An ihren meist schlichten Kirchengebäuden mit dem markanten Emblem (Kreuz vor aufgehender Sonne) ist wohl fast jeder schon einmal vorbeigelaufen. Nach Katholiken, Protestanten und Orthodoxen ist die Neuapostolische Kirche Deutschlands viertgrößte christliche Glaubensgemeinschaft. Und doch war sie für lange Zeit im öffentlichen Bewusstsein wesentlich weniger präsent als andere "christliche Sondergemeinschaften" wie die Zeugen Jehovas oder die Mormonen. Dass sich diese Wahrnehmung nun verändert, hängt mit beachtlichen Umbrüchen zusammen, die sich in den vergangenen zwanzig Jahren innerhalb der Kirche ereignet haben. Medial wahrgenommene Aussteigerberichte und ein zunehmender Reformstau führten dazu, dass sich die bis dahin recht verschlossene Gemeinschaft rasant öffnete und sogar in einen verstärkten Dialog mit anderen christlichen Kirchen trat. Die ökumenischen Kontakte zeigten allerdings, dass es der Laienkirche noch an einer ausreichend schriftlich entfalteten Lehre mangelte. In einem beachtlichen Arbeitsprozess wurde daraufhin erstmals ein umfangreicher Katechismus erarbeitet.
Die ökumenischen Ansatzpunkte dieses Lehrwerks waren 2013 Thema einer Tagung, zu der die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) sowie die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) eingeladen haben. Der gerade erschienene Tagungsband wurde von Kai Funkschmidt, dem zuständigen Referenten der EZW, herausgegeben. Schon allein die Tatsache, dass Weltanschauungsbeauftragte, ökumenische Theologen und Vertreter der Neuapostolischen Kirche heute miteinander auf Augenhöhe ins Gespräch treten, kann als Ergebnis der jüngeren Veränderungsprozesse gedeutet werden. Diese Entwicklungen werden vom Herausgeber zunächst in einem hilfreichen Vorwort zusammengefasst. Dass besonders das Kirchen-, Amts- und Sakramentsverständnis auch künftig zentrale Themen im ökumenischen Gespräch sein werden, veranschaulichen die dogmatischen Analysen des Katechismus von Funkschmidt, dem neuapostolischen Diakon Simon Seiter sowie dem katholischen Theologen Burkhard Neumann, der vor allem auf die großen Analogien zwischen katholischer und neuapostolischer Glaubenslehre hinweist. Ihm gelingt es, auch die neuapostolischen Sonderlehren, wie etwa die Sakramentsspendung für Verstorbene, differenziert zu betrachten. Ausgesprochen anregend ist der Beitrag der Weltanschauungsbeauftragten Annette Kick, die sich wissenschaftlich überhaupt erstmals der neuapostolischen Bibelhermeneutik widmet und dabei den Katechismus auch in seinen wörtlichen Formulierungen ernst nimmt. Wegweisend könnte der Aufsatz des Konfessionskundlers Walter Fleischmann-Bisten werden, der untersucht, inwieweit die Entwicklung der Siebenten-Tages-Adventisten Vorbildcharakter für die Neuapostolische Kirche hat. Der Weltanschauungsbeauftragte Harald Lamprecht untersucht die Frage, wie ein Weg der Glaubensgemeinschaft hin zu einer (Gast-)Mitgliedschaft in der ack aussehen könnte.
Insgesamt ermöglicht der Band anschaulichen und differenzierten Blick auf die Lehre der Neuapostolischen Kirche. Leider wird auch in dieser Publikation die internationale Dimension der Glaubensgemeinschaft, deren Mitglieder zu knapp 80 Prozent in Afrika leben, nur am Rande gestreift. Dabei hat natürlich die Verteilung der Gläubigen auch ganz praktische Auswirkungen auf Lehre und Leben der Kirche, was sich etwa bei Fragen der Frauenordination und der Sexualethik bemerkbar macht. Trotz der mitwirkenden neuapostolischen Autoren wäre zudem ein stärkerer Blick auf die Realität der neuapostolischen Basis, etwa im Blick auf die Rezeption der jüngeren Veränderungsprozesse, wünschenswert gewesen. Denn auf der Ebene der Bezirke und Gemeinden wird sich entscheiden, ob die ökumenischen Ansatzpunkte tatsächlich zu einer nachhaltigen Öffnung der Kirche beitragen können.
Kai Funkschmidt (Hg.): Bewahrung und Erneuerung. EZW-Text 228, Berlin 2013, 131 Seiten, Euro 6,-.
Daniel Lenski