Die Seele Afrikas

Zu Besuch im Voodoo-Museum von Henning Christoph
Ahnenfiguren der Bembe. Foto: Jens Großmann
Ahnenfiguren der Bembe. Foto: Jens Großmann
Voodoo - das ist etwas anderes als die kleinen Strohpuppen, mit deren Hilfe mittels Nadelspicken Menschen gequält werden - nämlich ein uralter Glaube aus dem westlichen Afrika. Anschaulich wird das im Privatmuseum "Soul of Africa" in Essen. Udo Feist und Jens Großmann haben es besucht.

Essen, Rüttenscheider Straße. Kleine Läden, Restaurants, Kneipen, Cafés. Eine Ausgehmeile. Nummer 36 ist ein blassrosa Jugendstilbau. Vis-à-vis ein Biomarkt, um die Ecke der Royal Club, eine Stripbar. Hundert Meter von hier, an der B 224, David Chipperfields lichter Neubau des Folkwang-Museums mit großkalibrigen Ausstellungen. Die "Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung" und eine solide Mäzenatenkultur machen hier einiges möglich. Die Leute kommen busladungsweise.

Heilung und Magie

Im Privatmuseum "Soul of Africa" in der Rüttenscheider Straße 36 mit seiner weltweit einzigartigen Sammlung von Kultgegenständen aus der Voodoo-Religion von Westafrikas Sklavenküste geht es da eher beschaulich zu. Wer die Steinportalstufen nimmt, betritt eine faszinierende Welt. Die Erdgeschosswohnung war früher Zahnarztpraxis. Jetzt beherbergen die 85 Quadratmeter die Seele Afrikas. Henning Christoph, der hier erst nur Teile seiner Sammlung lagerte und gar kein Museum plante, wählte den Namen mit Bedacht. Alles dreht sich hier um Heilung und Magie. Schwerpunkt ist der Voodoo, besonders aus Benin. Rasch war vom "Voodoo-Museum" die Rede. Der 69-jährige Ethnologe, Fotograf und Filmemacher findet das in Ordnung. Die hohen Räume sind erdfarben gestrichen und vollgestellt mit Vitrinen, Fetischen, Zauberexponaten, Kostümen, Statuen (viele von dem Götterboten Legba, ein gehörnter Trickster mit markantem Phallus, der die Missionare schreckte) und einem "lebendigen", also funktionstüchtigen Altar der Göttin Mami Wata.

Foto: Jens Großmann
Foto: Jens Großmann

Voodoo wird heute hauptsächlich in den afrikanischen Staaten Benin, Ghana und Togo praktiziert, ferner auf Haiti. Auf diesem haitianischen Voodoo-Altar sind die christlichen Einflüsse deutlich zu erkennen.

Statt "Herz der Finsternis"-Anmutung, Multimedia-Bombast oder Geruch von verbranntem Opferfett herrscht vor allem Stille. Christoph ist von mittlerer stämmiger Statur, sein Haar silbergrau, voll und lockig. Er drückt einem kräftig die Hand. Es riecht nach seiner Pfeife. Ein Mann, der viel Voodoo gesehen hat, Menschen in Trance, nachtlanges Tanzen, Orakelbefragungen, Heilungen, für Unvertraute haarsträubende Zeremonien: "In einer Gesellschaft, wo alle dran glauben, funktioniert das." Mit Zombies, Nadelpuppen oder obskuren Internet-Angeboten habe das nichts zu tun, sagt er. Das miese Klischee-Image verdanke Voodoo Hollywood: Zur Zeit der amerikanischen Besetzung von Haiti (1915 - 1934) produzierte Hollywood die ersten Horrorfilme.

401 Gotteskinder

Voodoo ist ein sehr alter afrikanischer Glauben. Das Wort stammt aus der Sprache der Fon, Benins Hauptethnie, und bedeutet Gott. Weil der Schöpfergott zu weit weg ist, erreicht man ihn nicht direkt, dafür aber seine 401 Kinder. "Mit denen arbeitet man." Himmels-, Erd- oder Wassergottheiten wie Mami Wata. Alles ist gut und böse, auch die Götter, und es geht darum, Gutes und Böses ins Gleichgewicht zu bringen. Kippt es, entsteht Chaos. Ein System, in dem es um Heilen und Beschützen geht. Schadensmagie ist davon nur ein kleiner Teil.

