Scheinbare Nervigkeit

Auch im Netz zeigt sich: Nachahmung ist menschlich
Foto: pixelio/Dietmar Meinert
Ein Mem macht vielen Leuten Spaß, wird von vielen imitiert und verbreitet sich in Windeseile in den sozialen Netzwerken, auf Internetseiten und über den Kurznachrichtendienst Twitter. Und nicht immer ist es sinnfrei.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich im vergangenen Jahr ein Video, das der Blogger Filthy Frank ins Internet gestellt hatte. Die Filmsequenz zeigt Tänzer in knalligen Kostümen, die sich zappelnd zu Elektro-Beats bewegen. Binnen kürzester Zeit kopierten Menschen weltweit diesen so genannten Harlem Shake. Sie schlüpften in möglichst verrückte Verkleidungen, tanzten zuckend und hüpfend auf Straßen, Plätzen und in Wohnzimmern. Ihre Tanzeinlagen als Feuerwehrmänner, Computerspielfiguren oder leichtbekleidete Gogo-Girls filmten sie und stellten die Videos wiederum ins Internet.

Der Zappel-Tanz Harlem Shake hat alles, was ein "Mem" ausmacht. Diesen Begriff verwendete als erster der britische Evolutionsbiologe Richard Dawkins in seinem 1976 erschienenen Buch "The Selfish Gene" ("Das egoistische Gen"). Er umschrieb damit Informationen, die sich zwischen Menschen durch Nachahmung verbreiten. Inzwischen sind Meme vor allem im Kontext des Internets beheimatet: "Ein Mem ist eine kulturelle Form oder ein kulturelles Muster, wie beispielsweise ein Lied, ein Text, ein Bild oder ein Video, das sich im Internet, trotz seiner scheinbaren relativen Sinnlosigkeit oder seiner scheinbaren Nervigkeit mit bemerkenswerter Beharrlichkeit und Eigendynamik verbreitet und in den Köpfen der Nutzer festsetzt," erklärt in einem Netzvideo der Blogger Christian Heller, der im Internet unter dem Pseudonym plomlompom firmiert.

Kurz: Ein Mem macht vielen Leuten Spaß, wird von vielen imitiert und verbreitet sich in Windeseile in den sozialen Netzwerken, auf Internetseiten und über den Kurznachrichtendienst Twitter. Meme funktionieren nach dem Schneeball-System: Was eine Mehrheit von Internetnutzern witzig, skurril, unterhaltsam oder einen Kommentar wert findet, wird nachgeahmt. Ein Beispiel ist etwa die Katze "Grumpy Cat", die wegen ihrer schlechten Laune und ihres mürrischen Gesichtsausdruckes im Internet Berühmtheit erlangte. Zahlreiche Menschen filmten oder fotografierten daraufhin ihr Haustier mit missmutigem Blick und stellten Bild oder Film online. Überhaupt sind Katzenfotos, die häufig mit albernen Texten versehen werden, im Internet ein Hit. 2005 tauchten erstmals so genannte lolcats auf - Katzen, denen orthografisch und grammatikalische Nonsens-Sätze in den Mund gelegt werden. Bis heute geistern diese Katzenbilder durchs Netz, werden weiterentwickelt und sind inzwischen längst folkloristischer Internet-Mainstream.

Nicht immer sind Meme so sinnfrei wie im Falle der viralen Miezekatzen. Meme können, von vielen geteilt und weiterentwickelt, auch Politsatire oder politischer Kommentar werden. Beispielsweise war der Spott im Netz beißend, als der frühere Kanzleramtschef Ronald Pofalla im vergangenen Sommer die Totalausspähung der Deutschen durch die Vereinigten Staaten bestritt und die NSA-Affäre für beendet erklärte. Rasend schnell verbreiteten sich Bilder mit dem Konterfei des CDU-Politikers im Internet, auf denen er alle möglichen Dinge für beendet erklärte: die Unendlichkeit, die Glaubwürdigkeit der Bunderegierung, Schuberts 8. Sinfonie oder den Sendebetrieb von RTL. Tageszeitungen griffen die Kommentare auf, das Mem gelangte in die analoge Welt.

Letztlich gilt jedoch: Nicht alles taugt zum Mem. Zum Internetphänomen wird nur, was den Geschmack, den Humor oder den Nerv der Netzgemeinde oder einer großen Nutzergruppe trifft. Die Internet-User regulieren, so gesehen ganz demokratisch, die Ausbreitung eines Mems. Das mag, angesichts der Informationsflut, die täglich neu ins Internet eingespeist wird, tröstlich sein. Es darf jedoch nicht vergessen werden: Ein Lauffeuer lässt sich nur schwer eindämmen. Und die Brandschäden können immer wieder im Netz besichtigt werden, sie bleiben.

Barbara Schneider

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