Normalerweise bemühen sich Kirchen um aktive Gemeinden. Aber der Besuchergruppe vom Weltkirchenrat (ÖRK) präsentierte Pfarrer Sebastian Walde im Mai stolz seine "Passivkirche": Nach dem Umbau spart die Christuskirche in Heinsberg 95 Prozent ihrer Energie - und ist damit eines der Vorzeigeprojekte für Klimaschutz unter dem Kirchendach.
Die Gäste vom Arbeitskreis "Klima" des Weltkirchenrates, unter anderem aus Russland, den USA, Uruguay, Korea und den Fidschi-Inseln, informierten sich bei ihrer Jahrestagung über den Stand der deutschen Energiewende - bei den Forschern des Wuppertal-Instituts, aber auch bei einem Besuch im rheinischen Braunkohlerevier, der dreckigen Seite der deutschen Klimapolitik. Vor allem ging es den etwa 30 ÖRK-Aktivisten aber darum, das Klimathema wieder verstärkt auf die kirchliche und politische Tagesordnung zu setzen.
Denn die Vorbereitungen für ein globales Klimaabkommen laufen in der Politik und der Wirtschaft bereits auf Hochtouren: Im Dezember 2015 soll die UN-Klimakonferenz in Paris einen Vertrag aushandeln, der den Klimawandel halbwegs unter Kontrolle bekommt. Nach dem gescheiterten Gipfel von Kopenhagen 2009, zu dem auch viele Religionsgemeinschaften ihre Anhänger mobilisiert hatten, ist die Zeit knapp geworden. In diesem Frühjahr hat der UN-Klimarat IPCC einen neuen umfassenden Bericht vorgelegt, in dem er klar gemacht hat: Der Klimawandel ist real, kommt schneller als gedacht und bedroht vor allem die Ärmsten der Armen.
Pilgerweg nach Paris
Die Welt der Klimakonferenzen hat sich seit Kopenhagen verändert: Schwellenländer wie China, Indien, Brasilien und Südafrika dominieren viele Diskussionen und stoßen inzwischen selbst einen großen Anteil der Klimagase aus. Die USA und China, in Kopenhagen noch Bremser, bewegen sich inzwischen deutlich schneller als die Europäer, die noch 2009 die treibende Kraft waren. Erneuerbare Energien sind inzwischen für viele Länder bezahlbar, die Kosten des Klimawandels werden durch Stürme wie "Sandy" 2012 in den USA, Überschwemmungen wie in Pakistan oder Dürren und Feuer wie in Australien und Russland sichtbar.
Das Thema ist von der internationalen Bühne nicht mehr wegzudenken. "Ökonomisch spricht inzwischen viel für den Klimaschutz, und auch geostrategisch wird das Klimathema sehr ernst genommen", sagt Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer und Klimaexperte der Entwicklungsorganisation "Germanwatch". "Die Religionsgemeinschaften können das Thema aber breit in den Gesellschaften verankern und als moralische Frage ansprechen. Ich hoffe, dass das vor Paris wieder stärker wird."
Daran arbeiten gerade viele Aktivisten bei den Kirchen und Religionsgemeinschaften. Zum Klimasondergipfel, zu dem UN-Generalsekretär Ban Ki-moon die Staats- und Regierungschefs der Welt im September nach New York zitiert, "arbeitet der Weltkirchenrat zusammen mit anderen Religionsgemeinschaften an einem Aufruf", sagt Jochen Motte, Abteilungsleiter für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung bei der "Vereinten Evangelischen Mission" (VEM) und Mitglied im Arbeitskreis Klima des Weltkirchenrats. Geplant ist außerdem ein "großer Pilgerweg von Flensburg nach Paris", auf dem kirchliche Klimafreunde im Herbst 2015 öffentlichkeitswirksam in die französische Hauptstadt ziehen wollen.
UN-Appell an Religionsführer
Ohne öffentlichen Druck, sind sich viele Klimadiplomaten und Umweltschützer sicher, wird Paris ebenso scheitern wie Kopenhagen. Auf der Suche nach Bündnispartnern gegen die Blockadehaltung einzelner Staaten und die Lobby von Kohle- und Ölindustrie blicken sie auch auf die Religionsgemeinschaften. Die Chefin der UN-Klimabehörde UNFCCC, Christiana Figueres, appellierte Anfang Mai dringend an die Weltreligionen, beim Klimaschutz ihre "Stimme zu erheben und ihren moralischen Kompass auf eine der großen humanitären Fragen unserer Zeit auszurichten". Die religiösen Führer, seien es Christen, Juden, Muslime, Hindus und Buddhisten, "haben eine Verantwortung und die Gelegenheit, über die nächsten 18 Monate ihren Anhängern, aber auch der Politik, der Wirtschaft, der Finanzwelt und den lokalen Behörden eine moralische Richtschnur zu bieten".
