Hinaus aus dem Hinterhof
Es ist einige Jahre her, dass die großen Kirchen im Zuge einer anti-muslimischen, meist emotional geführten medialen und politischen Debatte erklärt hatten, dass sie ehemalige Kirchengebäude nicht an Muslime verkaufen würden. Dabei wurden wir Muslime vorher gar nicht gefragt, ob wir denn überhaupt Interesse daran hätten. Ich habe damals die Ansicht vertreten, dass es für uns Muslime besser ist, ein freies Grundstück zu erwerben, um darauf eine Moschee zu errichten als ehemalige Kirchengebäude in Moscheen umzuwandeln, was Wasser auf die Mühlen derer gewesen wäre, die der "Islamisierung" und "kulturellen Überfremdung Europas" das Wort reden und daraus politisches Kapital schlagen.
Mittlerweile denke ich anders. Ich nehme eine schier krankhafte Grundeinstellung wahr, die jedem angeblichen Zugeständnis an uns Muslime ablehnend gegenüber steht, ohne zu sehen, unter welchen Bedingungen muslimische Gemeinden hierzulande ihr Dasein fristen müssen. Es ist unbestritten, dass es eine islamophobe Grundeinstellung in weiten Teilen der deutschen Gesellschaft gibt, und zwar quer durch alle Gesellschaftsschichten, wie die aktuellste Allensbach-Studie auch zeigt.
Aber warum werden so viele Kirchen eigentlich geschlossen und warum müssen Muslime meistens immer noch in unwürdigen so genannten Hinterhofsmoscheen verweilen?
Moscheen stiften Identität
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren viele Menschen ohne Halt. Sie hatten viele Familienangehörige und ihre Existenz verloren und mussten quasi von Null anfangen. Da bot ihnen der Glaube Halt und Zuversicht. Nicht wenigen Christen bot die Kirche auch eine Möglichkeit, sich mit der eigenen Schuld und Sühne auseinanderzusetzen. Jedoch verlor die kirchliche Anbindung der Menschen mit zunehmendem Wohlstand zunehmend an Bedeutung. Hinzu kommt, dass die religiöse Erziehung in Familie, Kirche und Schule abgenommen hat, so dass in den letzten Jahrzehnten die Kirchenaustritte deutlich zunahmen. Dies führte unweigerlich zu Sparzwängen, Zusammenlegung von Kirchengemeinden und zum Verkauf von kirchlichem Eigentum.
Bei den Muslimen ist es umgekehrt: Die kulturelle Entwurzelung aus dem Herkunftsland, mangelnde Integrationsbereitschaft und Diskriminierung durch Teile der Mehrheitsgesellschaft, Ängste vor islamophoben Übergriffen und die meist militärischen Interventionen des Westens in der islamischen Welt haben die Muslime hierzulande zu einer Sinn- und Identitätssuche bewogen. Dabei haben sich die Moscheen immer als die identitätsstiftenden Institutionen der Muslime herauskristallisiert, auch wenn nur die wenigsten der etwa 2 500 Moscheen in Deutschland als solche für den Außenstehenden erkennbar sind. Meist versteckt in Hinterhöfen, in ehemaligen Ateliers oder Garagen, fristen sie seit Jahrzehnten ein unscheinbares Dasein.
Muslime als Wählerpotenzial
Nun emanzipieren sich auch die muslimischen Gemeinden und fühlen sich durch Aussagen wie "der Islam ist ein Teil Deutschlands" aus berufenem Munde dazu ermutigt, nun die eigene Schale zu brechen, an die Öffentlichkeit zu gehen und für eine Sichtbarwerdung des Islams zu werben. Denn ist es nicht so, dass viele Politiker insbesondere nach dem 11. September 2001 von uns Muslimen eingefordert haben, endlich aus den Hinterhofmoscheen hinaus zu gehen, um so Transparenz zu schaffen? Ich fürchte, es sind dieselben Politiker, die an Stammtischen der oben gemeinten Klientel umgekehrt das Versprechen geben, der angeblichen "Islamisierung Europas" Einhalt zu gebieten. Denn wie sonst sollen wir den Unwillen, die zögerliche Haltung, die Hinhaltetaktik von Entscheidungsträgern sonst deuten, wenn Muslimen leerstehendes Staatseigentum, das sich städtebaulich und nachbarschaftlich gut in einen Stadtteil integrieren würde, mit fadenscheinigen Argumenten vorenthalten wird? Offensichtlich sind Muslime als Wählerpotenzial noch nicht entdeckt worden.
Die Entscheidungsträger sind gut beraten, den Muslimen den zustehenden Wunsch nach Sichtbarwerdung, und zwar auch mit ihren Moscheen und Institutionen, nicht abzuschlagen. Denn dies wäre integrationspolitisch das falscheste Signal, das man den Muslimen geben könnte. Denn in den meisten Moscheegemeinden sieht die Lage desolat aus. Während des Freitagsgebetes passen die Betenden nicht mehr in die zur Verfügung stehenden Räume. Auch im Winter müssen manche ihre Jacken auf der Straße auslegen und darauf beten. Die räumlichen Verhältnisse in den Moscheen sind für Bildungsangebote für Frauen, Jugendliche und Kinder völlig unzureichend. Wenn sich hier Wut gegenüber Entscheidungsträgern in Politik und Behörden ansammelt, ist es nicht verwunderlich. Dann wundert man sich hier über Radikalisierungstendenzen unter muslimischen Jugendlichen.
Symbolischer Aspekt
Andererseits haben die Kirchen einst den Entschluss gefasst, die Kirchengebäude nicht an Muslime zu verkaufen. Da nun aber viele Kirchengebäude denkmalgeschützt sind und nicht abgerissen werden dürfen, sich aber außer den Muslimen niemand sonst für diese Gebäude interessiert und die Kirchen das Geld dringend benötigen, sind durchaus Stimmen unter den Christen zu vernehmen, dass man diese Entscheidung noch einmal überdenken sollte, was ich befürworte. Denn dann könnten sich auch Muslime die nervenaufreibende Prozedur einer Baugenehmigung oder Nutzungsänderung ersparen. Beiden Seiten wäre damit gedient. Im Übrigen wäre auch Kontinuität gewährleistet: denn vorher wurde dort Gott angebetet und künftig wird dort Gott angebetet werden.
Keinesfalls will ich das emotionale Moment geringschätzen, das viele gläubige Christen überkommt, wenn nun die Kirche in ihrem Stadtteil, in der sie getauft, konfirmiert, getraut wurden und wohl auch jeden Sonntag gebetet haben, nun entwidmet und in eine Moschee umgewandelt werden soll. Denn es würde mir ja auch nicht anders ergehen, wenn meine Lieblingsmoschee irgendwann auf Grund von Sachzwängen geschlossen und dann in eine Kirche umgewandelt werden würde. Es hat sicherlich einen wichtigen symbolischen Aspekt, aber auch nicht mehr. Dennoch sind Muslime, die ein ehemaliges Kirchengebäude erworben haben und in eine Moschee umwandeln wollen, gut beraten, nicht triumphalistisch aufzutreten und auf die Gefühle ihrer christlichen Geschwister Rücksicht zu nehmen.
Mustafa Yoldas