Nervenstarke Frau

Wibrandis Rosenblatt und ihr Wirken in Basel, Straßburg und Cambridge
Mit 38 Jahren schon dreifache Witwe: Wibrandis Rosenblatt. Foto: Universitätsbibliothek Heidelberg
Mit 38 Jahren schon dreifache Witwe: Wibrandis Rosenblatt. Foto: Universitätsbibliothek Heidelberg
Sie war nacheinander mit drei der bedeutendsten oberrheinischen Reformatoren verheiratet und brachte elf Kinder zur Welt. Wibrandis Rosenblatt prägte im 16. Jahrhundert das Bild der Pfarrfrau wie kaum eine andere. Die Theologin Sonja Domröse erinnert an die ungewöhnliche Frau.

Sie war eine der ersten Pfarrfrauen und hat damit ein Rollenmodell geprägt, das jahrhundertelang gelten sollte. Mit drei bedeutenden Reformatoren war sie nacheinander verheiratet, elf Kinder hat sie zur Welt gebracht, in Basel, Straßburg und Cambridge hat sie gelebt, und viermal wurde sie Witwe. Die Frau mit dem wohlklingenden Namen Wibrandis Rosenblatt (1504-1564) hatte nicht nur ein bewegtes Leben, gekennzeichnet durch Krisen, Verluste und Neuanfänge. Beeindruckend an ihr sind vor allem ihre innere Stärke, ihre Glaubenszuversicht und ihre im Alltag gelebte Tatkraft.

1504 in Säckingen als Tochter eines Feldhauptmanns und einer angesehenen Bürgerstochter geboren, heiratete sie mit 20 Jahren das erste Mal. Doch schon nach zwei Jahren Ehe mit dem Basler Magister Ludwig Keller und der Geburt der ersten Tochter Wibrandis, wurde die junge Frau Witwe. Basel, Zürich und Straßburg waren zu dieser Zeit die großen Mittelpunkte der reformatorischen Erneuerung im Gebiet des Oberrheins. Die bedeutendsten Reformatoren dieser Städte, Johannes Oekolampad, Ulrich Zwingli und Martin Bucer, Wolfgang Capito sowie Matthäus Zell standen in regem freundschaftlichem Austausch miteinander.

1522 veröffentlichte Martin Luther seine Schrift "Vom ehelichen Leben", in der er die Ehe zur ersten von Gott geschaffenen gesellschaftlichen Ordnung erklärte. Unter den Reformatoren setzte daher alsbald eine regelrechte Heiratswelle ein. 1522 heiratete Martin Bucer die ehemalige Nonne Elisabeth Silbereisen, ebenfalls in Straßburg vermählte sich Matthäus Zell ein Jahr später mit Katharina Schütz, Wolfgang Capito ehelichte 1523 Agnes Roettel, Katharina von Bora und Martin Luther feierten 1525 Hochzeit. In Basel begann daher auch Johannes Oekolampad über eine Ehe nachzudenken, aber erst nachdem seine Mutter Anfang Februar 1528 gestorben war, entschloss er sich zur Heirat. Mit 46 Jahren war er nicht mehr der Jüngste und im Haushalt lebte noch sein greiser Vater. Seine Wahl fiel auf die 22 Jahre jüngere Wibrandis Rosenblatt. Am 15. März 1528 heirateten die beiden und mussten zu Anfang viel Spott über sich ergehen lassen. So schrieb zum Beispiel Erasmus von Rotterdam anzüglich über diese Ehe: "Vor wenigen Tagen heiratete Oekolampad eine Frau, ein Mädchen nicht ohne Geschmack, er ist begierig, in der Fastenzeit das Fleisch mürbe zu machen."

