Wie Hunger und Durst

Gespräch mit der Psychoanalytikerin Rotraud A. Perner über die Folgen von Einsamkeit und warum jeder Mensch eine Biographie der Einsamkeit hat
Foto: privat
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Wenn der Mensch Einsamkeitsgefühle bekommt, hängt das meistens mit früheren Erfahrungen zusammen, die sich zu wiederholen scheinen. Ein erwachsener Mensch sollte allerdings genug Alternativen kennen, wie er diesem Gefühl begegnen kann. Doch die meisten Leute fühlen sich schon einsam, wenn sie keinen Partner oder keine Partnerin haben.

zeitzeichen: "Wer einsam ist, der hat es gut, weil keiner da ist, der ihm was tut." So formulierte einst der deutsche Dichter Wilhelm Busch. Hat er recht?

Rotraud A. Perner: Natürlich höre ich von vielen Klientinnen nach Trennungen und Scheidungen, wie schön es sei, dass ihnen niemand mehr dazwischen redet und die Auseinandersetzungen ein Ende haben. Aber auf Dauer befriedigt Alleinsein nicht das menschliche Bedürfnis, sich auszutauschen. Das Problem ist eher, dass die meisten Leute sehr genaue Vorstellungen haben, mit wem sie sich austauschen wollen. Und diese Vorstellungen sind völlig unrealistisch. Wenn man hingegen nicht so überheblich ist, Menschen per se zu bewerten oder sie gar abzuwerten, sie als dumm oder grob einzustufen, ist es kein Problem, jemanden zu finden, mit dem man sich austauschen kann. Austausch kann übrigens auch mit Pflanzen und Tieren stattfinden.

Einsamkeit ist also nicht an die Abwesenheit von Menschen gebunden.

Rotraud A. Perner: Einsamkeit ist ein Gefühl. Im Unterschied dazu ist Alleinsein, wenn man es auf Menschen bezieht, eine Tatsache. Letztlich ist man nie allein, weil es immer eine Umwelt um uns herum gibt. Die Frage ist, wie offen bin ich, um wahrzunehmen, dass ich Teil der Umwelt oder Schöpfung bin. Die evangelische Theologin Dorothee Sölle hat formuliert: "Alleinsein-Können gehört zur menschlichen Würde." Wenn der Mensch dagegen Einsamkeitsgefühle bekommt, hängt das meistens mit früheren Erfahrungen zusammen, die sich zu wiederholen scheinen. Ein erwachsener Mensch sollte aber genug Alternativen kennen, wie er diesem Gefühl begegnen kann. Doch die meisten Leute fühlen sich schon einsam, wenn sie keinen Partner oder keine Partnerin haben.

Warum?

Rotraud A. Perner: Werbung und Fernsehfilme suggerieren, dass man als Frau einen Mister Right an seiner Seite haben muss. Nehmen Sie nur zum Beispiel die Fernsehserie "Sex and the City". Und Männer glauben, sie bräuchten eine stets verfügbare Bedienung, Sexualität inbegriffen. James Bond findet immer eine Frau, die ihn liebevoll aufnimmt, auch wenn das oft eine Täuschung ist. Filme führen in der Regel beglückende Gemeinsamkeit als Zielpunkt der Geschichte vor. Und ihr Scheitern wird als Mangel bewertet. Doch heute ist Bindung etwas, das man sich wirklich erarbeiten muss. Der amerikanische Soziologe Richard Sennet beschreibt den flexiblen Menschen, die Auswirkungen des Kapitalismus auf den Charakter, die Flexibilisierung der Arbeitswelt, Beschleunigung und neue Leistungsanforderungen. All das führt dazu, dass Bindungen nachlassen. Früher haben wir in der Großfamilie gelebt, waren in die Nachbarschaft oder das Dorf integriert und haben am Leben der Kirchengemeinde teilgenommen. Und das hat sich alles verändert. Auch das Wissen, dass eine Beziehung Zeit braucht, Kontrolle und Vertiefung, geht verloren. Und deswegen empfinden viele Einsamkeit. Sie glauben, es stimme etwas nicht mit ihnen. Tatsächlich sind wir immer irgendwann allein, auch in einer Gemeinschaft. Und wenn wir uns einsam fühlen, dann heißt das aus meiner Definition heraus: Wir haben zu wenig Austausch mit dem Lebendigen, Menschen, Tieren, Pflanzen, mit der Schöpfung.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass wir alle eine Biographie der Einsamkeit haben. Was heißt das?

