Marias Testament

Drama: Mutter und Sohn
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Colm Tóibín ist ein Bilderstürmer von Format. Seine Mutter Gottes flirtet mit der Göttin Artemis und hält nichts von den metaphysischen Flausen, die ihren Jungen umtrieben.

Der irische Schriftsteller Colm Tóibín ist ein Bilderstürmer von Format. Seine Mutter Gottes hat keinen Goldhintergrund, sie flirtet mit der Göttin Artemis und kauft sich sogar eine silberne Statue, nennt ihren verstorbenen Sohn "hochtrabend", hält nichts von den metaphysischen Flausen, die ihren Jungen umtrieben, geht vor dem Ende des Kreuzigungsdramas, weigert sich, als Model für die Pietà-Szene herzuhalten, legt in einem Traum ihren toten Sohn einem Jünger "quer über den Schoß".

In seinen Romanen ist Tóibín auf "Mütter und Söhne" spezialisiert, so der Titel eines Erzählbandes (2009). Was lag da näher, als das berühmteste Drama zwischen Mutter und Sohn zu reinszenieren. Der kurze Roman, der mit einem biblischen Verknappungsstil arbeitet, erzählt die Geschichte einer Enttäuschung: Diese Mutter Maria hatte sich für ihren Sohn eine andere Karriere gewünscht und ist noch Jahrzehnte später "deeply depressed" über seinen Lebensweg. Der Schmerz über den Verlust wurde in bittere Enttäuschung transformiert.

Als zwei Jünger bei ihr vorsprechen, um für das Evangelium noch einmal die wichtigste Zeitzeugin zu interviewen, spürt sie wenig Lust, deren Erwartungen zu bedienen, prompt schaut zumindest der eine finster drein, "wenn sich die Geschichte, die ich ihm erzählte, nicht völlig mit dem deckt, was er verfügt hat". Maria aber will "nichts sagen, was nicht wahr ist".

Natürlich lag alles am schlechten Einfluss, Jesus hing offenbar mit den falschen Freunden rum: "Ich hätte dieser Zeit, bevor er wegging, mehr Aufmerksamkeit schenken sollen, darauf achten, wer ins Haus kam, worüber an meinem Tisch gesprochen wurde. (...) Etwas an der Ernsthaftigkeit dieser jungen Männer stieß mich ab."

Mit feiner, gendertauglicher Ironie, teilt sie ihrem Sohn mit, stünden mehr als zwei Männer zusammen, könne sie nur Dummheit und Grausamkeit entdecken. Prompt schämt sie sich künftig für Jesu künstliche Stimme und seinen gestelzten Tonfall, wenn er öffentlich redet. Bereits auf der Hochzeit zu Kana setzt die Entfremdung ein: Zwei Stunden sitzen sie schweigend nebeneinander.

Diese Maria jubelt auch nicht, als er Wasser in Wein umwandelt. Und die Auferweckung des Lazarus, der in dieser Geschichte wie ein Wiedergänger gezeichnet wird, lässt sie zu dem Schluss kommen, "dass niemand sich an dem Absoluten, das der Tod bedeutet, zu schaffen machen sollte". Heimlich verflucht diese Mutter jene "Macht, die scheinbar keinerlei Erinnerung an frühere Jahre zuließ".

Als Mutter kann sie sich nur wünschen, noch einmal alles auf Anfang zu stellen, um in der Erziehung andere Wege einzuschlagen. "Wenn Wasser in Wein verwandelt werden kann und die Toten zurückgeholt werden können, dann will ich, dass sich die Zeit zurückdreht."

Den zwei Jüngern macht diese Maria einen Strich durch die Rechnung, sofern sie noch auf ultima verba Jesu während der Kreuzigung hoffen. "'Ich war dort', sagte ich. 'Ich floh, bevor es vorbei war, aber wenn ihr Zeugen braucht, dann bin ich eine Zeugin, und wenn ihr sagt, dass er die Welt erlöst hat, dann sage ich, dass es das nicht wert war. Das war es nicht wert.'"

Diese Sätze sind nicht mythentauglich, also reisen die zwei historischen Jesusforscher wieder ab, und Maria wirft sich in die Arme der großen Göttin Artemis. Die psychologische Figurenzeichnung dieses Mutter-Sohn-Dramas war offenbar so überzeugend, dass nicht einmal die römisch-katholische Kirche Irlands protestierte. Die hat bekanntlich andere Sorgen.

Colm Tóibín: Marias Testament. Carl Hanser Verlag, München 2014, 128 Seiten, Euro 14,90.

Klaas Huizing

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Klaas Huizing

Klaas Huizing ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Würzburg und Autor zahlreicher Romane und theologischer Bücher. Zudem ist er beratender Mitarbeiter der zeitzeichen-Redaktion.


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