Von Barmen nach Bern und zurück
"Die gegenwärtige Not und Verwirrung der Kirche in vielen Ländern treibt uns zu ernstlicher Buße ...". Da klingelt etwas in kirchlich sozialisierten Ohren, wenngleich der Wortlaut fremd bleibt. Das klingt nach Barmen, aber es ist nicht Barmen, sondern Bern. "Reformation und Politik" lautet das Jahresthema 2014 der Lutherdekade passend zum 80. Jahrestag der Barmer Theologischen Erklärung vom 31. Mai 1934. Barmen ist weltweit zum kirchlichen Fanal gegen politische Unterdrückung und staatlichen Terror geworden. Theologisch betrachtet gehört Barmen auch in die Schweiz: Bekannt sind der Basler Karl Barth, spiritus rector der Barmer Theologischen Erklärung, und Alfred De Quervain aus La Neuveville, 1931-1938 Pfarrer im anderen Wuppertaler Stadtteil Elberfeld, engagiertes Mitglied der Bekennenden Kirche. Schliesslich die kaum bekannte theologische Städtepartnerschaft zwischen Barmen und Bern: Der kirchengeschichtliche Weg nach Barmen führt chronologisch von der "Freien reformierten Synode" im Januar über die "Berner Erklärung" im März zur "Barmer Theologischen Erklärung" im Mai 1934.
Der eingangs zitierte Satz stammt aus der fünften These der "Berner Erklärung". Er greift das Anliegen von Barmen aus externer Sicht auf: "Kirche in vielen Ländern" - und schwenkt dann in verblüffender Weise auf die eigene Situation um: "...treibt uns zu ernstlicher Buße". Kein kritischer Kommentar zur Lage der Schwesterkirchen, kein brüderlich mahnender oder aufmunternder Ratschlag, keine Distanzierung - im Gegenteil: Zusammenstehen unter dem Kreuz. Zur Buße treibt es Menschen, die sich ihrer eigenen Schuld bewusst sind. Es geht nicht um kirchliche Solidarität, sondern um die gemeinsame Not der Kirche. Deshalb war die vom damaligen Sekretär des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes Adolf Keller verfasste Berner Erklärung offiziell an den Dienststellenleiter des Kirchlichen Aussenamtes in Berlin, Bischof Theodor Heckel, adressiert.
Bern und Barmen stehen für das innere Ringen der Kirche. Dem Schweizer Bekenntnistext erging es kaum anders als seinem Pendant in Deutschland. Den einen galt er als unzulässige Einmischung in ausländische Angelegenheiten, anderen als Verrat an der eigenen Neutralität, wieder andere mahnten zu einer abwartenden Haltung gegenüber den Entwicklungen im Nachbarland. Die meisten störten sich aber am ausdrücklichen Bekenntnischarakter der Erklärung. Von einer Bekenntniskirche wollte auch bei uns kaum jemand etwas wissen. Daran hat sich wenig geändert.
In diesem Jahr erinnern die Kirchen an Barmen und Bern. Sollten wir den beiden Erklärungen Feierlichkeiten wünschen? Anlässe, die gefeiert werden, neigen dazu, das Gefeierte zur institutionellen Selbsterhaltung umzufunktionalisieren. Feste, denen der existentielle Stachel gezogen wird, sind notorisch harmlos. Vor allem aber lassen sich Bekenntnisse nicht feiern, es sei denn, die Feier ist Bekenntnis. Das wünsche ich Barmen und Bern, dass sie zum Bekennen anstacheln - mittendrin in der Passionszeit mit Blick auf Kreuz und leeres Grab, und das mittendrin in einer wenig heilen Welt.
Gottfried Locher ist Präsident des Evangelischen Kirchenbundes der Schweiz und Mitherausgeber von zeitzeichen.
Gottfried Locher