Unpraktischer Theologe

Was Wibrandis über ihre Ehe dachte und empfand, ist nicht überliefert. Oekolampad schrieb: "Ich möchte zwar, dass sie ein wenig älter wäre, aber ich habe bis heute nichts von jugendlicher Unreife an ihr gefunden. Ich bitte Gott, dass diese Ehe glücklich sei und lange währe." Noch im Jahr ihrer Hochzeit bekam das Paar sein erstes gemeinsames Kind, den Sohn Eusebius. Im März 1530 kam, Irene, zur Welt. Wiederum ein Jahr später wurde die Tochter Aletheia geboren. Wibrandis Rosenblatt, die 1529 mit ihrem Mann in das Pfarrhaus am Basler Münster eingezogen war, stand nun einem großen Haushalt vor, in dem nicht nur ihre Kinder zu erziehen waren, sondern auch immer wieder Platz für Glaubensflüchtlinge und Hilfesuchende geschaffen wurde. In Urkunden über den Besitz der Familie wird sie als Miteigentümerin und Käuferin genannt. Doch schon mit 27 wurde sie zum zweiten Mal Witwe. Wieder stand sie vor der Aufgabe, sich und ihre nun mittlerweile vier Kinder zu versorgen. Während Oekolampad noch mit dem Tod kämpfte, war in Straßburg auch die Frau seines Freundes und Mitstreiters Wolfgang Capito, Agnes Roettel, gestorben. Die Freunde machten sich umgehend auf die Suche nach einer neuen Frau für Capito. Denn der als unpraktisch veranlagt geltende Theologe litt oft an Depressionen, so dass eine schnelle Wiederverheiratung, die zu dieser Zeit als nicht anstößig galt, die beste Lösung zu sein schien. Die Wahl fiel auf Wibrandis Rosenblatt, die einen Ruf als tatkräftige und nervenstarke Frau hatte. Beide kannten sich bereits von einem Besuch Capitos im Pfarrhaus in Basel. Bereits fünf Monate nach dem Tod Oekolampads am 11. April 1532 heiratete Wibrandis Rosenblatt Wolfgang Capito.

Sie verließ ihre Heimatstadt, um mit Capito in das Pfarrhaus von Jung-St. Peter in Straßburg zu ziehen. Mit ihr zogen nicht nur ihre vier Kinder, sondern auch ihre Mutter Magdalena. Der Altersunterschied von 26 Jahren zwischen den Eheleuten war nicht unerheblich. Capito war oft krank, litt unter Schlaflosigkeit und neigte zur Schwermut. Durch Gutgläubigkeit hatte er sich zudem zu geplatzten Bürgschaften hinreißen lassen und war in erdrückende Schulden geraten.

Für seine Frau bedeutete dies, den großen Haushalt äußerst sparsam zu führen. Wie in Basel, so war auch das Pfarrhaus in Straßburg ein gastfreundliches, in dem Wibrandis wie gewohnt Gäste, Hilfesuchende und Flüchtlinge aufnahm. Ein Jahr nach ihrer dritten Hochzeit wurde Agnes geboren. Es folgten in neun Jahren Ehe vier weitere Kinder: Dorothea, Johann Simon, Wolfgang Christoph und zuletzt Irene, die den Namen ihrer früh verstorbenen Halbschwester aus Wibrandis Ehe mit Oekolampad erhielt. Unter den Patinnen und Paten der Kinder finden sich Martin Bucer und Katharina Zell, Frau des Straßburger Reformators Matthäus Zell und ebenfalls eine herausragende Frauengestalt der Reformationszeit.

Verheerende Pestepedemie

Das Jahr 1541 war für Wibrandis Rosenblatt eines, das sie vom Glück in das tiefste Leid stürzte. Sie brachte in diesem Jahr ihr neuntes Kind, die kleine Irene, zur Welt und ihre älteste Tochter Wibrandis Keller heiratete. Im Sommer des Jahres brach jedoch eine Pestepidemie aus, die in den Straßburger Familien fürchterlich wüten sollte. So starben im Hause Bucer innerhalb weniger Tage nicht nur seine Ehefrau Elisabeth, sondern auch fünf ihrer Kinder. Wibrandis Rosenblatt verlor durch die Pest den 13-jährigen Eusebius Oekolampad sowie Dorothea und Wolfgang Christoph Capito. Aber auch ihr Ehemann überlebte die Pest nicht.

Er starb einen Tag vor Elisabeth Silbereisen, der Frau seines Freundes Martin Bucer. Diese bat noch auf dem Sterbebett ihre Freundin Wibrandis, Martin Bucer zu heiraten, damit er und der einzig überlebende Sohn Nathanael versorgt seien. Ein Jahr nach der verheerenden Pestepidemie heirateten Martin Bucer, der ehemalige Dominikanermönch, und die dreifache Witwe Wibrandis Rosenblatt, am 16. April 1542. Der 50-Jährige schreibt über seine Ehe mit der 13 Jahre Jüngeren an einen Freund: "Obwohl ich über das zum Heiraten geeignete Alter hinaus bin, habe ich mich unter allseitiger Berücksichtigung meiner Verhältnisse und meines Amtes entschlossen, den Brüdern zu folgen und mich mit Capitos Witwe zu verbinden ... Die Gründe, die mich vornehmlich zu diesem Schritt bewegen, sind die Einsamkeit, die ich nicht gewohnt bin und nicht ertragen kann, dazu die Gefahr, mit fremden Leuten einen Haushalt zu führen, endlich die Vortrefflichkeit der Witwe und die Liebe, die ich den Waisen eines um mich so sehr verdienten Mannes schulde. Bittet für uns, dass unser Vorhaben Christo gefalle und der Kirche zum Nutzen sei!"

