Es geht nicht nur um Syrien

Das bisherige Scheitern der UNO zeigt ihren dringenden Reformbedarf
Nach einem Bombenangriff auf Aleppo/Syrien im Februar 2014. Foto: dpa/ Mustafa Sultan
Nach einem Bombenangriff auf Aleppo/Syrien im Februar 2014. Foto: dpa/ Mustafa Sultan
Ohne einen durchgreifenden Erfolg wurde bislang im schweizerischen Montreaux nach Wegen zur Beendigung des Bürgerkrieges in Syrien gesucht. Rupert Neudeck, Gründer der Hilfsorganisation Grünhelme, erklärt die komplizierte Gemengelage und warum ein Scheitern der Gespräche auch dramatische Folgen für die Vereinten Nationen haben dürfte.

Nein, die Genfer Syrien-Konferenz war nicht das Hornberger Schießen, das ja bekanntermaßen trotz großem Getöse und Erwartungen ergebnislos blieb. Denn zu erwarten war ja nicht viel mehr als eine Erleichterung der Lage der Menschen in Homs durch humanitäre Lieferungen. Das Elend wird weitergehen, weil die syrische Rebellion von Anfang an nicht den Bonus aus Europa erhielt wie die in Ägypten, Tunesien oder im Jemen. Dadurch, dass man dieser Bewegung nicht die Ernsthaftigkeit einer Befreiungsbewegung zuerkannte, war sie verraten. Denn das Regime hatte zu viele hartnäckige Unterstützer - eben auch so a priori glaubwürdige Zeugen und Zuträger wie christliche Bischöfe, Politker und Publizisten. Hinzu kam, dass man nicht entfernt so stark eingriff wie im Ägypten Mubaraks oder im Tunesien von Ben Ali, als der heimliche König Syriens aus der Dynastie der Assads von Anfang an diese Rebellion als Ausgeburt ausländischer Terroristen verdammte und auch gleich Bomben, Kanonen und Granaten auf sie abwarf.

Man muss sich klarmachen, dass die syrische Rebellion in das vierte Jahr geht. Sie begann am 15. März 2011 mit einer friedlichen Demonstration von nicht mehr als 50 Menschen, die durch Al Hamidiye, das zentrale Einkaufszentrum der Altstadt von Damaskus, liefen und etwas ganz Aufregendes taten: Sie riefen nach Freiheit. Kurz darauf wurden sie von Regime-Anhängern, vielleicht auch Geheimdienstleuten auseinandergetrieben. Einen Tag später versammelten sich etwa hundert Oppositionelle vor dem Innenministerium und forderten die Freilassung der politischen Gefangenen. Die nächsten größeren Proteste gab es an dem darauffolgenden Freitag in der Stadt Daraa. Das war dann schon eine Groß-demonstration, der mit äußerster Gewalt begegnet wurde. Der Staatschef Baschar al Assad wollte den Aufstand sofort im Keim ersticken. Es gab in Daraa auch die ersten Toten. Das war der Funke, der die Explosion auslöste. Syrien ist nicht mehr zur Ruhe gekommen.

Erleuchtung über das Netz

Es war eine genuin junge Rebellion wie auch die in Tunesien, Ägypten, Libyen, Jemen, Bahrain. Völker, denen wir das nicht zugetraut hatten, waren plötzlich auf der Straße und ließen sich nicht bändigen. Überall, so auch in Syrien, sind 70 Prozent der Demonstranten unter 30 Jahre und Angehörige der Internet- und Handy-Generation. Ein junger Syrer hat uns an seiner Aufklärung und Erleuchtung über das Netz teilnehmen lassen. Für Rami Nakhla begann die Revolution ganz zufällig im Jahre 2006. Er hatte nicht ein Buch vor sich, sondern zum ersten Mal in seinem Leben einen Computer mit Internetanschluss. Einer seiner Freunde sagte den Zaubersatz: "Google doch mal". Er schreibt: "Was in mir vorging, war beängstigend. Ich begann eine eigene Meinung zu haben. Aber ich wollte keine Angst haben und googelte mich nun durch alle Themen, zu denen ich bisher nur eine einzige Wahrheit gekannt hatte. Deshalb konnte ich drei Nächte lang nicht schlafen. Aber danach fühlte ich mich wie ein neuer Mensch." Und er ergänzt, dass er den Mann, den er immer für seinen fürsorglichen Vater gehalten hatte, jetzt für einen Verbrecher hielt, "weil der 1982 eine ganze Stadt Hama abgeschlachtet hatte und das nur, um an der Macht zu bleiben". (zitiert nach Larissa Bender (Hg.): Syrien. Der schwierige Weg in die Freiheit. Bonn 2012).