Foto: Jens Großmann
Foto: Jens Großmann

Mami-Wata-Altar. Mami Wata ist ein vermutlich aus Nigeria stammender Wassergeist, der auch in der Karibik verehrt wird.

Foto: Jens Großmann
Foto: Jens Großmann

Eine Weste des Egungun-Ju-Ju-Mannes.

Voodoo habe therapeutische Aspekte und eine wichtige soziale Funktion. Die "Anwendungsfelder" reichen vom Diebstahl, der aufzuklären ist, Bannen von Wiedergängern und Hexen bis zur Therapie von Depressionen, wie man bei uns sagen würde. Er zeigt das Foto einer jungen Frau, die den Lebenswillen verloren hatte. Sie wurde in Trance mit Pflanzen umwickelt in einem Leinentuch bestattet. Tänzerinnen stampften die Erde über ihr fest. Christoph fürchtete um ihr Leben, dachte, er müsse eingreifen. Nach zwei Stunden holte man sie heraus. Sie erwacht und sagt leise, sie habe den Tod gesehen und wolle nicht sterben. Der Priester befindet, "nun könne er mit ihr arbeiten". Therapiefähig, sozusagen.

Beobachterrolle gewahrt

Heute gehe es ihr richtig gut, sagt Christoph, der sie mehrfach wiedertraf. Er wahrt die Beobachterrolle des Ethnologen und ist zugleich mit euphorischer Neugier bei der Sache. Freilich will er keine Konvertiten machen. "Ich respektiere das alles, aber ich bin nicht gläubig, auch kein Voodoo-Priester. Ich bin ein Interessierter." In etliche Kulte ist er initiiert, sonst dürfte er bei den Zeremonien nicht dabeisein und hätte auch nicht all die Exponate bekommen - ob hochgiftige Zaubertränke, Fetische, furchteinflößende Richterkostüme ("Jujuman") und Geisterjägermäntel wie den Kheghebecio von einem Geheimbund in Kamerun, wo er aktuell forscht. Den Voodoo könne man aber nicht hertransportieren, meint er. "Wir können nie Voodooanhänger sein, wir Europäer, unmöglich, es ist angeboren, die Fähigkeit zur Trance auch. Das ist so stark, wir können es nicht erklären."

Foto: Jens Großmann
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Henning Christoph hält eine Holi-Schlangen-Flasche.

Foto: Jens Großmann
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Kauri-Schneckenhäuser mit Zahlen. Ein Beniner Student benutzt sie, um seine Lottozahlen zu ermitteln.

Foto: Jens Großmann
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Ein Telefon-Bochio: Mit ihm lässt sich eine schnelle Verbindung zum Ganbada-Gott herstellen.

Ironie der Geschichte: Es war Hollywood, das sein Interesse an der Magie Afrikas weckte. Christoph wurde 1944 in Grimma geboren. 1950 wandert seine Familie in die USA aus, in die Nähe von Washington. Tarzan-Filme mit Johnny Weissmüller faszinieren ihn. Die Wurzel seiner Neugier auf afrikanische Kulte, Pflanzenkunde, Magie und Heilkunst sieht er hier. Er studiert Ethnologie, macht 1967 den Abschluss - und geht nach Deutschland, weil er auf keinen Fall nach Vietnam will. In Essen studiert er an der Folkwangschule Fotografie bei Otto Steinert. Er arbeitet für Hilfswerke, wird freier Journalist und fotografiert später für die Zeitschrift "geo", oft in Afrika. "Das war mein Traum. Während einer "geo"-Reportage in Benin bin ich dann zufällig in den Voodoo reingestolpert."

