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Vom Nutzen des Klimawandels
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Wer der Meinung ist, dass der kreißende Berg der Klimadiplomatie am Ende höchstens wieder eine Maus gebiert, sollte zu diesem Buch greifen. Er wird lernen, "warum es für die größte Herausforderung keine einfachen Lösungen gibt".

Die weltweite Klimadiplomatie läuft derzeit auf Hochtouren. Für den 23. September hat UN-Generalsekretär Ban Ki-moon die Staats- und Regierungschefs zum Gipfel nach New York eingeladen, um ein neues weltweites Klimaabkommen vorzubereiten. Über das Vertragswerk werden dann die Teilnehmer der jährlich stattfindenden Klimakonferenz Anfang Dezember in Lima beraten und es - so zumindest die Planung - ein Jahr später in Paris verabschieden. Wer nun der Meinung ist, dass der kreißende Berg am Ende höchstens wieder eine Maus gebiert, sollte zu Streitfall Klimawandel von Mike Hulme greifen. Er wird lernen, "warum es für die größte Herausforderung keine einfachen Lösungen gibt". So der Untertitel des Buches, das der Professor für Geographie am King's College London bereits 2009 veröffentlicht hat und das nun erstmals in deutscher Übersetzung vorliegt.

Mike Hulme stellt immer wieder die Frage, "warum wir über den Klimawandel uneins sind" und auch nach knapp zwei Jahrzehnten intensiver weltweiter Beschäftigung mit dem Thema mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre blasen. Hulme tritt einen Schritt zurück und beschreibt - nüchtern und äußerst kundig - von der Metaebene aus die unterschiedlichen Teilnehmer der Klimawandeldiskussion. Da ist zunächst die Wissenschaft, für deren Verständnis es gerade beim komplexen Thema Klimawandel wesentlich sei, wissenschaftliche Unsicherheit anzuerkennen. Das relativiert die noch immer von dem Nimbus der Objektivität umgebenen Ergebnisse der Wissenschaft.

Mindestens ebenso bedeutend bei der Debatte um den Klimawandel ist die Frage, welchen ökonomischen Werten wir folgen. Wer etwa davon ausgeht, dass statt in Klimaschutz zum Wohle zukünftiger Generationen besser in den Wohlstand heutiger Generationen investiert werden solle, macht eine andere Kosten-Nutzen-Rechnung auf als diejenigen, die die Welt von ihren Kindern nur geborgt haben - oder als zu bewahrende göttliche Schöpfung verstehen.

Womit wir bei dem Thema Religion und Klimaschutz wären, dem Hulme auch ein ganzes Kapitel widmet. "Denn einer der Gründe, warum wir über den Klimawandel uneins sind, liegt in unseren unterschiedlichen Glaubensvorstellungen davon, was unsere Pflicht gegenüber anderen, der Natur und unseren Gottheiten ist", schreibt Hulme. Denn wer etwa in endzeitlicher Erwartung lebt, interpretiert die Zeichen des Klimawandels als Vorbote einer direkten göttlichen Herrschaft - und wird entsprechend wenig Interesse daran haben, diesen Prozess aufzuhalten. Man hätte sich gerade in diesem Kapitel einen weiteren Blick in andere Weltreligionen gewünscht, eine Analyse der asiatischen Religionen wäre vor dem Hintergrund der Blockaden in China und Indien interessant gewesen.

Aber es geht Hulme ja nicht um einen klaren Fahrplan zur Stabilisierung des Klimas. Im Gegenteil: Dieses als allumfassendes Ziel für die Menschheit zu setzen, wird seiner Meinung nach zur Ernüchterung führen, weil nur dadurch - selbst im Falle eines Erfolges - die Welt in 50 Jahren kein besserer Ort sein wird. Es werde weiterhin Kriege, Armut, Ungleichheit, Hunger und Krankheit geben. Es gehe nicht wirklich darum, das Klimachaos aufzuhalten. Stattdessen müsse die "Vorstellung vom Klimawandel" genutzt werden, als Analyseinstrument für die bestehende Welt, aber auch als Treiber für Visionen für eine künftige Welt. "Unsere Auseinandersetzung mit Klimawandel und die Uneinigkeit, die dies hervorbringt, sollten stets eine Art von Erleuchtung sein." Wer so denkt, entzieht sich den Mühen, die ein politisches Ringen um mehr Klimaschutz mit sich bringt. Aber er erweitert auch den Horizont einer Debatte, die immer wieder im quälenden Kampf um Halbsätze in Klimaschutzabkommen zu versanden droht.

Mike Hulme: Streitfall Klimawandel. Oekom Verlag, München 2014, 400 Seiten, Euro 24,95.

Stephan Kosch

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