Lieber ein Dilemma

Sterbehilfe: Töten darf nicht zum Normalfall werden
Es geht nicht um Einmischung in die persönliche Gestaltung des Sterbens. Es geht um den Stellenwert des Lebens in unserer Sozialkultur.

Kaum ein ethisches Thema prägt die Debatten im politischen Berlin derzeit so stark wie die Auseinandersetzung um die Sterbehilfe. Jenseits der Parteigrenzen wird darum gestritten, ob die Beihilfe zur Selbsttötung, auch "assistierter Suizid" genannt, in Zukunft rechtlich zugelassen werden soll oder nicht. Auch die Kirchen beteiligen sich an dieser Debatte. Die rechtliche Zulassung der Beihilfe zur Selbsttötung stößt bei ihnen auf Widerspruch. Es gibt Stimmen, die dahinter moralische Bevormundung wittern. Sie verbitten sich eine Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten. Und das Sterben ist ganz bestimmt etwas sehr Persönliches.

Aber es geht nicht um Einmischung in die persönliche Gestaltung des Sterbens. Es geht um den Stellenwert des Lebens in unserer Sozialkultur. Denn das seit vielen Jahrhunderten in unserer Kultur verwurzelte tiefe Gefühl, dass es unrecht ist, wenn wir eigenes oder fremdes Leben gewaltsam beenden, hat ja gute Gründe. Und es sind zuallererst nicht negative, sondern positive Gründe. Das in unseren Intuitionen wie in den unsere Kultur prägenden ethischen Traditionen verankerte Tötungstabu gründet in der Dankbarkeit und dem Staunen über das Wunder des Lebens. Was zunächst pathetisch klingt, wird schnell verständlich, wenn wir das Wachsen eines Kindes im Mutterbauch wahrnehmen - als Mütter, als Väter, als Freundinnen oder auch als Mediziner. Wenn wir das Neugeborene auf dem Arm halten und im Hinblick auf das Leben die besondere Dankbarkeit empfinden, die man spürt, wenn etwas nicht Ergebnis der eigenen Leistung, sondern einfach nur Geschenk ist.

Solche Erfahrungen am Anfang eines Lebens sind es wahrscheinlich auch, die das Ende eines Lebens zu einer solch intensiven Erfahrung machen, die niemanden unberührt lässt. Und das gilt unabhängig davon, ob jemand im Frieden, alt und lebenssatt, stirbt oder unter Umständen, die Anlass zur bitteren Klage geben. Auch die Klage ist ja Ausdruck des tiefen Gefühls, dass etwas ungeheuer Kostbares endgültig zu Ende gegangen ist. Die Klage über ein zu Ende gegangenes Leben und die Dankbarkeit und das Staunen über das Wunder des neuen Lebens sind zwei Seiten der einen Medaille.

Weil das Leben etwas so Kostbares ist, ist es richtig, dass wir davor zurückschrecken, das Töten zu etwas Normalem zu machen - auch wenn die Umstände noch so genau geregelt sein mögen. Denn das Töten darf zu nichts Normalem werden. Niemand sollte Menschen die Ernsthaftigkeit ihrer moralischen Motive absprechen, wenn sie für rechtliche Möglichkeiten der Tötung auf Verlangen oder der Unterstützung der Selbsttötung eintreten. In vielen Fällen steht dahinter vor allem eine tiefe Sensibilität gegenüber dem Leiden von Menschen. Aber die rechtliche Zulassung birgt Risiken für die Veränderung unserer Sozialkultur, die nicht unterschätzt werden sollten. Den notwendigen Raum für persönliche Gewissensentscheidungen in Dilemmasituationen zu lassen, ist die bessere Lösung. Denn die anhand des Rechts öffentliche Billigung aktiver Beendigung des Lebens verletzt ein Tabu, das sich aus der Dankbarkeit und dem Staunen über das Wunder des Lebens speist und für das es gute Gründe gibt.

Heinrich Bedford-Strohm ist Landesbischof in Bayern und Herausgeber von zeitzeichen.

Heinrich Bedford-Strohm

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