Figueres plädierte ebenso wie der südafrikanische Alterzbischof Desmond Tutu dafür, dass die Kirchen ihre Investments in Öl- und Kohlefirmen überprüfen und beenden. Denn echten Klimaschutz könne es nur geben, wenn etwa zwei Drittel aller Reserven dieser fossilen Brennstoffe im Boden bleiben. Diesem "Divestment-Movement" schließen sich in den USA, Großbritannien und Australien derzeit viele Kirchen und religiöse Institutionen an.
Wie wichtig Religionsgemeinschaften für Umwelt- und Klimaschutz sind, betont immer wieder auch Kumi Naidoo, der Chef von Greenpeace International. Für ihn kommt "der Durchbruch in diesen Fragen nur in einer Allianz mit Gewerkschaften, Glaubensgemeinschaften, sozialen Bewegungen und Frauengruppen". Selbst evangelikale Gruppen in den USA, die sonst eher der radikalkapitalistischen Tea-Party-Bewegung nahestehen, forderten Anfang Mai den Gouverneur von Florida auf, den Klimawandel anzuerkennen und endlich, ähnlich wie in der Abtreibungsdebatte, als "Lebensschützer" zu agieren.
Vatikan schweigt bei Verhandlungen
Der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) wiederum versammelte jüngst Vertreter der deutschen Muslime, Juden und Kirchen und der "Stiftung Weltethos", um in Berlin mit dem Weltbankpräsidenten Jim Yong Kim über "werteorientierte Entwicklungspolitik" zu debattieren. Und Papst Franziskus, der sich als Oberhaupt von 1, 2 Milliarden Katholiken bewusst den Öko-Heiligen aus Assisi zum Schutzpatron genommen hat, lässt derzeit renommierte Wissenschaftler und kirchliche Umweltschützer im Vatikan an einer Enzyklika, einem kirchlichen Lehrschreiben, zu Umweltfragen arbeiten.
Bei den UN-Klimaverhandlungen meldet sich der Vatikan dagegen nicht zu Wort - obwohl er, anders als alle anderen Religionen, als eigener Staat bei der UNO Sonderrechte genießt. Das Wort ergreifen die Kirchen vor allem durch ihre Hilfswerke "Brot für die Welt" und "Misereor". Zusammen mit anderen Gruppen, die in der "ACT-Alliance" zusammengeschlossen sind, machen sie Lobbyarbeit vor allem für die Opfer des Klimawandels. Ihre Experten bringen Betroffene und Informationen aus Lateinamerika, Afrika und Asien zu den Konferenzen und leisten den Delegationen aus den armen Ländern oft wichtige Hilfe bei Logistik und Orientierung in diesen Monster-Medien-Events.
Im deutschen Sprachraum haben Papiere und Bücher, die auch mit dem Geld der Kirchen finanziert werden, die Öko-Diskussionen geprägt. Die Studie "Zukunftsfähiges Deutschland" etwa, die 1997 die Debatte um die globale Verantwortung des reichen Industrielandes Deutschland in Sachen Energie, Landwirtschaft und Außenhandel ansprach, war lange Zeit die Bibel der Umwelt- und Entwicklungsszene - bezahlt vom Umweltverband bund und "Misereor". Die Nachfolgestudie von 2008 wurde von "Brot für die Welt" mitfinanziert.
In der "Klima-Allianz"
In der deutschen Energie- und Klimapolitik mischen die Kirchen über ihre Mitgliedschaft in der "Klima-Allianz" mit, bei der sie sich mit Umwelt- und Sozialverbänden auch gern mal zur Energiewende zu Wort melden - etwa, wenn Martin Herche, Generalsuperintendent des Sprengel Görlitz der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, für einen Ausstieg aus der Braunkohle plädiert und klarstellt: "Die "Bedürftigen sind nicht durch die Energiewende bedürftig, sondern weil die Kluft zwischen Arm und Reich zu groß geworden ist". In der konkreten Entwicklungsarbeit gehen einige Gemeinschaften bereits auf die Realität im Treibhaus Erde ein: Die VEM, erklärt Jochen Motte, hat zwei "Klimaberater" angestellt, die in Projekten in Tansania und Indonesien auf einfachem Weg grüne Hilfe zur Selbsthilfe leisten: Ein neuer Ofen, der den Bedarf an Brennholz und die Kosten halbiert, hilft auch den lokalen Wald schonen; Biogasanlagen wie in Indonesien und Solarlampen wie in Papua liefern nachhaltige Energie und vermitteln Wissen über Technik und Zusammenhänge.