Rotraud A. Perner: Die ersten Neurosignaturen, also Prägungen, erwerben Menschen in der Geborgenheit des Mutterleibs. Das heißt, in dem Moment unserer Geburt treten wir aus der Zweisamkeit des Wachsens und Werdens heraus, und wir müssen uns mit einer fremden Umwelt vertraut machen. Bei manchen geht es schneller, bei anderen langsamer. Und es braucht auch Zeit, Beziehungen zu neuen Personen aufzunehmen. Denken Sie an das berühmte Fremdeln, die Achtmonatsangst. Die Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich-Nielsen hat recht mit ihrem Urteil: "Um sich von der Mutter lösen zu können, braucht das Kind etwa am Ende des zweiten Lebensjahres eine dritte Person, meist den Vater, der es sich zuwenden kann." Und es gibt immer wieder Augenblicke und Zeiten, wo wir uns ungeborgen fühlen. Manche Menschen erleben in den frühesten Lebenstagen Mängel, so dass sie später in ähnlichen Situationen irritiert, frustriert, oft verzweifelt reagieren. Andere haben genug Urvertrauen, können allein sein, sich selbst beschäftigen, ja sie genießen es, nicht gestört zu werden.

Wahrscheinlich kann man kaum allgemeine Aussagen treffen, wann Einsamkeit empfunden oder wodurch sie ausgelöst wird. Doch gibt es persönliche Strukturen oder Charaktereigenschaften, die Erfahrungen von Einsamkeit begünstigen?

Rotraud A. Perner: Charakter ist ja eine Verfestigung von Verhaltensweisen, die man im Laufe des Lebens erwirbt. Ein Mensch hat so um die Zwanzig schon einen erkennbaren Charakter. Nun gibt es Strukturen, die manche Personen einsamer erscheinen lassen als andere. Der Psychoanalytiker Fritz Riemann hat in seinem Grundsatzwerk "Grundformen der Angst" vier Typologien gezeichnet. Die einen haben Angst vor Nähe und die anderen Angst vor dem Alleinsein, andere haben Angst vor dem Chaos oder Angst vor festen Strukturen. Er nennt Menschen, die allein sein können und wollen, schizoide Persönlichkeiten. Das klingt zunächst fürchterlich, heißt aber nichts anderes, als dass es Menschen gibt, die gern allein sind und eine große bedrängende Gemeinschaft scheuen. Und es gibt die Menschen, die schwer allein sein können, die eigentlich immer jemanden brauchen, um den sie sich kümmern oder mit dem sie sprechen können. Diese nennt Riemann depressive Charaktere. Während der eine eher ein Eigenbrötler ist, ist der andere ein Salonlöwe oder Geselligkeitstiger. Die schizoiden Persönlichkeiten arbeiten meistens in Berufen, in denen sie maximal mit einer Person zu tun haben, zum Beispiel als niedergelassene Ärzte, die anderen eher mit vielen Menschen.

Gibt es auch Ereignisse und Umstände im Leben, die diese Gefühle befördern?

Rotraud A. Perner: Ja, natürlich. Es gibt die Menschen, die gerne allein sind, weil sie das erlernt haben, weil sie von klein auf so erzogen wurden, dass sie sich allein beschäftigen können, mit Zeichnen, Malen, Schreiben und Spielen. Kinder haben Phasen, in denen sie zum Beispiel sammeln und allein sein wollen. Und oft werden in der Grundschule Mitschüler ausgegrenzt, gedemütigt und zu Außenseitern programmiert. Und umgekehrt, geht nicht jedes Kind offen auf Gemeinschaft zu. Es gibt Scheue, die Zeit brauchen, und schnelle Draufgänger. Aufgabe der Erziehungspersonen ist es, entsprechend achtsam zu sein. Doch die, die in einer sehr großen Familie aufgewachsen sind, in der sie nie allein waren, haben das nicht einüben können. Und wenn sie die Familie verlassen und auf eigenen Füßen stehen, bekommen sie oft Entzugserscheinungen. Ich rate allen Menschen, auch in der therapeutischen oder seelsorglichen Arbeit, sehr genau zu hinterfragen, was ihnen fehlt.