Nun nimmt Syrien aber seit der Zeit der Machteroberung durch die Familie Assad eine besondere geopolitische Rolle ein. Das Land hatte sich mit den Staaten des Sowjetblocks verbündet, nach dem Fall der Mauer mit dem Russland des Boris Jelzin, dann des Wladimir Putin. Russland hängt in seinem Bestreben, seine Weltmachtstellung zu erhalten, ganz an dem einzigen Mittelmeerhafen Tartus in Syrien und dem Einfluss, den seine Eliten und Oligarchen und Waffenhändler im Lande haben. Dadurch wurde es schwieriger für die junge Revolution, den Herrscher Baschar al Assad so zu stürzen wie das die aufmüpfige junge Gesellschaft in Tunesien und in Ägypten geschafft hatte. Das Regime in Syrien hatte und hat bis heute die fast uneingeschränkte Unterstützung durch Russland und - etwas schwächer - auch durch den Iran.

Die Tatsache, dass Baschir al Assad, der immer so gewinnend staatsmännisch in der Welt auftrat, die junge Rebellion nur mit Waffengewalt bekämpfte und auch von den Revolutionären nur als "ausländische Terroristen" sprach, führte zu einer größeren Desertionsbewegung der eigenen Armee, die dann die rebellierende Freie Syrische Armee bildete. Diese schien 2012 bis Anfang 2013 die Macht schrittweise und unaufhaltsam zu erobern. Selbst der Chef des Bundesnachrichtendienstes erklärte im November 2012 die Tage und Wochen Assads in Damaskus seien gezählt.

Aber dann begann eine Bewegung, die gewiss von Saudi-Arabien ausging, auch von Katar, die eine größere Zahl von wilden Fanatikern (auch Salafisten oder Dschihadisten genannt) nach Syrien einschleppte. Sie kämpften nicht etwa gegen den Herrscher in Damaskus, sondern gegen die FSA und gegen Assad allenfalls in zweiter Instanz. Diese Bewegung, vor allem die ISIS (Islamischer Staat im Irak und Syrien), hat sich so breitgemacht, dass sie im geheimen Einverständnis mit dem Regime und den Truppen von Baschar al Assad dabei ist, die rebellierende Gesellschaft in ihrem Willen zu brechen.

Die westliche Welt sandte unentschlossene Signale nach Syrien. Dazu kam, dass die Syrer untereinander in zu viele verschiedene rebellierende Kampfgruppen und Milizen zerspalten sind. Die uno hatte einen ersten Versuch mit unbewaffneten Militärbeobachtern unter dem ehemaligen Generalsekretär Kofi Annan unternommen, war aber gescheitert. Die Konferenz im Januar 2014 zeigte auf erschreckende Weise die Schwäche der Vereinten Nationen. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat sich die Welt nun auf die UNO eingelassen und ihr eine eigene Völkerrechtspersönlichkeit zugesprochen. Aber eine Global Governance ist nicht in Sicht, allenfalls viele internationale Regelungen. Dass der eigentlich mächtigste Mensch der Erde, Ban Ki-moon, die souveräne Entscheidung der Weltgemeinschaft, den Iran einzuladen, wieder zurücknehmen musste, war auch eine Schande. Das mehrmalige Scheitern der UNO, in Ruanda, im Irak, in Nordkorea und nun auch in Syrien, führt zu einer gebieterischen Forderung: Entweder sie besinnt sich auf ihre Aufträge und ihre Charta und geht einen Weg, den man noch unter Dag Hammerskjöld erlebt hat. Oder die UNO muss sich ganz an Haupt, Gliedern und Operationalität erneuern.

