Blüten gegen die Armut

Warum das blühende Geschäft mit den Blumen häufig auch ein schmutziges ist
In Kenia: Ann Chepkirui klebt das Fairtrade-Etikett auf den Rosenstrauß. Foto: Martina Hahn
In Kenia: Ann Chepkirui klebt das Fairtrade-Etikett auf den Rosenstrauß. Foto: Martina Hahn
Jede vierte in Deutschland verkaufte Rose stammt mittlerweile aus dem Fairen Handel. Das bietet Pflückerinnen wie Ann Chepkirui aus Kenia und ihren vier Kindern eine Zukunft, wie die Journalistin Martina Hahn herausfand.

Schwer und betörend liegt der Duft der Rosen über der Packhalle. Doch Ann Chepkirui, schmale Taille unter grünem Arbeitskittel, sieht nicht das Meer voller Blüten, rot, gelb oder rosé, das den Besucher aus Deutschland fasziniert. Rosen als Geschenk zum Valentinstag oder als Tisch-Deko kennt Ann nicht. Sie hat nur Augen für ihren Job, der ihr und ihrer Familie einen vollen Magen sichert und den Kindern eine Zukunft verspricht. Ihr Job - das ist die perfekte Länge, das perfekte Blatt jeder einzelnen Blume.

Konzentriert zieht die junge Frau eine Rose aus dem frisch geschnittenen und entdornten Haufen auf dem Pult. Legt den kerzengeraden Stiel neben das Lineal. Kappt ihn bei 40 Zentimetern; der Kunde in Europa will es so. Prüft die empfindlichen Köpfe. Legt die Rose dann auf ein Stück Karton, fügt neun weitere hinzu, bündelt das Ganze, klebt das Fairtrade-Etikett drauf und legt den Strauß auf das Förderband, das an ihr vorbeigleitet. Es muss schnell gehen. Schnittblumen verderben rasch. Gleich werden Anns faire Rosen per Laster von der Finlays Plantage nach Nairobi, in die Kenianische Hauptstadt, transportiert. In der Nacht fliegen sie Richtung Norden und 48 Stunden später stehen sie entweder für Euro 2,99 oder Euro 3,49 pro Bund in einem Supermarkt oder zu höheren Preisen bei Floristen irgendwo in Deutschland.

Rosen, Nelken oder Hortensien - die Deutschen lieben Schnittblumen. Nur Amerikaner und Japaner stellen noch mehr Blüten in die Vase. Über drei Milliarden Euro geben die Bundesbürger im Jahr für Blumen aus; jeder vierte verkaufte Stiel ist eine Rose. Was die meisten Kunden nicht wissen: 80 Prozent der Blüten werden heute über Holland aus Übersee importiert. Sie wachsen am Äquator, wo das Klima perfekt und Arbeit billig ist. In Kenia, Kolumbien, Äthiopien oder Ecuador. Auch China oder Indien drängen in den lukrativen Markt.

Kratzer am Image

Doch das Produkt, das wie kaum ein anderes für Gefühle steht, hat eine Schattenseite. Das blühende Geschäft mit den Blumen ist häufig auch ein schmutziges: Miserable Löhne für die Pflücker, kaputte Masken für im Pestizidnebel stehende Arbeiter oder unbezahlte Überstunden vor Valentins- oder Muttertagen sind auf vielen konventionell arbeitenden Blumenplantagen in Afrika und Lateinamerika eher die Regel denn die Ausnahme. Auch umgekippte Seen wie der Naivasha-See in Kenia, ein zu hoher Wasserverbrauch und kaputte Böden rund um die Blumenfarmen kratzen am Image der Rosen.

Von Ausbeutung und Vergiftung der Arbeiter, gar von "Blutrosen" für die Discounter, wo sie für Euro 1,80 das Bund feilgeboten werden, spricht das Menschenrechtsnetzwerk FIAN. In der Regel verdient eine Blumenarbeiterin in Kenia auf einer herkömmlichen Farm am Tag weniger, als eine Rose bei uns im Laden kostet. Um die Zahlung vorgeschriebener Sozialleistungen zu umgehen, bekommen Arbeiter oftmals nur Kurzzeitverträge oder sie werden über externe Agenturen angestellt.

Eine Studie der ehemaligen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit - heute GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) - macht überdies auf die gesundheitlichen Gefahren aufmerksam, denen Arbeiter auf den Blumenfeldern durch den hohen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ausgesetzt sind. Etwa in Kolumbien, dem zweitwichtigsten Blumenexporteur nach Kenia. Demnach werden auf konventionellen Blumenplantagen noch immer chemische Substanzen eingesetzt, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als äußerst giftig oder hochgiftig einstuft. Da es oft an ausreichender Schutzkleidung fehlt, sind Allergien, Hautkrankheiten und Erkrankungen der Atemwege unter den Arbeitern weit verbreitet. Auffällig sei auch die hohe Rate an Fehlgeburten auf Blumenfarmen, so die Autoren der Untersuchung.