Studien belegen, dass sich Menschen umso einsamer fühlen, je mehr die Gesellschaft auf Gemeinschaft aus ist, je mehr von außen das Gefühl von Partnerschaft, Gemeinschaft vermittelt wird. Hat der Druck zugenommen, einen Partner zu haben?

Rotraud A. Perner: Ja. Und da zitiere ich den Psychoanalytiker und Soziologen Erich Fromm, der in "Haben oder Sein" schrieb: "Es ist ein Unterschied, ob mein Herz jemandem gehört oder ob ich mich beim Auftritt nur halb fühle, wenn ich nicht einen Mann oder eine Frau an meiner Seite habe. Das sind narzisstische Bedürfnisse." Das hat mit Liebe nichts zu tun. Dazu kommt die allgemeine Diskriminierung von alleinstehenden Frauen. So lange sie jung sind, ist es kein Problem, weil sie noch zu haben, ich ergänze: zu besitzen sind. Aber in dem Moment, in dem sie älter werden, werden sie oftmals nicht mehr eingeladen, ja geradezu ausgegrenzt. Mit der Partnersuche ist ein riesiges Geschäft gewachsen. Natürlich wird suggeriert, man habe das große Los und Glück gezogen, wenn man mit jemandem zusammenlebt. Ich erlebe in meiner Praxis eher das Gegenteil: Beziehungsarbeit ist harte Arbeit und nicht nur Glückseligkeit.

Waren die Menschen früher einsamer als heute?

Rotraud A. Perner: Das würde ich nicht sagen. Früher konnte jemand, zum Beispiel ein Onkel oder eine Tante, die ledig waren, in der Großfamilie leben. Oder der Hagestolz wohnte mit einer Haushälterin zusammen. Eltern haben für die Kinder Partner gesucht oder Kupplerinnen in Anspruch genommen. Für alles war gesorgt. Heute kann man Blogs schreiben, auf Facebook Profile erstellen und twittern. Die Angebote heute sind vielfältiger, aber sie sagen nichts über Einsamkeit aus.

Nun heißt es, die Einsamkeit sei das Schlimmste am Alter.

Rotraud A. Perner: Heutzutage herrscht der Trend, Menschen mit Informationen zu versorgen, wie sie möglichst unbeschadet ein hohes Alter erreichen können. Was brauche ich, wenn ich im Rollstuhl sitze? Wie ist meine Pflege organisiert? Doch nicht gestellt wird die Frage, wer in meiner Umgebung mich unterstützen kann. So sorgen ältere Menschen oftmals in puncto Einsamkeit nicht vor, ich sehe eher eine Verweigerung der Selbstvorsorge. Wenn man ein Buch gelesen oder eine Fernsehsendung geschaut hat, möchte man mit jemanden darüber reden. Ist niemand da oder erreichbar, und das passiert einem ja schon in jungen Jahren, ist das der Hinweis darauf, dass man einen Freundeskreis braucht. Und den sollte man tunlichst früh aufbauen. Geschieht eine derartige Erfahrung im höheren Alter, ist es ein Fehler der Vergangenheit. Viele scheuen sich, Kontakte zu suchen und aktiv auf andere zuzugehen. Doch das ist der Beginn des Absterbens. Wir müssen uns immer wieder erneuern und damit rechtzeitig anfangen.

Das heißt, wir müssen nicht nur körperlich und finanziell Vorsorge für das Alter treffen, sondern auch sozial.

