Musterschülerin der Pluralität

Die EKD hat einen Grundlagentext zur religiösen Vielfalt veröffentlicht
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Kann man von ganzem Herzen am eigenen Glauben hängen und trotzdem das Wahrheitsbewusstsein anderer Religionen anerkennen? Der EKD-Text "Christlicher Glaube und religiöse Vielfalt in evangelischer Perspektive" zeigt, wie das gehen soll.

Als intolerant werden schnell diejenigen beschimpft, die ihr Eigenes laut und selbstbewusst vertreten. Laut und selbstbewusst gilt im öffentlichen Diskurs schnell als zu laut und zu selbstbewusst. Religionsvertreter müssen achtsam sein, denn die populäre Meinung ist nicht nur in religionsfernen und -feindlichen Kreisen, sie könnten ja gar nicht anders als intolerant sein, denn sie seien ja göttlicher Wahrheit verpflichtet.

Gegen diesen Aberglauben bezieht die EKD mit ihrer neuen Veröffentlichung klar Stellung und zeigt, dass ein recht verstandener evangelischer Glaube alles in allem ist: Sowohl letzter Trost im Leben und im Sterben, als auch ein Hort des Respekts und der Demut gegenüber anderen Religionen und natürlich auch gegenüber allen nichtreligiösen Weltanschauungen.

Wahrlich kein unbescheidenes Unterfangen auf (nur) 80 Taschenbuchseiten, zumal längst nicht nur theoretisiert und systematisiert wird, sondern auch ganz praktische Fragen behandelt werden. Zunächst aber wird in den theologischen Grundlinien im Kapitel über "Religiöse Vielfalt und Identität" der schmale Grat zwischen "Wahrheitsbindung und Dialogfähigkeit" ausgemessen: Ja, es sei unmöglich in einem "neutralen Verfahren" über die Wahrheit der Religion zu entscheiden, aber dies impliziere noch nicht, "dass die Wahrheitsfrage überflüssig oder irreführend wäre". Wer aber seinen Glaubensgegenstand als Wahrheit für sich und sein Leben annehmen möchte, solle stets gewahr bleiben, dass der "Grund des Glaubens (...) als solcher vom Glaubensakt und von religiösen Vollzügen unterschieden bleibt". Dies führe dazu, dass recht verstandener christlicher Glaube an Gott darauf hofft und vertraut, "dass sich die Wahrheit auch den eigenen Glaubensvollzügen gegenüber durchsetzt". Diese Erkenntnis wird mit dem Jesuswort "Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen" (Johannes 8,32) bekräftigt und in aller Klarheit festgestellt: "Dem Glauben ist damit nicht verheißen, dass er in allem Recht behält."

Diese Denkfigur formuliert das fundamentaltheologische Credo eines aufgeklärten Protestantismus im 21. Jahrhundert (siehe Seite 38), dessen systematisch-theologischen Erkenntnissen sich der Rat der EKD mehrheitlich verpflichtet weiß, für den die Kammer für Theologie unter Vorsitz des Berliner Kirchengeschichtlers Christoph Markschies den Text erarbeitet hat. Dass man damit den selbsternannten Rechtgläubigen aller Couleur nicht nur Freude macht, ist nichts Neues. Dieses Pluralitäts-Credo prädestiniert die EKD dazu, das Anliegen aller und nicht nur der eigenen Religion und Konfession gegenüber dem pluralen aber religionsoffenen Verfassungsstaat zu vertreten, und sie will durchaus Musterschülerin in der Bewältigung der Vielfalt sein. Dies unterstreicht der Text im Kapitel über die "Vielfalt der Religionen - Prüfung und Bewährung der Religionsfreiheit", wo folgerichtig steht: "Die Evangelische Kirche in Deutschland wirbt dafür, das Verständnis des Grundgesetzes von einer religionsfreundlichen Offenheit des Gemeinwesens zu erhalten und als Modell auch im europäischen und internationalen Kontext zu nutzen." Denn nur im religionsoffenen Verfassungsstaat seien die Voraussetzungen dafür gegeben, dass "das Gemeinwesen von den Religionsgemeinschaften in seiner Mitte vielfältig profitieren" könne.

Im Kapitel über die "Handlungsfelder in Gemeinde und Kirche" gibt es aus diesem Geist heraus praktische Hinweise zum interreligiösen Alltag, denn, so heißt es eingangs: "Die evangelische Kirche stellt sich der Aufgabe, andere Religionen als Partner in der offenen Gesellschaft anzunehmen, mit ihnen das Gespräch zu pflegen und Formen der Zusammenarbeit zu erproben." Wie soll das geschehen, zum Beispiel auch bei der Teilnahme an Gottesdiensten anderer Religionen? In Höflichkeit und Respekt, denn man werde "dem eigenen Glauben nicht dadurch untreu, dass man Anteil nimmt, wenn andere Menschen ihre eigene Glaubensüberzeugung zum Ausdruck bringen". Schließlich wird am Ende des Textes unter der Überschrift "Glauben Juden, Christen und Muslime an denselben Gott?" die abgestufte Beziehung des christlichen Glaubens zum Judentum und zum Islam dargestellt. Dies könnte für Diskussionen sorgen.

Weitere Informationen

Christlicher Glaube und religiöse Vielfalt in evangelischer Perspektive - Ein Grundlagentext des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2015, 80 Seiten, Euro 4,99.

zum Download des Grundlagentextes

Reinhard Mawick

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