Von Bäumen

Eine Kulturgeschichte
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Der Baum ist weitaus mehr als nur ein wichtiger Rohstoff.

Alexander Demandts Buch "Über allen Wipfeln. Der Baum in der Kulturgeschichte" avancierte binnen weniger Jahre zum Standardwerk. Erschienen 2002, ist der Titel mittlerweile längst vergriffenen. Demandt, Jahrgang 1937 und Professor emeritus für Alte Geschichte an der FU Berlin, hat nunmehr die lang erwartete Neubearbeitung seiner Kulturgeschichte des Baumes vorgelegt. Die Neuauflage umfasst rund 100 Seiten mehr und weist zudem auch mehr als doppelt so viele Abbildungen auf. Dies gestattet eine Erweiterung und Vertiefung des Stoffs, wie sie diesem wunderbaren Thema angemessen ist. Denn die "Bedeutung des Baumes", so der Autor, "ist so vielschichtig wie die Anzahl der Jahresringe."

In der Tat, der Baum ist weitaus mehr als nur ein wichtiger Rohstoff. Er gilt als Symbol für das Leben schlechthin - und dies in allen Kulturen und zu allen Zeiten. Daher kommt dem Baum auch in Mythen, heiligen Schriften, Märchen, in der Musik, der Literatur, der Bildenden Kunst und der Philosophie eine so überragende Bedeutung zu. Als Naturdenkmal vermag der Baum ganze Landschaften zu prägen. Er steht zudem aber auch im engen Zusammenhang mit allerlei Brauchtum. Etwa wenn er zur Geburt eines Kindes gepflanzt wird, wenn er als Maibaum Straßen und Gebäude schmückt oder als Weihnachtsbaum feierlichen Glanz in die gutbürgerliche Stube bringt.

Auch wenn Demandt die enorme Bedeutung des Baumes als Rohstoff und als veredeltes Wirtschaftsgut keineswegs außer Acht lässt, sein Hauptinteresse gilt der unmittelbaren kulturellen Bedeutung. Schließlich liefern Baum und Wald über Jahrtausende nicht nur das Material für den Städte- und Flottenbau oder das heimische Herd- und Kaminfeuer. Auch über die reine Ökonomie hinaus sind der Karriere des Baumes kaum Grenzen gesetzt: Bäume werden nicht nur zu Kunstwerken verarbeitet, sie werden sogar als Gottheiten verehrt. Der Baum, so Demandt, hat gewissermaßen "in den Religionen, im Brauchtum und Schriftgut, im Denken und Reden und auf allen Gebieten der Literatur und der Kunst von der Antike bis zur Gegenwart" tiefe Wurzeln geschlagen.

Demandts lebendig geschriebene und reichhaltig illustrierte Darstellung verdeutlicht, dass wir für unser Leben kaum einen zuverlässigeren Begleiter finden können als den Baum. Er ist nicht nur Seelentröster und Hoffnungsträger, Meditationsobjekt und Erinnerungsort. Der Baum führt uns wahre Strebsamkeit und Standhaftigkeit vor Augen. Und er zeigt zudem auf, in welch engem Zusammenhang doch Einheit und Vielfalt sowie Vergehen und Wiederkehr stehen. "Grüne Bäume", so Demandt, "sind Bilder des Lebens, dürre sind Bilder des Todes." Kein Wunder also, dass auch in der Bibel jene anschauliche Parallele zwischen Baum und Mensch als unverzichtbar gilt. Im ersten Psalm heißt es beispielsweise über den Gottesfürchtigen: Er "ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht".

Wie kein anderes Mitgeschöpf versinnbildlicht der Baum, dass Leben stets vom Verhältnis zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit geprägt ist. Für Demandt gilt: "Der Baum dient realiter dem Leben, idealiter dem Denken." Und wie der Mensch, so ist jeder Baum ein faszinierendes Individuum. Für Demandt kommt das Fällen eines Baumes daher auch einer "Exekution" gleich.

Demandt gelingt es auf höchst kenntnisreiche und anregende Weise zu veranschaulichen, dass es außer dem Baum wohl auf Erden kein zweites Geschöpf gibt, mit dem die Geschichte und das Geschick der Menschheit so vielfältig und eng verknüpft ist. Ein Buch für Leser, die sich gern mal wieder so richtig "festlesen" wollen, um dabei Wurzeln zu schlagen.

Alexander Demandt: Der Baum. Eine Kulturgeschichte. Böhlau Verlag, Köln, 2. überarbeitete und erweiterte Auflage 2014, 470 Seiten, Euro 29,90.

Reinhard Lassek

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