Schrullige Gestalten

Damals wurde das Land noch sozialistisch regiert. Beim Besuch auf einer Missionsstation hörte er nachts Trommeln, fuhr mit dem Boot in die Sümpfe, er nahm Kontakt auf. Seither hat er viel mit Voodoo erlebt. Wenn er davon erzählt, steht die Zeit still. Intensität, die sich in der angenehmen, wohligen Dichte des Museums spiegelt. 2000 hat er es eröffnet. Auch schrullige Gestalten auf dem Esoteriktrip zieht das an. Christoph lacht noch heute über eine Rentnergruppe, die er vor die Tür setzte. Sechs Frauen, ein Mann. Er ausgestreckt vor Mami Wata. Auf ihm lagen Bohnen, Steine auf seinem Kopf. Eine der Frauen träufelte Wasser über ihn - um die Kraft des Altars auf ihn übertragen.

"Man hat das Gefühl, viele Menschen sind total verloren und suchen nach etwas, was die Kirchen ihnen nicht mehr geben, sie aber brauchen. Dann suchen sie andere Sachen. So viele deutsche Schamanen wie hier im Museum habe ich nirgends kennengelernt." Einen Studenten aus Benin lässt er aber gewähren. Der kommt jeden Samstag und zieht Lottozahlen. Mami Wata, die Frauen bevorzugt und Männern mitunter übel mitspielt, hat er eine Schale mit nummerierten Kauri-Schnecken auf den Altar gestellt. Er bringt ihr Geschenke. Fanta, Süßigkeiten, Blumen. Parfum bei größeren Gewinnen, um sie nicht zu reizen. Hielte sie ihn für gierig, zwänge sie ihn in den Dienst, fürchtet er. Regelmäßig gewinne er kleinere Beträge. - sein Taschengeld, da das Stipendium nicht ausreicht.

Foto: Jens Großmann
Foto: Jens Großmann

Auch Kreuze haben ihren Platz im Vodoo.

Christoph hat es auch gleich probiert, sagt er lachend. Stets ohne Erfolg. Am Besten hätte er den gebrauchen können, als der Altar 1999 nach Essen kam. Das Projekt kostete viel Zeit und Geld: "Ich hab' mein Haus verkauft für diesen Altar, es aber nie bereut!" Zunächst warf der Priester in Benin Orakel, ob das überhaupt geht. Dann wurde der Baum bestimmt, aus dem die 41 Figuren zu schnitzen sind. Auch der Baum war zu befragen. Zur dreitägigen Zeremonie kamen 250 Gäste ("kräftige Afrikaner, was die an Bier, Schnaps, Schafen, Ziegen und Hühnern verputzten, war enorm"). Endlich hatte er die ersten drei Figuren - ihr Aussehen erfuhr der Priester im Traum und instruierte dann seine Schnitzer.

Verlässlich in Trance

Die Drei wurden als "Kundschafter" geschickt. Berichte über ihr Ergehen, weitere Träume und Orakel waren nötig, bis die andern folgten. Bevor der Altar aktiviert wurde, gab es an sechs deutschen Flüssen Zeremonien. "Der Priester müsse mit ein paar Leuten herkommen. Er gab mir dann die Liste: 22 Frauen, drei Trommler, drei Helfer und er." An Rhein, Donau und Inn fielen sie verlässlich in Trance. Christoph lacht. Nächstes Jahr muss der Priester wieder zum Ab- und Aufbau kommen. "Soul of Africa" verlässt die Rüttenscheider und zieht auf 500 Quadratmeter. Endlich Platz für die ganze Sammlung und größere Gruppen. Ein Zentrum soll es werden, mit Musik, Vorträgen, regelmäßigen Zeremonien und Wechselausstellungen. "Secrets" wird die erste heißen - über geheime Medizinmanngesellschaften in Kamerun.

Informationen

Mit Unterstützung der UNESCO veröffentlichte Henning Christoph 1995 den großformatigen Band "Voodoo. Geheime Macht in Afrika" (Taschen Verlag), der auch bei Vodusi Respekt genießt.

Museum

Text: Udo Feist / Fotos: Jens Großmann

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