Es vergeht kaum ein Tag, an dem in den öffentlichen Medien nicht die Prostitution in Deutschland zum Thema gemacht wird. Dabei werden ganz unterschiedliche Bilder aufbereitet: so zum Beispiel das einer jungen Frau irgendwo in einer deutschen Großstadt, die in Apartments von ihrem Zuhälter und Menschenhändler unter Gewaltandrohung zur Prostitution gezwungen wird, oft nur wenig Deutsch spricht und es nicht wagt, aus dem Teufelskreislauf von Fremde und Erniedrigung auszubrechen. Gleichzeitig meldet sich die selbstbewusste erwachsene Sexarbeiterin zu Wort, die sich ihre Freier aussucht und das Prostitutionsgewerbe als ihren legalen Arbeitsort bezeichnet. Neben diesen Bildern existieren noch diverse andere - siehe Kasten.
Selten hat es über alle Gesellschaftsschichten hinweg solch eine ambivalente Debatte gegeben, an der sich vor allem Talkshows und Printmedien intensiv beteiligen. Auch in Kirche und Diakonie ist die Diskussion um den Umgang mit Prostitution umstritten. Dabei stehen sich zwei Argumentationslinien gegenüber: die Verteidigung der bürgerlichen Freiheit, das Recht auf freie Berufswahl und die Anerkennung von sexuellen Dienstleistungen als gesellschaftliche Realität auf der einen Seite und die Forderung nach Abschaffung von Prostitution als frauenunwürdiger, ausbeuterischer Praxis.
Zwischen Oktober und Dezember 2013 bildeten sich verschiedene Kampagnen rund um das Thema der Prostitution in Deutschland: Angeführt von der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer fordert der "Appell gegen Prostitution" die Abschaffung der Prostitution. Organisierte Sexarbeiterinnen beklagen dagegen zu Recht, dass "alle über sie reden, aber niemand mit ihnen" und starteten eine Unterschriftenkampagne "Appell für Sexarbeit", in deren Mittelpunkt die Forderung nach einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sexarbeitenden steht. Wie kann es gelingen, sich in dieser Debatte einen Standpunkt zu erarbeiten, der sowohl diakonischen, gleichstellungspolitischen und menschenrechtlichen Argumenten standhält?
Es ist dringend geboten, die Phänomene des Menschenhandels zum Zwecke sexueller Ausbeutung und die Dienstleistung der Prostitution differenziert voneinander zu betrachten. Dies gelingt auch den beteiligten Akteuren nur begrenzt. Über beide Phänomene gibt es wenig empirisch gesichertes Wissen, und die Grenzen zwischen eigenverantwortlicher Prostitution und der Arbeits- und sexuellen Ausbeutung im Milieu verschwimmen in der Realität miteinander. Nur durch eine gründliche Analyse und den niedrigschwelligen Zugang zu den potenziell Betroffenen kann dieser Graubereich transparenter und den Sozial- und Rechtswissenschaften zugänglicher gemacht werden.
Mangel an Interesse
Seit der Legalisierung des Prostitutionsgewerbes in Deutschland sind Angebot und Nachfrage deutlich angestiegen. Es gibt unterschiedlichste Orte und Gewerbearten im Milieu: die städtischen Rotlichtbezirke mit ihren Bars, Peepshows, Laufhäusern und den Zonen der Straßenprostitution. Apartments und so genannte Flatrate-Bordelle befinden sich oft an der Peripherie der Städte in Gewerbegebieten. Frauen und Männer, die als Sexarbeiter/-innen tätig sind, müssen sich nicht registrieren lassen, sondern können selbstständig arbeiten. Bordell- und Barbesitzer unterliegen zur Zeit keiner erweiterten Kontrolle von Seiten der Gewerbeaufsicht oder der Polizei.
Aus Sicht der Ordnungspolitik geht es oftmals um die Kontrolle des Rotlichtmilieus - die so genannten Sperrgebiete - und um deren Koexistenz mit attraktiven Innenstadtvierteln. Es werden dabei innenpolitische Richtlinien und Verordnungen erlassen, deren Wirkungen sich am stärksten gegen die Frauen in der Prostitution richten, wie zum Beispiel die in 2012 erlassene Kontaktverbotsverordnung in Hamburg. Die gegen die Prostituierten erhobenen Bußgelder waren laut Informationen der Hamburger Innenbehörde insgesamt höher als die erlassenen Bußgelder gegenüber den Freiern.
