Bärenhunger auf mehr

Die Ausstellung "Luther und die Fürsten" in Torgau
Foto: pixelio/Dietmar Meinert
Schwerer Helm, stramme Waden, schönes Schloss: Es gibt viel zu bewundern in der ersten "Nationalen Sonderausstellung" zum 500. Reformationsjubiläum.

Mein Gott, wie kann man so etwas wirklich aufsetzen? Dieser Gedanke kommt, wenn der Besucher die Sturmhaube sieht, die einst Kaiser Karl V. getragen haben soll: Blankes Stahl mit feinem Gold blinkt aus der Vitrine. Der obere Teil, das Visier, formt sich zu Kopf und Schnabel eines Adlers. Der untere Teil, der Mund- und Wangenschutz, ist ebenfalls überreich mit Gold verziert, und güldene Greifvogelkrallen umfassen ein filigran eingraviertes Schild mit zehn Wappen verbündeter Mächte auf dem Kinn.

Kaiser Karl, in dessen Reich die Sonne nicht unterging, hat diesen Helm wirklich getragen. Allerdings nicht im Schlachtgetümmel, sondern laut Katalog nur bei "repräsentativen Anlässen", um "Macht und Mut des Kaisers" zu demonstrieren - so blieb diesem Schmuckstück eine Schramme im Kampfgetümmel erspart, es wäre auch schade drum gewesen!

Ja, es gibt viel zu bewundern in der "1. Nationalen Sonderausstellung zum 500. Reformationsjubiläum" in Torgau unter dem Titel "Luther und die Fürsten". Und selbst wenn die geschilderte Sturmhaubenkostbarkeit - sie ist das allererste edle Ausstellungsstück, dessen der Besucher zu Beginn des Rundganges in Schloss Hartenfels ansichtig wird - dem katholischen (und katholisch bleibenden!) Kaiser gehörte, wird klar: Die protestantisch gewordenen Fürsten des 16. Jahrhunderts stehen Karl in Sachen Prunk und Pracht keinesfalls nach. Und stramme Waden hatte er, der sächsische Kurfürst Johann Friedrich der Großmütige! Diesen Eindruck vermittelt zumindest der ausgestellte Stiefel jenes Neffen Friedrichs des Weisen, der bis zu seiner schmählichen Absetzung nach der Niederlage bei Mühlberg 1547 als Schutzherr und Befestiger der lutherischen Reformation in Torgau residierte und dafür sorgte, dass die Elbestadt den Beinamen "Amme der Reformation" erhielt. Hinzu kommen viele prachtvolle Gewänder, Becher, Pokale, kostbare Wandteppiche, Gemälde, und, und, und ...

Der Prunk im prachtvollen Schloss Hartenfels entführt in eine Welt, in der von der später sprichwörtlichen protestantischen Bescheidenheit nichts zu spüren ist: Gold, Glanz und filigrane Kunst allerorten! Die Beschriftung der Exponate ist sparsam, geschichtliche Überblickstafeln geben in den Räumen zumindest grundsätzliche Orientierung in dynamische Jahrzehnte mit komplexen politischen und theologischen Verhältnissen. Um tiefer einzutauchen in die faszinierende und komplexe Welt der sich entwickelnden protestantischen Fürstenwelt im 16. Jahrhundert empfiehlt es sich, mit dem (ausgezeichneten!) Ausstellungskatalog vor- oder nachzuarbeiten. Wobei die schiere Schönheit der Exponate auch ohne detailliertes Hintergrundwissen überwältigt, zumal Torgau an sich zauberhaft und immer eine Reise wert ist: Neben Schloss Hartenfels, dem Renaissancejuwel mit dem weitem Schlosshof und dem ersten bewusst protestantischen Kirchenneubau, in dem Luther 1544 die Einweihungspredigt hielt, ist auch ein Besuch der wunderbaren Stadtkirche zu empfehlen, wo sich das Grabmal der "Lutherin" Katharina von Bora befindet.

Einzig der Bärengraben im Eingangsbereich von Schloss Hartenfels ist wegen Umbauarbeiten zurzeit verwaist. Eine Tafel gibt Auskunft, dass sich dort einst bis zu 34 (!) Bären tummelten. Dann fielen im Jahre 1634 die Schweden ein und diese hätten, so die Inschrift, sämtliche Bären verspeist(!). Ob daher das Wort Bärenhunger kommt? Möglich. Auf jeden Fall macht diese Nationale Sonderausstellung Appetit auf mehr. Eigentlich sogar Bärenhunger ...

Information

Die 1. Nationale Sonderausstellung zum 500. Reformationsjubiläum "Luther und die Fürsten" ist bis zum 31. Oktober 2015 in Torgau zu sehen.

zur Sonderausstellung

Reinhard Mawick

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