Vordergründig fällt es den Kirchen leicht, ernsthaften Klimaschutz einzufordern: Ihr Geschäftsmodell beruht eben nicht auf dem Verkauf von Öl oder Kohle oder der CO2-intensiven Produktion von Stahl oder Chemieprodukten. Aber Kerzen und Weihrauch sind keineswegs die größten Quellen von Treibhausgas-Emissionen aus den Gemeinden. Die Kirchen sind Eigentümer tausender Gebäude, betreiben Krankenhäuser, Schulen und Kindertagesstätten, die wiederum heizen, Strom verbrauchen, Lebensmittel kaufen und kochen oder Autos fahren lassen. Der CO2-Ausstoß der evangelischen Kirchen in Deutschland wird auf 1,7 Millionen Tonnen im Jahr geschätzt - fast so viel wie der von Island. Den ökologischen Fußabdruck der Gemeinden zu verringern, haben sich manche Landeskirchen, Bistümer und viele Gemeinden zur Aufgabe gemacht. Die Synode der EKD hat 2008 beschlossen, in den Mitgliedskirchen der EKD den Ausstoß von Kohlendioxid bis 2015 um ein Viertel zu reduzieren. Bei diesem ehrgeizigen Ziel seien "einige Landeskirchen auf einem guten Weg", meint Hans Diefenbacher von der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) und Umweltbeauftragter der EKD. Acht Landeskirchen haben bisher eigene Klimaschutzkonzepte erstellt. In Baden und Westfalen wurde mit der Umsetzung bereits begonnen, die Nordkirche möchte bis 2050 CO2-neutral werden. Über den Fortschritt zum 25-Prozent-Ziel will die FEST im Herbst der EKD-Synode eine Bilanz vorlegen, Details will Diefenbacher noch nicht verraten. Kein Geheimnis ist aber, dass es in manchen Punkten schneller gehen könnte. "Wenn es hakt, liegt es manchmal an Personen, manchmal aber auch an nötigen Investitionen, die erst einmal aufgebracht werden müssen."
In vielen Gemeinden ist Klima- und Umweltschutz inzwischen angekommen, sagt Jobst Kraus vom Umweltausschuss des Kirchentages und lange Ökoreferent der Evangelischen Akademie Bad Boll. Auf dem Kirchendach steht die Solaranlage, aus der Kita-Steckdose kommt grüner Strom, der Kirchentag ist mit seinem Verkehrskonzept, der Essensversorgung und den kompensierten Treibhausgas-Emissionen "die grünste Großveranstaltung der Welt", betont Kraus, der viele dieser Ideen hartnäckig vorangetrieben hat. Er beklagt aber auch, dass "die Kirche gesellschaftliche Konflikte scheut und sich in der babylonischen Gefangenschaft der Konsumgesellschaft eingerichtet hat". Als die damalige Landwirtschaftsmi-nisterin Ilse Aigner forderte, die Bürger sollten weniger Fleisch essen, und dafür Ärger bekam, "ist ihr kein Bischof beigesprungen", kritisiert Kraus. Aus den Landeskirchen und Gemeinden kämen zu wenige Anstöße für die nachhaltige Entwicklung der Städte und Gemeinden, die Kirche sei oft mit sich selbst beschäftigt. "Auch bei uns regieren oft die Finanzleute mit ihren neoliberalen Vorstellungen."
Hort der Nachhaltigkeit
Wie sehr die Öko-Bewegung auf die Unterstützung der Religionen hofft, zeigt auch der Bericht "zur Lage der Welt" aus dem Jahr 2010, den das renommierte "Worldwatch Institut" in Washington herausgibt. Der Report, der sich mit der Vision von "Nachhaltigkeit als neuem Lebensstil" befasst, enthält explizit eigene Kapitel über "Religionen im Dienste der Nachhaltigkeit". Als "Gegenentwurf zum Konsumismus" könnten Religionen ein "Hort der Nachhaltigkeit" sein, die Finanzkraft religiöser Institutionen, ihre moralische Autorität und "die Tatsache, dass sich 86 Prozent der Weltbevölkerung als Angehörige einer organisierten Religion bezeichnen", zeige deren möglichen Einfluss. Das Institut hat grundlegende Erklärungen der Religionen zur Umwelt zusammengetragen und erinnert an grüne Kernbotschaften der heiligen Schriften und eine "ökologische Weltethik".
Für das Worldwatch-Institut könnte sich die Bewahrung von Traditionen durch Rituale und Tabus als "Schutzengel der Ökologie" erweisen: Religiöse Traditionen stärkten den Widerstand gegen die Ökosünden der Konsumgesellschaft - zum Teil auch über den Tod hinaus und für europäische Vorstellungen etwas bizarr. Die tibetische Himmelsbestattung etwa, bei der die Körper der Toten Geiern zum Fraß vorgeworfen werden, "mag sich für westliche Ohren schrecklich anhören", schreiben die Ökoforscher, "sie ist aber umweltfreundlich und fördert nicht den Konsum."
Bernhard Pötter
Bernhard Pötter
Bernhard Pötter ist Journalist und Buchautor. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik.