Erkenntnisse zur älteren Generation steuert nun das Handbuch, das die Sozialwirtin Petra-Angela Ahrens am Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD vorgelegt hat, zum kirchlichen Handeln bei? Auch Kirchen und Gemeinden erleben ja einen starken Wandel ihres Gemeindelebens. Doch zunächst: Wovon geht Ahrens aus? Sie gebraucht als Instrument die Interviewsituation: Mehr als 2.000 über 50-Jährige wurden 2010 befragt. Natürlich aufgrund bestimmter Vorgaben, um diese dann statistisch verarbeiten zu können, führte das zu Aussagen über das jeweilige, auch rückblickende Selbstverständnis der Befragten: zur Religiosität, zur familialen Tradierung religiös-kirchlicher Bindung, zu persönlichen Lebensereignissen und zu eigenen und anderen Milieus älterer Menschen.

Unter anderem mit Hilfe des so genannten mehrdimensionalen Messmodells der Religiosität des Religionspsychologen Stefan Huber hat Ahrens dann eine beeindruckende Fülle von Analysen zusammengestellt, grafisch abgebildet und interpretiert. Hier soll nicht die Streitfrage diskutiert werden, ob es sich dabei, insbesondere jenen Aspekten der Religiosität, um eine realitätsgerechte Erfassung oder um eine auf jenen Vorgaben beruhende Konstruktion von Wirklichkeit handelt; letzteres legt der auf der Annahme persönlicher Konstrukte basierende Ansatz von Stefan Huber nahe.

Ergiebig sind die Ergebnisse von Ahrens in anderer Hinsicht. Das zeigt sich einmal an dem kleinen, aber häufig vorkommenden Wort "positiv": in der Generation 60plus sei "das Lebensgefühl durchaus positiv geprägt"; sie habe "eine überwiegend positive Perspektive auf das eigene Altern" und eine positive religiöse Selbsteinschätzung. Dies, analysiert und kommentiert, findet sich im ersten Abschnitt des Handbuchs: als korrigierte Fassung der ersten Ergebnisse jener Befragung, die Ahrens unter dem bezeichnenden Titel "Uns geht's gut" 2011 veröffentlicht hat. Die Frage drängt sich auf, wie weit auch Betroffene in prekären Lebensverhältnissen befragt worden sind.

Auf die hohen Zufriedenheitsraten im ersten Teil folgen allerdings auch Verunsicherung und überraschende Zurückhaltung. Unter den thematischen Schwerpunkten des zweiten Teils haben sich als kritische Lebensereignisse eine schwere Krankheit oder ein krisenhafter Eintritt in den Ruhestand bei den Befragten spürbar bemerkbar gemacht. Und die "Befunde zum Glauben an ein Leben nach dem Tod" lassen "statistisch ... keine Relevanz" bei den Älteren erkennen. Dazu kommt eine eher distanzierte Kirchlichkeit.

Hier und auch bei den anderen Fragen nach Gott zeigt sich, wie wichtig in Zukunft die Begegnungen in Gemeinden mit Älteren sind: um in unbefangenen und ernsthaften Gesprächen mit ihnen, auch durch Deutungsangebote, die über die bisherige Selbstwahrnehmung hinausführen, zu entdecken, wo diese ältere Frau, dieser ältere Mann auf seinem Weg vor Gott steht - und wie dieser Weg weitergehen könnte.

Das Handbuch von Ahrens kann dabei zu einer differenzierten Wahrnehmung führen. Ersparen kann es Pfarrerinnen und Pfarrern eine erforderliche offene und unbedarfte Einstellung für Begegnungen, die sich manchmal auch wie zufällig ereignen, nicht.

Petra-Angela Ahrens: Religiosität und kirchliche Bindung in der älteren Generation. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2014, 348 Seiten, Euro 28,--.

Burkhard Pechmann

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