Gegen Überdüngung und Pestizide

Ein anderer, sozial und allmählich auch ökologisch saubererer Weg wird auf Plantagen gegangen, die für den Fairen Handel produzieren. Rund 56 sind es weltweit; 32 allein in Kenia. Eine der kenianischen Plantagen ist Finlays, der Arbeitgeber von Ann Chepkirui. Seit 2007 arbeitet der britische Konzern, der mit 4.500 Arbeitern auf drei Farmen im Hochland von Kenia jährlich an die 120 Millionen Stiele produziert, nach den strengen Richtlinien des Dachverbands Fairtrade International, kurz FLO. Das heißt: Finlays darf keine Kinder beschäftigen. Der Konzern muss Arbeiterinnen wie Ann einen angemessenen Lohn zahlen, der laut Blumenstandard von FLO "gleich oder höher ist als der regionale Durchschnittslohn oder der lokal gültige gesetzliche Mindestlohn". Dafür darf flo an jedem Stängel, der als Fairtrade-Rose in den Export geht - derzeit rund 30 Prozent der Ernte - das blau-grüne Siegel anbringen.

Und an dem orientieren sich beim Kauf von Blumen immer mehr Konsumenten. Allein in Deutschland haben Kunden 2013 an die 324 Millionen faire Rosen gekauft, 26 Prozent mehr als im Vorjahr. Damit schafften die fairen Blumen binnen weniger Jahre einen Marktanteil von 25 Prozent: "Jede vierte Rose in Deutschland ist fair gehandelt", sagt Dieter Overath, Geschäftsführer von TransFair, der hiesigen Siegelorganisation. Neun von zehn Fairtrade-Rosen landen im Einzelhandel und stehen als Strauß unter anderem in den Filialen von Rewe, Penny, toom, Kaufland, Lidl, Kaiser's, Tengelmann, Edeka, Netto, Real und Blume 2000. Oder als langstielige Einzelrosen bei über tausend Floristen in Deutschland.

Als Fairtrade-Plantage muss Finlays das Gießwasser recyceln und filtern und den Einsatz von Pestiziden reduzieren. Denn sozial saubere Rosen sind nicht automatisch grün. Immer wieder haben Umweltschützer die faire wie auch die konventionelle Blumenindustrie dafür kritisiert, die Gewässer und Böden rund um die riesigen Gewächshäuser zu überdüngen und gerade in Kenia den Massai buchstäblich das Wasser abzugraben, denn um zu wachsen, braucht jede Rose vier Liter Wasser. Bei einigen Blumenfarmen kam die Kritik an. Inzwischen hat flo wohl die schlimmsten Pestizide ganz verboten. Finlays setzt heute auch biologische Schädlingsbekämpfungsmittel ein - und hat damit nach eigenen Angaben den Verbrauch von Pestiziden seit 2003 um 90 Prozent gesenkt. Der Standard von Fairtrade International verlangt "eine schrittweise Reduktion beim Verbrauch von Pestiziden". Dass die Besitzer der fairen Blumenplantagen alle diese Regeln einhalten, prüfen die Inspektoren von FLO-Cert, der Kontrollinstanz von Fairtrade International, im Schnitt alle zwei Jahre.

Mehr Geld und Schutzanzug

Die Vorgaben und die strenge Kontrolle schützen auch Ann, durch deren Hände täglich mehrere Hundert Rosen wandern. Für sie bedeutet das Fairtrade-Siegel auf den Blumen, die sie prüft und verpackt, aber vor allem, dass sie einen festen Arbeitsvertrag hat. Dass sie mit umgerechnet 80 Euro im Monat fast doppelt so viel verdient wie ein Arbeiter, der auf einer nichtzertifizierten Farm arbeitet. Dass sie und ihre Kinder krankenversichert sind, sie einer Gewerkschaft beitreten darf und einmal eine Rente bekommen wird. Dafür kontrolliert Ann von Montag bis Samstag acht Stunden am Tag acht Stiele pro Minute - auf einer konventionellen Farm läge ihr Soll bei zwölf Rosen. Finlays stellt ihr auch mietfrei ein Häuschen auf der Plantage zur Verfügung. Im Vorgarten zieht Ann Kartoffeln, Zwiebeln und Tomaten. Nur Fleisch muss sie zukaufen, umgerechnet drei Euro kostet das Kilo Rind in Kenia, so viel wie drei Liter Milch oder acht Laibe Brot.

Als Pflückerin auf einer fairen Blumenfarm bekommt Ann aber nicht nur einen höheren Lohn als auf einer der vielen konventionellen Plantagen. Ihr Kollege, der im Gewächshaus Pestizide versprüht, trägt einen dichten Schutzanzug samt sicherer Gasmaske. Er und Ann profitieren auch von der Fairtrade-Prämie, die die Arbeiter als Gruppe erhalten - fast einen Cent pro in Deutschland verkaufter Rose. Nimmt man alle Verkäufe fairer Blumen in Deutschland aus allen 56 fair erzeugenden Blumenplantagen weltweit, liegt die 2013 erzielte Prämie bei 1,7 Millionen Euro. Wie das Geld verwendet wird, darüber entscheidet das von den Arbeitern gewählte "Prämien-Komitee", eine Art Betriebsrat.

