Seiner Majestät ganzer Stolz

Die Schau "Ein Haus - viele Herren" im Berliner Dom
Ende der Achtzigerjahre: Berliner Dom, Marienkirche und Palast der Republik (von links). Foto: Berliner Dom
Ende der Achtzigerjahre: Berliner Dom, Marienkirche und Palast der Republik (von links). Foto: Berliner Dom
Der Berliner Dom ist seit seiner Wiedereinweihung 1993 eine der bedeutendsten protestantischen Kirchen Deutschlands. Jetzt informiert eine kleine, aber feine Multimediaausstellung anlässlich des Themenjahres "Reformation und Politik" der Lutherdekade anschaulich über 500 Jahre Kirchengeschichte.

Mindestens 150 Menschen sitzen in den Bänken, die Orgel präludiert kunstvoll über "Aus tiefer Not schrei ich zu dir" - dann verstummt sie. Eine junge Pfarrerin tritt vor den Altar und lädt alle Menschen, die noch im weiten Rund umhergehen, ein, doch bitte Platz zu nehmen und die Mittagsandacht mitzufeiern - "etwa eine Viertelstunde".

Ein Montag im September, zwölf Uhr, Alltag im Berliner Dom. Jeden Tag gibt es eine Mittagsandacht, die den vielen Touristen aus aller Welt zeigt, dass der Dom mitten auf einer Insel in der Spree nicht nur ein imposantes Steindenkmal aus der Blütezeit des Wilhelminismus ist, sondern auch ein reiches gottesdienstliches und kirchenmusikalisches Leben birgt. Und wer in Deutschland ein protestantisches Pendant zum Kölner Dom sucht, kommt am Prachtbau aus der Kaiserzeit nicht vorbei.

Die wechselvolle Geschichte des bald 110-jährigen Kirchbaus lässt sich seit dem Sommer anhand einer klug konzipierten Ausstellung unter dem Titel "Ein Haus - viele Herren. Der Berliner Dom in Zeiten politischen Wandels" nachvollziehen und zwar ohne dass der Dom mit Ausstellungsvitrinen verschandelt worden wäre. Unauffällig stehen im großen Innenraum der Predigtkirche, im Kaiserflur, in einer Loge, in der Hohenzollerngruft und in den Aufgängen insgesamt acht Filmstelen mit Monitoren, auf denen die Besucher hervorragend gemachte Animationsfilme schauen. Alle etwa drei Minuten lang und alle augenzwinkernd, dabei aber absolut seriös und gekonnt gemacht! Die Unterstützung der Bundesbeauftragten für Kultur im Themenjahr "Reformation und Politik" anlässlich der Lutherdekade erlaubte es den Verantwortlichen der "Oberpfarr- und Domkirche zu Berlin", so die offizielle Bezeichnung der Domgemeinde, in Sachen Filmkunst zu klotzen und nicht zu kleckern.

In den Filmclip-Kleinodien erfährt der interessierte Besucher, ohne unnötig aufgehalten zu werden, unter anderem alles Wesentliche, was die Geschichte des wilhelminischen Prachtbaus seit seiner Grundsteinlegung 1894 prägte. Unter anderem die Worte, die der stolze Kaiser Wilhelm II. am Abend der Einweihung am 27. Februar 1905 reichlich selbstzufrieden in sein Tagebuch notierte: "Heute früh haben wir den neuen Dom eingeweiht. Die Feier verlief in der äußerlich glänzenden Weise, die wir ziemlich gleichmäßig allen solchen Festlichkeiten angedeihen lassen." Mit großem Eifer hatte der letzte deutsche Kaiser die Ermöglichung des Baus vorangetrieben und sich dabei durchaus als Experte geriert. Regelmäßig ließ er sich die Entwürfe der Architekten und Bildhauer kommen und teilte gerne Wünsche mit. Zum Beispiel diesen bezüglich der großen Luther-Figur, die mit den Figuren der drei Co-Reformatoren Melanchthon, Zwingli und Calvin das große Rund des Innenraums prägt: "Nur wünschen Seine Majestät in der weiteren Ausführung die Mundwinkel des Luther weniger heruntergezogen, das Knie desselben weniger markiert und die kleinen Motive des Gewandes ruhiger behandelt zu sehen, auch die Fußspitzen etwas weniger vorspringend."