Zum tatsächlichen Ausmaß der Prostitution in Deutschland gibt es nur Schätzungen, aber keine verlässlichen und belegbaren Daten. Im Zuge der EU-Freizügigkeit hat die Mobilität vor allem von Frauen aus Bulgarien und Rumänien sehr zugenommen. Die anerkannte Soziologin Barbara Kavemann stellte Anfang 2013 klar, dass die seriösesten Schätzungen zur Prostitution in Deutschland aus dem Jahr 2000 stammen und von 60.000 bis 200.000 Prostituierten ausgehen. Laut den Professorinnen Barbara Kavemann und Elfriede Steffan ist festzustellen, dass "zum Thema Prostitution in Deutschland zu wenig Erkenntnisse vorliegen". Es mangelt an Interesse und der öffentlichen Finanzierung, um intensivere und vor allem repräsentative Studien zur Prostitution und der Lebenssituation von Prostituierten in Deutschland durchzuführen.
Die bisherigen Kenntnisse wurden aus persönlichen Erfahrungsberichten und qualitativen Interviews mit Betroffenen zusammengetragen. Diese wiederum werden kontaktiert über die diversen Beratungsstellen, von denen einige - so zum Beispiel in Hamburg, Berlin, Stuttgart, Dortmund, Herford und Mannheim - unter der Trägerschaft der Diakonie stehen.
Preisdruck gestiegen
Welches die Beweggründe der Betroffenen für den oft schleichenden Einstieg in die Prostitution sind - ob Neugier, Armut, mangelnder Zugang zum Arbeitsmarkt, familiärer Druck oder Täuschung oder Zwangsausübung aufgrund von kriminellen und gewalttätigen Strukturen - lässt sich sehr schwer ergründen. Der Preisdruck auf sexuelle Dienstleistungen ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen, und die Arbeits- und Lebensbedingungen für den Großteil der Frauen in der Prostitution haben sich eher verschlechtert. Frauen entscheiden sich aus unterschiedlichsten Gründen für die gelegentliche oder auch dauerhafte Arbeit als Prostituierte. Im Folgenden wird nicht die Situation der gut verdienenden, selbstständigen Prostituierten beschrieben, sondern die der Frau, die sich aufgrund von sozialen und persönlichen Notsituationen für diese Tätigkeit entscheidet.
Das Bild der Beschaffungsprostitution aufgrund von illegalem und harten Drogenkonsum hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren grundlegend verändert; heute werden eher weiche und legale Drogen wie Tabletten, Alkohol und andere Rauschmittel von den jungen Frauen im Milieu konsumiert.
Vor allem bei jungen Frauen spielen sowohl Neugier als auch die Möglichkeit, schnell und einfach Geld verdienen zu können, eine entscheidende Rolle. Sie kommen häufig aus sozial extrem belasteten Familien, verfügen selten über einen Bildungsabschluss und suchen in der Gelegenheitsprostitution zunächst die Lösung für ihre Wohnungs- und Perspektivlosigkeit. Auch bei erwachsenen Frauen ist oftmals eine persönliche Krise, verbunden mit Überschuldung, Trennung oder plötzlicher Arbeitslosigkeit, der Ausgangspunkt für den Einstieg in die Arbeit als Prostituierte. Emotionale Abhängigkeiten - sei es bei jungen Frauen zu den so genannten Loverboys oder auch zu Zuhältern, die allerdings von den Frauen als Liebespartner wahrgenommen werden -, spielen eine wichtige Rolle für die Ausübung der Prostitution. Die jeweiligen Lebens- und Arbeitsbedingungen unterscheiden sich je nach Arbeitsort und -rahmen sehr: Die Arbeit im Bordell, die Arbeit auf dem Straßenstrich oder die selbstständige Arbeit in einem Apartment unterliegen sehr unterschiedlichen Regeln und vor allem auch sehr unterschiedlichen Schutz- und Selbstbestimmungsoptionen.