Erinnerung an den Völkerbund

Man ist versucht, in diesen Tagen an den Zusammenbruch des Völkerbundes zu denken. Und an die Rede, die der aus seinem Land vertriebene äthiopische Kaiser Haile Selassie am 30. Juni 1936 vor den Delegierten der Welt hielt: "Es geht nicht in erster Linie um eine Beilegung der Aggression Italiens. Es geht um kollektive Sicherheit. Es geht um die schiere Existenz des Völkerbundes... Mit einem Wort: Auf dem Spiel stehen die moralischen Grundsätze zwischen den Staaten. Sieht man vom Königreich des Herrn ab, gibt es wohl auf der Welt keine Nation, die über der anderen steht."

Die Schwäche der UNO erinnert an die Schwäche des Völkerbundes in jenen Tagen. Der Generalsekretär der UNO müsste der einzige sein, der dem Regime bei fortdauernder Aggression der eigenen Luftwaffe, der Vertreibung großer Teile der eigenen Bevölkerung mit militärischer Gewalt drohen dürfte. Doch hinter der schmalbrüstigen UNO lugen immer die Agenten hervor, denen das Schicksal der Syrer ziemlich egal zu sein scheint.

Aber auch wir als Bürger in einem europäischen Land sind gefragt. Wüssten wir um das Elend der Syrer und ihren Status als verlassensde Nation, würden wir unserer Regierung den Marsch blasen. Schon lange dürfte kein einziges Flugzeug der Regierung Syriens weiter die Bomben auf die Zivilbevölkerung abwerfen. Wie wir ja erfahren haben, bleiben die Hauptquartiere der ISIS und anderer verbrecherischer fanatischer Organisationen unbeschädigt. Die rein formale Anstrengung der Durchführung dieser Konferenz wird uns bei der nach dem Völkermord in Ruanda größten Menschenrechtskatastrophe in der Welt nach dem Zweiten Weltkrieg noch mal schwer um die Ohren geschlagen werden.

Die Konferenz wird weitergehen. Kein Wort von den vier Millionen Menschen, die auf der Flucht sind, kein Wort der Klage über das Fluchtschicksal, das schon allein die Regierung diskreditiert. Warum mucken Staaten wie die Türkei, das irakische Kurdistan, Jordanien, der Libanon nicht heftiger auf, zugunsten der Millionen Syrer, die wieder in ihre Heimatdörfer zurückkehren und ihre Felder bestellen wollen? Die Entführungen sind nicht mehr überschaubar. Ganz besonders furchtbar ist die Entführung von Pater Paolo dall'Oglio, weil er für die Rebellion der Syrer ganz besonders wichtig war. Er war der entscheidende Mann gerade aus dem christlichen Lager, der der Rebellion immer wieder die richtige Richtung gewiesen hat: Menschenrechte, Koexistenz mehrerer Religionen und Ethnien, Demokratie, Christen nicht in Kollaboration mit einem Regime, sondern im Widerstand. Auch die beiden Bischöfe, die vor etwa einem Jahr entführt wurden, sind noch nicht frei, wurden möglicherweise bereits ermordet.

Syrische Christen haben am 19. Februar 2014 in einem Aufruf erklärt: "Das Regime von Baschar al Assad war und ist niemals der Beschützer der christlichen Minderheiten, sondern es schützt lediglich die Interessen der mafiösen Strukturen der Diktatur. Wir, Christen der Ost- und der Westkirche angehörend, erheben unsere Stimme gegen die Gewaltherrschaft über das syrische Volk." Der Name Jesus Christus stehe für Gerechtigkeit und gegen Unterdrückung. "Wir fordern daher eine Rückkehr zu einer Kirche, welche die Werte der Freiheit, der Toleranz und des Zusammenlebens befürwortet."

Rupert Neudeck

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