Weihevolle Inszenierung

Nach dem Rücktritt der Hohenzollern verlor der Dom kurzfristig an Bedeutung, bevor die Nazis ihn als Bühne für weihevolle Inszenierungen wiederentdeckten. Zu den zweifelhaften Höhepunkten dieser Zeit gehört die 1935 als "Hochzeit des Jahres" bezeichnete Vermählung von Hermann Göring mit der Schauspielerin Emmy Sonnemann. Zu diesem Ereignis können die Besucher in der die Animationsfilme ergänzenden Ausstellung aus dem Domarchiv in einer Zeitung von damals folgende Sätze zeitgenössischer Boulevardlyrik lesen: "... unter den jubelnden Heilrufen der Menge betrat das Brautpaar den Dom. Weihevolle Stimmung schwang durch den majestätischen Kuppelraum des Berliner Doms, den künstlerische Hände in einen Blütenhain verwandelt hatten. Von den Brüstungen der Logen und Emporen hingen die schweren rosafarbenen Dolden der Hortensien herab, und weiß und rosa waren auch die Farben, die in dem Gewoge von Kirschblüten und Rosen die strenge Feierlichkeit der Apsis milderten." Und dann noch dies: "Ein kleiner fröhlicher Zwischenfall wurde mit herzlichem Humor vermerkt: Ein Storch, Bote des Frühlings, zog seine ruhigen Kreise über Dom und Schloss ...". Nun ja.

1944/45 wurde der Dom durch die Bomben des Zweiten Weltkriegs schwer beschädigt und blieb so stehen. Niemand wollte oder konnte ihn wiederaufbauen. In den Siebzigerjahren ließ die DDR-Führung anstelle des 1950 gesprengten Stadtschlosses der Hohenzollern, das direkt gegenüber dem Dom lag, den Palast der Republik, einen modernen Glas- und Betonprotzbau errichten. Was tun mit der Kirchenruine? Einfach sprengen wie 1950 das Schloss, kam im Zeitalter der Entspannungspolitik nicht in Frage. Also überwand die DDR-Führung ihre Skepsis und genehmigte den Wiederaufbau des Doms, der ihr eigentlich als Symbol des preußischen Militarismus verhasst war. Das Geld kam ausschließlich aus dem Westen, was der Animationsfilm mit einem munteren Anflug zahlloser Hundert-Mark-Scheine anschaulich symbolisiert. 1993 konnte der in alter Pracht erstrahlende Dom wiedereingeweiht werden.

Die Ausstellung präsentiert aber keineswegs nur das 20. Jahrhundert des wilhelminischen Dombaus, sondern auch die vierhundert Jahre davor: Kurz, prägnant und mit einem Augenzwinkern wird in den Filmclips von Kurfürst Joachim erzählt, unter dem 1539 die Reformation in Brandenburg eingeführt wurde und von Kurfürst Sigismund, der 1613 vom Luthertum zum reformierten Glauben übertrat, seinen Untertanen aber huldvoll gestattete, beim Luthertum zu bleiben. Anschaulich werden das landesherrliche Kirchenregiment und die preußische Kirchenunion von 1817 erklärt, und besonders gelungen ist der Film über Oberdom- und Hofprediger Bruno Döhring, der fast fünfzig Jahre am Dom wirkte und alle politischen Systeme vom Kaiserreich bis zur DDR er- und überlebte. Döhring kann als Prototyp jenes nationalen Protestantismus gelten, der als Kaisertreuer die Weimarer Demokratie verachtete, aber dann trotzdem mit den Nazis in Konflikte geriet. So präsentiert die Ausstellung "Ein Haus - viele Herren", ohne den imposanten Raumeindruck in irgendeiner Weise zu beeinträchtigen, den Dom als das, was er auf jeden Fall ist: Ein Stein gewordenes Zeugnis des diesjährigen Themenjahres "Reformation und Politik" der Lutherdekade. Leider soll die Ausstellung am 31. Dezember 2014 enden. Der beeindruckte Besucher fragt sich, warum die Filmstelen nicht einfach da stehen bleiben können, wo sie sind, damit das so meisterhaft Zusammengetragene noch weitere Jahre die Besucherströme im Dom laben kann? Zumindest bis 2017? Nun, man wird sehen.

Informationen

Die Ausstellung "Ein Haus - viele Herren. Der Berliner Dom in Zeiten politischen Wandels" ist noch bis zum 31. Dezember 2014 im Berliner Dom, Am Lustgarten, 10178 Berlin, zu sehen.

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Reinhard Mawick

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