Hölle des Soundso

Ein Punktum
Ich stehe am Gleis und warte auf meinen Zug. Alles scheint gut. Dann meldet sich die Stimme aus dem Lautsprecher.

Wer Bahn fährt, der kann etwas erleben. Leider hat er oder sie auch meistens etwas zu beklagen. Ja, der Topos der meinungsstarken Bahnklage, neudeutsch bahnbashing, kurz "ba-ba", hat es sogar schon zur Kunstform gebracht. Auf diesem Feld haben die Wise Guys, fünf meist fröhlich singende ehemals junge Männer, Bleibendes geleistet. Sie haben ein Lied gemacht, dessen Refrainzeile meine jüngere Tochter früher rauf und runter sang und zwar den lieben langen Tag lang, oder eher: the whole day long. Die Zeile lautete: Thank you for travelling with Deutsche Bahn.

Die Wise Guys haben die alltägliche Non-Perfektion der Bahn schön zusammengereimt. Das hört sich so an: "Meine Damen und Herrn, der ICE nach Frankfurt-Main / fährt abweichend am Bahnsteig gegenüber ein. / Die Abfahrt dieses Zuges war 14 Uhr zwei. / Obwohl, das war sie nicht, denn es ist ja schon halb drei. / Bei uns läuft leider oft das meiste anders als man denkt. / Wir haben die Waggons heute falschrum angehängt. / Die Wagenreihung ist genau das Gegenteil vom Plan / Thank you for travelling with Deutsche Bahn."

Dass mit der "umgekehrten Wagenreihung" ist wirklich ein Rätsel. Und dass dies den wartenden Reisenden oft gar nicht, oder erst bei Einfahrt des fehlgereihten Zuges mitgeteilt wird, ist ein zweites. Und ein Bild des Jammers ist es, wenn alle Reisenden mit reservierten Plätzen auf dem Bahnsteig hin- und her rennen.

Eigentlich möchte ich aber auf einen ganz speziellen Sadismus der Bahn zu sprechen kommen, und der geht so: Ich stehe am Gleis und warte auf meinen Zug. Alles scheint gut. Dann meldet sich die Stimme aus dem Lautsprecher: "Sehr geehrte Damen und Herren! Bitte beachten Sie: Der ICE soundso nach soundso über - und dann geht es los - soundso, soundso, soundso ... . Ehrlich, ich habe schon mal bis zu sechs Soundsos, sprich Städtenamen, gehört, bis dann endlich die aufklärende Schlussformel fällt: ... wird heute voraussichtlich wenige Minuten später eintreffen."

Das finden Sie nicht schlimm? Ist es aber, denn Sie wissen ja nicht, ob sich der ICE soundso wirklich nur wenige Minuten verspätet, oder nicht gleich - sagen wir mal - 35 Minuten, oder ob die aufklärende Schlussformel gar lautet: "... wird sich auf unbestimmte Zeit verzögern". Das sind Sekunden der Angst, die sich mit jedem Orts-Soundso um eine unendliche Sekunde verlängerte.

Liebe Ba-ba-Bahn, das muss doch nicht sein! Seid Wise Guys und sagt es anders, zum Beispiel so: "Sehr geehrte Damen und Herren! Bitte beachten Sie: Der ICE an Gleis soundso nach soundso wird heute voraussichtlich..." und so weiter. Das hätte den Vorteil, dass es heraus ist. Dann könnt Ihr ja gerne nochmal ansetzen und die ganzen Soundsos des ICEs Soundso noch nennen. Das informelle Vorziehen der kleineren oder größeren Katastrophen aber würde den Adrenalinausstoß auf deutschen Bahnsteigen um die Hälfte senken. Bestimmt. Thank you!

Reinhard Mawick

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