Bislang musste das Projekt ausschließlich Gemeinschaftszwecken dienen. Die Arbeiter auf Anns Farm haben mit der Prämie der zurückliegenden Jahre etwa Geräte für das örtliche Hospital und Schulbücher gekauft sowie Stipendien, Fahr- oder Nähkurse finanziert - "damit die Leute ein Einkommen haben, falls sie die Farm einmal verlassen", sagt John Ongori von Fairtrade International. Er berät die Plantagen bei der Umstellung auf das faire System. "Bildung ist der Schlüssel zu einer besseren Zukunft", sagt er. "Die ersten Kinder sind schon auf der Uni." Ihrem Nachwuchs dies ermöglichen zu können, mache die Arbeiter stolz. "Sie haben sich die Prämie ja selbst erarbeitet." Vielleicht ist dieses neue Selbstbewusstsein, mitentscheiden zu können, für die Arbeiter sogar wichtiger als der höhere Lohn.

Mit dem neuen Standard für Hired Labour, den Plantagen Standards, die Fairtrade International im Januar dieses Jahres verabschiedet hat, kann die Gruppe aber auch per Mehrheitsbeschluss beantragen, dass den Arbeitern 20 Prozent der Prämie als Lohn ausgezahlt wird. Bis zu 50 Prozent sind sogar möglich, wenn es sich mehrheitlich um Arbeiter handelt, die migriert sind oder von Saison zu Saison von einer Plantage zur nächsten wandern. "Damit wird sichergestellt, dass auch zeitlich befristete Beschäftigte von der Prämie profitieren, selbst wenn sie und ihre Familien nicht auf Dauer vor Ort leben", sagt Claudia Brück, Pressesprecherin von TransFair. Es ist ein Paradigmenwechsel, der auch intern heftig diskutiert wird - und "ein Balanceakt", so Brück: Zwar verhilft die Auszahlung der Prämie als Cash den im Fairen Handel arbeitenden Menschen zu einem höheren Lohn. "Aber es muss auch sichergestellt werden, dass der Gemeinschaftsgedanke weiter gefördert wird - und sich dadurch die Besitzer der Blumenplantagen nicht aus der Verantwortung stehlen, faire Löhne zu zahlen."

Auf eigenen Füßen

Was ein fairer oder ein zumindest existenzsichernder Lohn ist, will FLO nun gemeinsam mit den Internationalen Arbeitsorganisationen ILO und ISEAL für jedes Land definieren, in dem zertifizierte Plantagen liegen. Diese Definition ist überfällig. Denn bislang orientierte sich FLO bei den Löhnen der Fairtrade-Blumenpflücker vor allem an den durchschnittlichen Mindest- oder Branchenlöhnen eines Landes. Die waren stets höher als auf konventionellen Farmen - und sind doch noch immer zu niedrig. Davon profitieren zwar die Kunden in Deutschland: Die fair erzeugten Rosen sind im Handel oft nicht viel teurer als herkömmliche Blüten. Doch die Arbeiter auf den Blumenplantagen bleiben letztendlich arm.

Anns Leben hat sich aber dennoch verbessert, seit sie auf einer Blumenfarm arbeitet, die den Fairen Handel beliefert. Es ist kurz vor sechs Uhr in der Früh und noch dunkel. Auf dem niedrigen Tisch, neben der Benzinfunzel, stehen süße Weizenpfannkuchen; über dem Holzfeuer in der Ecke dampft der Tee. Elektrizität gibt es nicht in Anns winzigem Haus, ein Raum, viermal vier Meter für vier Personen; eine Batterie füttert das Radio, aus dem leise Reggae-Musik dringt. Drei ihrer vier Kinder leben bei ihr. Schüchtern sitzen sie in ihren Schuluniformen auf den beiden Betten. Es kommt nicht oft vor, dass Fremde sie besuchen. Ezra, der Älteste, erzählt Ann, will einmal Arzt werden. Er ist im Internat. Zwei Drittel der Kosten dafür trägt Finlays, einen Monatslohn muss Ann im Jahr dazu beisteuern.

"Durch die Rosen kann ich die Kinder alleine ernähren und auf die Schule und Uni schicken", sagt die schmale Frau, die plötzlich sehr stark wirkt. "Und nur deswegen kann hier eine Frau ihren Mann verlassen, wenn er sie schlägt", fügt sie hinzu. Ihr Wunsch? "Dass ich auch künftig meinen Job machen kann - zumindest so lange, bis die Kinder ihren Beruf haben. Und damit eine Zukunft."

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Martina Hahn

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