Im Milieu herrscht großer Konkurrenzdruck unter den Frauen, und je länger eine Frau die Arbeit in einem Bordell, einem Club, einem Apartment oder auf der Straße ausübt, desto mehr greifen Einsamkeit und Stigmatisierung um sich. Viele der Sexarbeiterinnen leben ein Doppelleben, um sich dieser Situation nicht auszusetzen. Diese Existenz im Verborgenen widerspricht oftmals dem aktiven Umgang mit ihren Rechten und erhöht ihre Gefährdung.
Menschenrechtlicher Ansatz
Zu den häufigsten Problemen von Frauen innerhalb der Prostitution gehören finanzielle Schwierigkeiten (oft hohe Verschuldung), Wohnungslosigkeit, schlechte Versorgung ihrer sexuellen/reproduktiven Gesundheit - vor allem bezüglich sexuell übertragbarer Krankheiten einschließlich HIV/AIDS, Verhütung von Schwangerschaft und Zugang zu sicherer Geburt und Unsicherheit im Umgang mit Gesetzen und Vorschriften. Auch wachsende Isolation und fehlende Kontakte zu Personen außerhalb des Milieus, Probleme mit Ursprungsfamilien, Partnern und Kindern, Suchtmittelmissbrauch und emotionale Abhängigkeiten, instabile psycho-soziale Gesundheit und psychiatrische Erkrankungen und unzureichende Bearbeitung von Gewalterfahrungen in Kindheit, Jugend und als Sexarbeiterin zählen dazu.
Für viele der unter dem Dach der Diakonie tätigen Beratungsstellen, die in der Regel mit Frauen in der Prostitution und/oder mit Opfern von Menschenhandel arbeiten, gilt der menschenrechtliche Ansatz: Sie akzeptieren die Frau mit ihrer Entscheidung, im Milieu zu arbeiten, und beraten sie bei allen ihr wichtigen sozialrechtlichen und persönlichen Fragestellungen. Zu dieser Beratung kann auch eine Ausstiegsberatung gehören, wenn die Frau es wünscht. Ebenso wie unter Umständen die Unterstützung und Beratung in Bezug auf die strafrechtliche Verfolgung von sexualisierter Ausbeutung und/oder Menschenhandel und die Weitervermittlung an spezialisierte Beratungsstellen und die Landeskriminalämter, wenn es zu einer Anzeige kommen sollte. Gemeinsam ist der Arbeit in allen Beratungsstellen, dass es Zeit und Vertrauensaufbau braucht, um mit der betroffenen Frau über ihre Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen arbeiten zu können.
Zumeist sind Sexarbeiterinnen weiblich, und der überwiegende Teil der Freier ist männlich (in Deutschland gibt es einen "Markt" für Transvestiten, der sich ebenfalls ausweitet und einer spezifischen Analyse bedarf). Trotz der Aufhebung der Sittenwidrigkeit mit dem Prostitutionsgesetz von 2002 werden Mädchen und Frauen in der Prostitution nach wie vor extrem diskriminiert.
Extreme Diskriminierung
Während die Frauen in der Regel stigmatisiert werden, zählt das männliche Prostitutionserlebnis gleichzeitig zu einem legitimen und standardbiografischen Element der männlichen Lebenswelt: Reeperbahn-Ausflüge in Hamburg oder Geschäftsabschlüsse im Bordell gelten in vielen Gesellschaftsbereichen als tolerabel. Hier werden Anbieterinnen und Nachfrager aufgrund geschlechtsspezifischer Stereotype mit zweierlei Maß gemessen.
