Josef und das Elfenland

Ein Punktum
Wenn ich die Namen der KiTas in unserem Viertel betrachte, frage ich mich besorgt, was mittlerweile an der Tür meines früheren Kindergartens stehen mag...

Wissen Sie noch, wie Ihre KiTa hieß? Wahrscheinlich gar nicht "KiTa", sondern "Kindergarten" oder "Kinderladen". Letzteres aber nur, wenn Sie zu den jüngeren "zeitzeichen"-LeserInnen gehören, für die das Binnen-I ebenso selbstverständlich ist wie Grüne wählen. Und wenn Sie in einer Stadt wie Berlin oder Frankfurt auf dem Hoheitsgebiet der alten Bundesrepublik aufgewachsen sind. Denn in Berlin-Ost oder Frankfurt/Oder verbrachte man die ersten Jahre seines Lebens ja in Krippen. Dass die alle nach irgendwelchen Kommunisten benannt waren, ist bestimmt nur ein böses Vorurteil. Genaueres weiß ich nicht, ich bin ja im Ruhrgebiet groß geworden.

Dort habe ich den St.-Josef-Kindergarten besucht. Der hieß so, weil die katholische Gemeinde, zu der er gehörte, auch "St.-Josef" hieß. Der evangelische Kindergarten trug den Namen "Oberlin-Hort", was mich als Kind immer verwirrte, denn die ferne Hauptstadt kam doch sonst auch ohne "O" vor ihrem Namen aus. Dass Johann Friedrich Oberlin ein wichtiger evangelischer Pfarrer, Pädagoge und einer der Väter der Kindergärten war, habe ich erst später gelernt. Josef hingegen war mir als Vater der heiligen Familie schon mit drei Jahren ein Begriff.

Der Oberlin-Hort heißt seit einigen Jahren "Senfkorn". Ob ich das als kleiner Junge wirklich besser gefunden hätte, weiß ich nicht. Man hätte mir den biblischen Bezug schon erklären müssen, damit ich nicht immer irgendwo scharfe gelbe Paste gewittert hätte. Aber immerhin liegt der Kindergarten damit im Trend. Der geht nämlich schon seit einiger Zeit weg von den großen alten Namenspatronen, hin zu irgendetwas, das möglichst fröhlich, kindlich und bunt klingt. Bundesweiter Spitzenreiter unter den KiTa-Namen ist "Regenbogen" wie jüngst das ZEIT-Magazin herausfand. "Sonnenschein" und "Spatzennest" folgen mit gehörigem Abstand, dahinter liegen "Pusteblume" und "Villa Kunterbunt", Letzteres allerdings eher im Westen. Im Osten bleibt man bei "Kunterbunt", hier fremdelt man noch immer mit Villen - oder mit der anarchischen Pippi Langstrumpf.

Die KiTas in unserem Viertel auf ehemaligem DDR-Gebiet heißen "Elfen-" oder "Knirpsenland". Meine Töchter habe ich im "Guckloch" angemeldet, ansonsten gibt es noch die "Bambini Oase", die "Sturmtüten" und das "Krümmelkörbchen" mit angeschlossenem "Krabbelkörbchen" für die Kleinen. Und beim Betrachten dieser eindrucksvollen Aufzählung frage ich mich besorgt, was denn mittlerweile an der Tür meines früheren Kindergartens stehen mag: Zuckerschnuten? Zimtzicken? Rotznase? Schnullibulli?

Nein, alles ist gut, wie ein Blick ins Internet zeigt. Der Kindergarten heißt noch immer St.-Josef und nimmt mittlerweile auch Kinder unter drei Jahren auf. Der Vater der heiligen Familie hat also seinen festen Platz an und in der Krippe. Ich atme auf. Manchmal darf man auch als gestandener Protestant der katholischen Kirche dankbar sein!

Stephan Kosch

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