Rotraud A. Perner: "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein", heißt es in der Bibel. Wir alle brauchen spirituelle und soziale Energie. Und den Austausch mit anderen Menschen. Manchen Leuten genügt er einmal im Monat, andere brauchen ihn fünf Mal am Tag. Ich muss selber überlegen, was das richtige Maß ist und wie ich es herstellen kann. Aber die Entscheidung darüber, mich aus der Einsamkeit zu begeben, treffe einzig und allein ich. Dafür ist niemand anderes verantwortlich. Früher war die Kommunikation mit anderen selbstverständlicher. Aber in den vergangenen fünfzig Jahren sind die Städte gewachsen, und die dörflichen Gemeinschaften haben sich verändert. Viele Kommunikationsstellen wie der Tante- Emma-Laden oder die Dorfwirtschaft sind weggefallen. Und wo tratsche ich heute? Tratschen heißt auch Austausch von Informationen. Es geht darum, dass wir geistig rege bleiben, neue Informationen aufnehmen, uns austauschen mit anderen Leuten und auch aufpassen, körperlich nicht träge zu werden. Körper, Seele, Geist sind eine Einheit. Und so kann es zu depressiven Verstimmungen und Süchten kommen. Doch gibt es Alternativen. Die Leute müssen sich um Angehörige der eigenen Generation bemühen, mit ihnen Kontakt pflegen, im Chor oder im Alpenverein.

Heutzutage klagt der Mensch sein Recht auf ein gutes Leben ein, in dem er seinen Bedürfnissen erste Priorität einräumt. Die Bedürfnisse anderer werden zweitrangig. Werden wir nicht auch dadurch einsamer?

Rotraud A. Perner: Ich warne davor, das Alleinwohnen schon als Quelle der Einsamkeit zu sehen. Ich sehe eher ein Problem darin, dass viele Menschen viel zu viel arbeiten müssen. Wenn sie nach Hause kommen, fallen sie erschöpft ins Bett, haben keine Kraft und keine Zeit mehr für sozialen Austausch. Dabei kann ich auch im Treppenhaus kommunizieren oder auf der Straße. Doch manche Häuser sind nicht gerade kommunikationsfördernd. Es gibt zum Beispiel in Wien eine Siedlung, die heißt "Am Schöpfwerk". Dort liegen Wohnungen und kleine Häuser von einem Stockwerk in Oktogonform angeordnet. Mitten drinnen ist der Hof, und sie können auch von Balkon zu Balkon kommunizieren.

Der amerikanische Psychologe John Cacioppo vertritt die These, Einsamkeit warne einen auch davor, dass es Zeit sei, Anschluss zu suchen, sie weise auf ein Defizit, ein Problem, ja auf Angst hin. Sehen Sie das auch so?

Rotraud A. Perner: Nein. Bei Ängsten muss man, das sage ich als Freudianerin, zwischen einer realen und einer neurotischen Angst unterscheiden. Eine Realangst ist berechtigt und eine Warnung. Neurotisch aber heißt nichts anderes, als dass ich eine Neurosignatur, eine alte Prägung, habe, die in bestimmten Situationen aktiviert wird. Zum Beispiel, wenn ich als Kind einen Raum betrete, wo ich niemanden kenne und mich alle anstarren, ist mir das unangenehm, peinlich. Und wenn das im Erwachsenenleben wieder auftritt, ist das eine neurotische Angst, die man mit einem Therapeuten oder auch mit der Lektüre eines gescheiten Buches bearbeiten sollte. Oder man hat Freunde, mit denen man sich darüber austauscht. Wenn es darum geht, Einsamkeitsgefühle als Wahrnehmung von mangelnder Energie, auf andere zuzugehen, sieht, dann stimme ich zu.

Zwei Prozent der Deutschen, sagt eine Umfrage, fühlen sich dauerhaft einsam. Was passiert, wenn aus Einsamkeit ein Dauerzustand wird? Wie wirkt sich das auf Körper, Geist und Seele aus?

Rotraud A. Perner: Es ist dasselbe, wie wenn jemand verhungert oder verdurstet. Wenn jemand nicht dafür sorgt, sich mit anderen auszutauschen, kommt ein Deprivationszustand heraus, also einer der Entbehrung, des Entzuges und der Isolation. Aber chronisches Einsamkeitsgefühl entsteht nicht von heute auf morgen. Dass man in Krisensituationen gerne eine starke Schulter hätte, an die man sich anlehnen kann, und zwar unabhängig vom Geschlecht, ist normal. Manchmal regrediert man, das heißt, man fällt in eine frühere Entwicklungsstufe zurück, weil das Leben schwer ist. Wenn jemand chronisch einsam ist, weist das auf eine Biographie, in der offensichtlich schon lange Lebendigkeit gefehlt hat. Diese Menschen lassen sich sehr schwer therapieren. Denn sie sind oft verbittert. Analog zum posttraumatischen Belastungssyndrom nennen wir das in der Praxis Verbitterungssyndrom. Diese Menschen hadern mit ihrem Schicksal, sind in Geiz und Neid gefangen.