In den vergangenen Jahren hat sich das Rotlichtmilieu in Deutschland sehr internationalisiert: Aufgrund der restriktiven Gesetzgebungen in europäischen Nachbarländern und der Migrationsmobilität vor allem aus osteuropäischen Ländern sind geschätzt mehr als die Hälfte der Prostituierten in Deutschland Frauen mit Migrationshintergrund. Die meisten von ihnen kommen aus extrem randständigen Gesellschaften, wie zum Beispiel die Romafrauen in Bulgarien oder Rumänien. Aufgrund schlechter Sprach- und Milieukenntnisse und dem mangelhaften Zugang zum deutschen Sozialsystem ist bei den Migrantinnen die Gefahr der Ausbeutung deutlich größer als bei deutschen Sexarbeiterinnen. Die Arbeitsausbeutung im Prostitutionsgewerbe ist ein migrationspolitisches Thema und bedarf der grenzüberschreitenden Bearbeitung. Die Grenzen zwischen legaler, fairer Prostitution und ausbeuterischem Menschenhandel und sexualisierter Ausbeutung verlaufen entlang der mobilen Migrationsströme in Europa.
Mit dem 2002 in Kraft getretenen Prostitutionsgesetz ist die Prostitution in Deutschland legal und - wie zum Beispiel auch in den Niederlanden - nicht mehr sittenwidrig. Trotzdem haben sich die Hoffnungen nach fairen Arbeitsbedingungen für Prostituierte jeder Nationalität - inklusive der Möglichkeit der sozialen Absicherung - in Deutschland in den meisten Fällen nicht erfüllt.
Obwohl der Handlungsbedarf vor allem im Falle von Menschenhandel deutlich war, wurde unter der schwarz- gelben Regierung die dringend gebotene Umsetzung der bereits 2011 verabschiedeten EU-Richtlinie 2011/36/EU zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer nur unzureichend initiiert. Der schließlich am 4. Juni 2013 vorgelegte Gesetzentwurf zur Bekämpfung des Menschenhandels und Überwachung von Prostitutionsstätten wurde am 20. Oktober 2013 vom Bundesrat als unzulänglich kritisiert und der Vermittlungsausschuss angerufen. Der Bundestag bemängelt vor allem die fehlende Umsetzung der Richtlinie 2011/36/EU hinsichtlich der Schaffung einer nationalen Berichterstattungsstelle, sowie der fehlenden Opferstärkung, Opferentschädigung und Opferschutz, besonders im Hinblick auf die Ausgestaltung des Aufenthaltrechtes.
Sichtbarkeit ermöglicht
Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 27. November 2013 sind folgende Ziele festgehalten: "Frauen sollen besser vor Menschenhandel und Zwangsprostitution geschützt und die Täter konsequenter bestraft werden. Für die Opfer soll unter Berücksichtigung ihres Beitrags zur Aufklärung, ihrer Mitwirkung im Strafverfahren sowie ihrer persönlichen Situation das Aufenthaltsrecht verbessert werden sowie eine Unterstützung, Betreuung und Beratung gewährleistet werden". Das Prostitutionsgesetz soll im Hinblick auf die Regulierung der Prostitution umfassend überarbeitet und ordnungsbehördliche Kontrollmöglichkeiten gesetzlich verbessert werden.
Die Legalisierung der Prostitution ermöglicht eine verstärkte Sichtbarkeit des Phänomens und damit auch eine detaillierte Analyse der möglichen ausbeuterischen Verhältnisse; mit einem dauerhaften "Runden Tisch" zu Prostitution hat das Bundesland Nordrhein-Westfalen einen wichtigen Schritt gemacht, um sich einer grundlegenden Analyse mit allen Akteuren und Akteurinnen zu nähern.
Für die Überarbeitung des Prostitutionsgesetzes gilt es nicht nur, einen Regulierungsbedarf bei den Prostitutionsstätten zu vollziehen, sondern vor allem sich den Betroffenen anzunähern: Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Lage von Prostituierten oder zur Erleichterung des Ausstiegs aus der Prostitution werden leider von den Regierungsparteien bisher nicht genannt. Die Angebote an Beratung, Neuorientierungs- und Ausstiegshilfen und vor allem gesundheitliche Dienstleistungen sollten verstärkt, statt wie zum Beispiel in Hamburg gekürzt zu werden. Der Ausbau von Beratungsstellen und Unterstützung beim Aufbau von anderen Lebens- und Berufsperspektiven gehört ebenso zur Reform des Prostitutionsgesetzes wie die Gewerberegulierung - ansonsten geht eine Gesetzesinitiative einmal mehr an den sozialen Bedürfnissen der betroffenen Frauen vorbei.
