Halbherzig

Trotz neuem Gesetz bleiben Babyklappen in der Grauzone
Das neue Gesetz ist kein Meilenstein, wie vom Bundesfamilienministerium bezeichnet, sondern allenfalls ein Mosaikstein, der das Dilemma einer ethisch schwierigen Situation nicht aufhebt.

Dass eine schwangere Frau nach der Geburt nicht für ihr Kind sorgen will, ein Leben mit ihm für sie gar ausgeschlossen scheint, ist eines der letzten Tabus hierzulande. Und doch eine gesellschaftliche Realität, die akzeptiert werden muss. Bislang sind in Deutschland Geburten, die ohne Hinweis auf den Namen oder die Herkunft der Mutter erfolgen, illegal. Frauen, die ihr Kind in eine Babyklappe geben oder in einem Krankenhaus anonym gebären, handeln rechtswidrig. Ebenso wie die unterstützenden Hebammen, Krankenschwestern und Ärztinnen.

Das soll sich zum 1. Mai ändern. Denn dann tritt das "Gesetz zur vertraulichen Geburt" in Kraft. In Not geratene Mütter können jetzt im Krankenhaus zwar offiziell anonym gebären, müssen sich jedoch einer Beraterin gegenüber ausweisen und sich verpflichten, ihre Daten in einen versiegelten und mit Pseudonym versehenen Umschlag zu stecken. Dieser wird an das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben zur Verwahrung gesandt. Sechzehn Jahre später kann das Kind entscheiden, ob es Einsicht möchte oder nicht. Und die leibliche Mutter hat das Recht, unter bestimmten Umständen die Einsicht zu verweigern.

Geboren ist in diesem Kontext das Wort "vertrauliche Geburt". Es versucht, den Konflikt zwischen anonym, also illegal und legal, auszubalancieren. Doch es kann den schwierigen ethischen Interessenskonflikt nicht aufheben. Jedes Kind hat einen Anspruch zu wissen, wer seine Mutter ist. Dieses Recht ist durch die Verfassung geschützt. Aber es trifft auf eine Mutter, die in einer Notsituation lebend ihre Identität nicht preisgeben kann und will. Es ist deshalb mehr als fraglich, ob das Gesetz seinem Anspruch gerecht wird, heimliche Geburten außerhalb von medizinischen Einrichtungen unnötig zu machen und damit Fälle zu verhindern, in denen Neugeborene ausgesetzt oder getötet werden. Im Gegenteil: Das Gesetz geht fälschlicherweise davon aus, dass Frauen, die ihre Schwangerschaft verdrängen, eine Beratungsstelle aufsuchen. Und damit ist das Gesetz halbherzig.

Zwar begrüßen die Diakonie Deutschland und die evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen (EAF) das neue Gesetz. Doch zu Recht weist die EAF darauf hin, dass es weiterhin Frauen geben wird, die unter keinen Umständen ihre Identität preisgeben werden. Die Augen davor zu verschließen, ist fahrlässig und gefährdet das Leben von Mutter und Kind. Für ihre Notlage ist das neue Gesetz wenig hilfreich, denn es bleibt die bisher geduldete Rechtspraxis bestehen. Die hierzulande rund achtzig Babyklappen und 130 Kliniken, die so genannte anonyme Geburten anbieten, werden das weiter in einer rechtlichen Grauzone tun. Damit ist das neue Gesetz kein Meilenstein, wie vom Bundesfamilienministerium bezeichnet, sondern allenfalls ein Mosaikstein, der das Dilemma einer ethisch schwierigen Situation nicht aufhebt.

Halbherzig ist es auch, weil es niemanden in die Pflicht nimmt, die gesellschaftliche Stigmatisierung von Frauen aufzuheben, die ihr Kind zur Adoption freigeben. Darin liegt noch immer ein großes Tabu. Es aufzuheben, wäre der gesellschaftliche Auftrag - dazu bessere Informationen über Hilfsangebote, die in Not geratene Frauen tatsächlich erreichen. Nur so kann ihnen ein Weg gezeigt werden.

Kathrin Jütte

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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