Einsatz in Syrien

Ein bewegendes Tagebuch
Bild
Rupert Neudeck ist nahe herangegangen, gemeinsam mit den Mitarbeitern der "Grünhelme" sogar hineingegangen in das vom Krieg zerstörte Syrien, als dies noch keine andere Hilfsorganisation wagte.

In der Regel muss man einen Schritt zurücktreten, um das gesamte Bild zu erfassen, die Zusammenhänge zu sehen und die einzelnen Bausteine einordnen zu können. Doch dieses Buch zeigt, dass auch der andere Weg, die Nahaufnahme, die subjektive Schilderung von Details, der Zoom, tiefe Erkenntnisse und ein besseres Verständnis für die Gesamtsituation bringen. Dann nämlich, wenn, wie in Rupert Neudecks Tagebucheinträgen aus dem syrischen Bürgerkrieg, die Einzelteile für etwas stehen und in ihnen übergeordnete politische Verhältnisse konkret werden.

Rupert Neudeck ist nahe herangegangen, gemeinsam mit den Mitarbeitern der "Grünhelme" sogar hineingegangen in das vom Krieg zerstörte Syrien, als dies noch keine andere Hilfsorganisation wagte. "Denn das Einzige, was unter Menschen, die verfolgt, bedroht oder zur Flucht gezwungen werden, wirklich zählt, ist das menschliche Mitgefühl, die Sympathie und die konkrete Hilfe, die wir mit unseren Spenden und den Händen der Helfer leisten wollen und können." Soweit der auch aus tiefer christlicher Überzeugung herrührende Impetus Neudecks, der dazu führte, dass durch das Assad-Regime zerstörte Schulen und ein Krankenhaus in Azaz nahe der türkischen Grenze zum Teil wieder aufgebaut wurden und damit Verletzte versorgt und Kinder unterrichtet werden konnten - alles in der Hoffnung und Erwartung auf ein baldig befreites Syrien.

Davon zeugt Neudecks Tagebuch, aber auch davon, dass dieser Optimismus irgendwann seine Grenzen fand durch einen Diktator, der weiterhin an der Macht blieb, eine Opposition, die es nicht schaffte, sich zu einigen und das Zögern der internationalen Gemeinschaft, das - so Neudeck - die religiösen Fanatisten erst zu einem ebenso gewichtigen wie zerstörerischen Faktor im syrischen Bürgerkrieg gemacht hat. Letzteres bekommen drei Grünhelm-Mitarbeiter am eigenen Leib zu spüren, als sie von so genannten Dschihadisten entführt werden und über Monate in ihrer Gewalt sind. Der letzte Teil des Buches, in dem Neudeck über die immer wieder erfolglosen Versuche der Kontaktaufnahme mit den Entführern aber auch die Sorge um die Mitarbeiter, Schuldgefühle und Verzweiflung schreibt, geht nahe und wird künftig die Nachrichten über Entführungen dieser Art anders wahrnehmen lassen.

"Das Schlimmste, was ich in 34 Jahren humanitärer Arbeit erlebt habe", schreibt Neudeck. Das sagt einer, der entscheidend an der Rettung von über zehntausend Flüchtlingen im südchinesischen Meer beteiligt und mit den von ihm gegründeten Grünhelmen in vielen Krisengebieten der Welt aktiv ist. Alle drei konnten sich mittlerweile aus der Gewalt der Entführer befreien, die Flucht von zweien wird noch im Buch beschrieben, die dritte glückte erst nach Redaktionsschluss des Buches. Selbstverständlich bleibt ein solches Ereignis nicht ohne Folgen bei allen Beteiligten, zu allererst bei den Opfern selbst, was wir zwar nur indirekt, aber eindrücklich durch die kurze Schilderung Neudecks bei einem Mitarbeiterbesuch nach dessen Rückkehr erfahren. Doch auch Neudeck ist tief erschüttert: "Ich fühle mich heute nach dieser Begegnung mit einem Gespenst wie gelähmt. Ich weiß nicht mehr, ob ich meine Arbeit noch so fortsetzen kann, wie ich es bisher gemacht habe."

Zum Glück geht die Arbeit der Grünhelme weiter, an vielen Stellen in der Welt, auch in Syrien, dort aber wohl erst, wenn die Lage dort sicherer ist. Wer dieses Buch gelesen hat, ist froh darum. Denn er hat Berichte von Menschen in katastrophaler Lage gelesen, die sich den Umständen nicht ergeben. Einen Krankenpfleger, der dafür sorgt, dass das Krankenhaus weiter existiert. Einen Lehrer, der Kindern Fremdsprachen für eine andere Zukunft beibringt und Neudeck einen Brief an Angela Merkel mitgibt. Journalisten, die mit ihren Netzwerken und Recherchekünsten konkrete Hilfe leisten, und Rebellen, die auch in der Uniform menschlich und hilfsbereit bleiben. Sie leben, wie so viele andere Menschen, von der Hoffnung, dass es ein Leben nach Assad gibt.

Rupert Neudeck: Es gibt ein Leben nach Assad. Syrisches Tagebuch. Verlag C. H. Beck, München 2013, 192 Seiten, Euro 14,95.

Stephan Kosch

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