Mara und Steffi: zwei Fallbeispiele
Mara, Bulgarin (Roma), 22 Jahre. Sie hat große Teile ihrer Kindheit auf der Straße verbracht, war nur wenige Jahre in einer Schule und kann deswegen schlecht lesen und schreiben. Sie ist auch in Bulgarien anschaffen gegangen, weil dies die einzige Möglichkeit des Gelderwerbs war.
Seit einem Jahr ist sie in Hamburg, nachdem sie bereits in mehreren europäischen Metropolen gearbeitet hat. Sie spricht kaum Deutsch. Sie ist mit ihrem Freund hier, den sie mitfinanziert. Ihre vierjährige Tochter lebt in Bulgarien bei ihrer Familie, die sie ebenfalls mit Geld unterstützt. Mara hat keine Wohnung, sie lebt mit ihrem Freund in dem Stundenhotel, in dem sie auch arbeitet.
Sie schafft in St. Georg auf der Straße an, sie muss viel unterwegs sein, und vor allem immer auf der Hut. Die Polizei ist überall und schreibt sie täglich auf. Die Polizei macht ihr Angst. Die Schulden durch Bußgelder sind sehr hoch, wie hoch weiß sie nicht, da sie die Briefe nicht versteht. Die wenigen Freier wollen alles für wenig Geld und am liebsten ohne Gummi - aber Prostitution ist für Mara momentan die einzige Möglichkeit, um direkt Geld zu verdienen für sich und die Menschen, die sie versorgt.
Sie kennt die Sozialpädagoginnen vom Sperrgebiet von der Straße - nun sucht sie ihre Hilfe, denn Mara ist wieder schwanger. Im Sperrgebiet gibt es eine Ärztin, die sie jetzt braucht, und viel Unterstützung, da sie sich in Hamburg weder auskennt noch sich verständigen kann. Mara möchte in Hamburg bleiben, in einer Wohnung leben, am besten mit ihren Kindern und ihrem Freund, sie sucht ein echtes Zuhause. Sie möchte ihr Leben selbst bestimmen und sich sicher fühlen, nicht mehr im Stress sein.
Steffi, Hamburgerin, 20 Jahre. Sie kommt aus einer Hartz IV-Familie und ist die älteste von drei Geschwistern, um die sie sich immer gekümmert hat. Die Wohnung der Eltern war sehr eng, keine Privatsphäre. Ihre Eltern sind Alkoholiker und kümmern sich um nichts. Die Schule lief für Steffi immer nur nebenbei, da sie die Familie am Laufen halten musste. Jetzt hat sie einen Förderschulabschluss. Mal schläft sie zu Hause, um auch mal nach den kleinen Geschwistern zu sehen, aber oft gibt es dort Ärger. Sie übernachtet bei Freunden auf dem Sofa oder bei einem Kumpel, der eigentlich mehr will.
Prostitution? Nein - das ist nichts für sie. Gut - manchmal, wenn kein Geld da war, hat sie schon mal angeschafft. Oder sie lernt mal Typen kennen, die nur das eine wollen, aber dafür hatte sie einen echt spitze Abend in der Disco. Arbeiten in St. Georg? Nur, wenn es gar nicht mehr geht und sie Geld fürs Hotel braucht, weil sie nirgends anders unterkommt. Sie sitzt dann in der Kneipe in St. Georg und checkt die Typen ab. Am besten man trifft einen Stammfreier, das geht schnell und das Geld ist sicher.
Das Sperrgebiet kennt sie schon lange. Da kann sie sich entspannen, die Kolleginnen unterstützen sie. Jetzt geht sie dort immer zur Juristin wegen ihrer Handyschulden, zur Ärztin wegen der Drei-Monatsspritze - ein Kind fehlt ja gerade noch. Mit den Beraterinnen geht es meist um den Hartz-IV-Antrag. Steffi wünscht sich als erstes eine eigene Wohnung, oder doch erst mal ein betreutes Wohnangebot? Dann hätte sie auch Zeit, sich um ihr eigenes Leben zu kümmern. Was will sie mal machen? Was geht mit Förderschulabschluss?
Aufgezeichnet von Angelika Bähr
Angela Bähr