Der Pietismus verstand Einsamkeit als Chance, sich Gott zu nähern und die Aufklärung als Möglichkeit zur Selbstvervollkommnung. Erst im 20. Jahrhundert ist diese Wertung ins Negative umgekippt. Warum?

Rotraud A. Perner: Das 20. Jahrhundert ist auch das Jahrhundert des Religionsverlustes. Im Endeffekt handelt es sich um eine Nachwehe der Aufklärung, wo Vernunft alles und Gefühl nichts ist. Und die Dialektik nach dem Zusammenbruch der Nazidiktatur war wieder Vernunft und nicht Religion, weil man erkannt hat, dass der Nazismus auch Religionsersatz gewesen ist. Der evangelischen Kirche ist der Versuch gelungen, sich neu zu organisieren, in der römisch-katholischen wurde er dagegen im Keim erstickt. Man wird sehen, ob das Zweite Vatikanum doch noch Früchte trägt, aber ich bin da nicht so optimistisch. Es geht wirklich darum, dass wir eine Form finden, dass wieder ins Bewusstsein kommt, was Glaube heißt, nämlich nicht Fürwahrhalten von dogmatischen Formeln, sondern tiefes Empfinden, Teil der Schöpfung zu sein. Aber man muss dabei aufpassen, nicht in Schwärmerei zu verfallen. Die Vernunft ist als kritisches Korrektiv nötig.

Sind Christen oder religiöse Menschen eigentlich weniger einsam als andere?

Rotraud A. Perner: Die Religion, die Rückbindung an Gott, muss geübt und gepflegt werden. Ich selber spüre den lebendigen Gott nicht in Büchern. Wenn ich in die Natur gehe, offen bin und wahrnehme, wie alles lebt, spüre ich einen Geist dahinter. An und für sich tun sich Menschen, die religiös verbunden und im lebendigen Glauben stehen, sich also nicht fundamentalistisch verhärten, leichter damit, die Wechselwirkungen des Lebens wahrzunehmen und zu ertragen. Wenn man sich Gott anvertraut, dann entspannt man ja auf die eine oder andere Weise. Und man lächelt einen anderen Menschen vielleicht auch eher an, wenn man mit Goethe sagen kann: "Ich fühle mich jetzt einsam, und ich gehe so einfach vor mich hin und nichts zu suchen war mein Sinn und bleib wachsam und achtsam und schau, was mir begegnet."

Wie steht es mit Menschen, die aufgrund ihres Berufes einsam sind und zum Beispiel wie Pfarrer, Ärzte und Therapeuten einem Schweigegebot unterliegen?

Rotraud A. Perner: Um das Schweigegebot zu ertragen, muss man eine gewisse Charakterstruktur haben. Dieses "containing", Energie bei sich behalten zu können, kann man natürlich lernen. Aber die meisten Angehörigen dieser Berufsgruppen haben ihre Privatsupervision beim Partner und manche auch bei den Kindern. Aber das überfordert diese oft. Tagebuch schreiben hilft ebenso wie Supervisionen. Und diejenigen, die eine nach Riemann schizoide Charakterstruktur haben, tun sich leichter. Sie denken für sich selbst nach, analysieren und machen sich ihre Notizen. Deshalb sind Dokumentationspflichten manchmal hilfreich.

Das Gespräch führte Kathrin Jütte am 1. Oktober 2014 in Wien.

Rotraud A. Perner war Professorin für Prävention und Gesundheitskommunikation an der Donau Universität Krems. Die Österreicherin, die in Jura promoviert hat und als Psychoanalytikerin arbeitet, hat in Wien evangelische Theologie studiert. 1987 absolvierte die 1944 geborene Analytikerin eine in Österreich einzigartige Ausbildung in systemischer Paar- und Sexualtherapie. Ihre jüngste Publikation heißt "Der einsame Mensch".

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Rotraud A. Perner

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