Wibrandis zog nun mit ihren Kindern Aletheia (11), Agnes (9), Johann (5), Irene (1) sowie ihrer Mutter in das Pfarrhaus von St. Thomas, der Predigtkirche Bucers. Dort lebten bereits der Sohn Nathanael sowie Bucers Vater. Das Eheleben der beiden gestaltete sich harmonisch, ein Jahr nach der Hochzeit wurde der gemeinsame Sohn Martin geboren, der noch als Kleinkind verstarb. Wenig später kam Tochter Elisabeth auf die Welt.

1549 musste Martin Bucer Straßburg verlassen und ins Exil nach England gehen. Der Rat der Stadt Straßburg hatte ihn als Prediger entlassen, denn im Schmalkaldischen Krieg unterlag die evangelische Seite der katholischen Streitmacht Kaiser Karls V. und musste sich seinen Bedingungen fügen. Über Calais schiffte sich Bucer gemeinsam mit einem Freund nach England ein. Die großen Umstürze der Zeit vor Augen, hatte Bucer bereits ein Jahr zuvor ein Testament verfasst, in dem er Wibrandis zur Erbin einsetzte. "Weil meine Frau mir und meinen Kindern bisher aufs treulichste gedient hat und ohne Zweifel noch weiter dienen wird, solange ihre Kräfte ausreichen, so will ich, dass das Witwengut, das ich von Anfang an, als wir unseren Bund geschlossen haben, zugesagt habe, um hundert Gulden vermehrt werde."

Bucer wurde jedoch krank, so dass sich Wibrandis auf den Weg zu ihm ins englische Exil machte. Der Plan sah vor, Straßburg heimlich zu verlassen, sich auf dem Rhein einzuschiffen, um bis Antwerpen zu reisen und von dort nach England überzusetzen. Acht Tage sollte die Reise dauern. Ein Jahr später kehrte sie nach Straßburg zurück, um die restliche Familie nachzuholen.

In einem der wenigen Briefe, die von ihr erhalten sind, schreibt sie an Bucer: "Wie ich gen Straßburg gekommen bin, da hat jedermann gesagt, Ihr seid auch gekommen. Da sind die Papisten zusammen gelaufen und haben Rat gehalten, wie sie Euch einen Schrecken machen wollten, und haben ausgehen lassen, sie wollten mir meine Habe beschlagnahmen. Da sind viele Leute gekommen und haben mich gewarnt. Ich habe mich aber des Handels nicht beladen wollen und habe geantwortet, sie sollten nur kommen, ich fürchte sie nicht."

Auf dem Weg ins englische Exil

Im Spätsommer 1550 bricht Wibrandis erneut nach England auf, nur wenige Monate später stirbt ihr Mann Anfang März und wird in Cambridge beerdigt. Wibrandis Rosenblatt war nun mit 47 Jahren zum vierten Mal Witwe geworden und verließ wenige Wochen später England, um nach Straßburg zurückzukehren.

Dort lebte sie die nächsten zwei Jahre. Als jedoch 1553 wiederum eine Pestepidemie über die Stadt hereinbrach, traf sie den Entschluss, in ihre Heimatstadt Basel zurückzukehren. Im Juli 1553 siedelte sie mit ihrer greisen Mutter sowie den Kindern Agnes, Johann Simon, Irene und Elisabeth und wohl auch ihrer Nichte Margarethe nach Basel um. Dort wütete "das Sterben", wie die Pest genannt wurde, im Jahr 1564 erneut. In Straßburg starben 5.000, in Basel 7.000 Menschen. Die meisten von ihnen wurden in Massengräbern bestattet. Ein Chronist berichtet über die Geschehnisse: "Unglaublich ist's, wie nach Mittagszeit um zwey und vier Uhren, da man die Abgestorbenen sonderlich zu bestatten pflegte, die Leichen aus allen Gassen daher getragen wurden." Am 1. November 1564 starb auch Wibrandis Rosenblatt an der Pest. Aus Achtung vor ihr begruben die Basler sie aber nicht in einem der Massengräber, sondern bestatteten sie - mehr als 30 Jahre nach seinem Tod - an der Seite ihres zweiten Mannes Johannes Oekolampad im Kreuzgang des Basler Münsters.

Informationen

Die Ausstellung "Eine STARKE FRAUENgeschichte - 500 Jahre Reformation" ist bis zum 31. Oktober im sächsischen Rochlitz zu sehen. Sie ist täglich von 10:00 Uhr bis 18:00 Uhr geöffnet.

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Sonja Domröse

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