Siebenmal? Einmal reicht völlig

Eine evangelische Trauerrednerin über ihre Erfahrungen und über Trauerfeiern in der DDR
Der Schriftsteller und Trauerredner Helmut Richter ("Über sieben Brücken musst du gehen") und seine Frau 2009 während der Beisetzung der Urne des verstorbenen Schauspielers Fred Delmare auf dem Südfriedhof in Leipzig. Foto: picture-alliance/ ZB Jan Woitas
Der Schriftsteller und Trauerredner Helmut Richter („Über sieben Brücken musst du gehen“) und seine Frau 2009 während der Beisetzung der Urne des verstorbenen Schauspielers Fred Delmare auf dem Südfriedhof in Leipzig. Foto: picture-alliance/ ZB Jan Woitas
Beate Bahnert, einst Redakteurin von "Die Zeichen der Zeit", bekennende Protestantin, arbeitet heute als Trauerrednerin in einem Umfeld, das für die Kirche zum Teil nicht mehr erreichbar ist. Sie berichtet von ihren Erfahrungen und liefert einen Rückblick auf das staatlich geregelte Trauerwesen in der DDR.

Vor mehr als zehn Jahren erzählte ich einem Bekannten von meiner Absicht, Trauerrednerin zu werden. Dieser, ein aphoristischer und schlagfertiger Geist, entgegnete sofort: "Ja, tun Sie das unbedingt! Ich bin Ihr erster Klient!" Ich empfahl ihm, sich doch noch etwas Zeit zu lassen. Er berichtete mir theatralisch von dem seit Jahren in der Region eingeführten und mit vielen Lobesworten bedachten Trauerredner. Wenn er "Wanderers Nachtlied" zitiere, zuckten die Trauergäste regelmäßig zusammen und verschwanden in der Bank vor dem ausgestreckten Zeigefinger bei den drohenden Worten: "... warte nur, balde / ruhest du auch!"

Trauerredner sind eine bunte Zunft. Keine andere gleicht wie sie einem Sammelsurium aus allen Berufssparten. Sie verbindet originelle und simple, seriöse und unkonventionelle, klassische und avantgardistische Redner. Dasselbe gilt natürlich auch für Pfarrer, mit dem Unterschied: Einen passenden freien Redner kann man sich auf dem Markt aussuchen, einen Pfarrer im normalen Christenleben meistens nicht.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Trauerfeier e.V. (BATF) verzeichnet knapp fünfhundert hauptberufliche Trauerredner. Das sei etwas mehr als die Hälfte der in der Bundesrepublik in dieser Profession Tätigen, schätzt deren Vorsitzender Rudolf Knoche. Er gründete den Berufsverband 1996. Der Beruf erlebte seit den Siebzigerjahren Zulauf mit der wachsenden Zahl der Kirchenaustritte in der BRD. Das Berufsbild des Trauerredners im heutigen Verständnis bildete sich seit den Achtzigerjahren in der Bundesrepublik heraus. Eine Besonderheit dieses Berufes ist, dass man sozusagen "in ihn hinein altert" und nicht, wie in anderen Bereichen, mit vierzig zum alten Eisen gehört. Aber der Tod verschont auch den Grabredner nicht, so dass die alte Generation abgelöst wird. Die BATF bietet aktuell eine zweijährige berufsbegleitende Ausbildung an, die dem Niveau eines Bachelor-Studiums vergleichbar ist. Sie richtet sich an Menschen aus sozial- und geisteswissenschaftlichen oder pflegerischen Berufen. Auch der Bundesverband Deutscher Bestatter veranstaltet Kurse.

Hohe Erwartung

Vom Redner wird, ob mit oder ohne Zertifikat, viel Kompetenz erwartet: in Bestattung, Medizin, Psychologie, Gesetzlichkeiten; Lebenserfahrung und Gespür für "Fettnäpfchen"; kommunikativen und rhetorischen Fähigkeiten, künstlerischem Einfühlungsvermögen und Kreativität, dazu Organisationsgeschick und Flexibilität. Die Lebensgeschichten der Menschen, die sich zu einer solchen Arbeit entschließen, sind so bunt wie die derjenigen, deren Abschied sie begleiten. Besonders häufig sind es Theologen beider Konfessionen und Akademiker, zahlreich sind auch Lehrer, Schauspieler und Künstler.

Heute verstehen sich Trauerredner häufig auch als Trauerbegleiter. Beides sind keine geschützten Berufe. Seit etwa zehn Jahren lässt sich ein Boom der Trauerbegleitung beobachten. Er zeigt sich in einer Flut von Literatur zum Thema Trauer und von Beratungsanbietern im Internet. Mit dem Trend zur "ganzheitlichen" Betreuung erobern auch immer mehr Frauen das Terrain der Trauerredner.

Trauerredner traten mit den freigeistigen Bewegungen des 19. Jahrhunderts auf den Plan, waren Begleiter der atheistischen Feuerbestattungsbewegung und werden als "freie Redner" heute noch mit der Freidenkerbewegung assoziiert. Die freigeistigen Organisationen waren jedoch von den Nationalsozialisten verboten worden, wovon sich diese nur schwer erholten.

In der Bundesrepublik waren Trauerredner Begleiter des Trends zur Säkularisierung und damit auch zur weltlichen Bestattung. In der DDR wurde dieser Trend aus ideologischen Gründen gefördert.

Nach dem in der DDR propagierten Menschenbild hatte das Individuum einen Anspruch auf Glück. Sterbebegleitung und Abschiednahme waren nicht vorgesehen, Bestattung ein notwendiges Übel. Ehrliche Bemühungen um eine Reform der Begräbniskultur etwa seit Ende der Fünfzigerjahre blieben weitgehend erfolglos. Für den Trauerredner bedeutete es, dass seine "gesellschaftliche Anerkennung und Dankbarkeit an der Friedhofsmauer endeten" (Siegfried Jablonski, Trauerredner und Philosoph).

Bis zu 80 Reden pro Monat

Kein leichter Job also - und kein Wunder, dass in der DDR permanent ein Mangel an Rednern herrschte. Für eingeführte Trauerredner waren siebzig bis achtzig Reden im Monat nicht ungewöhnlich, es wird von bis zu fünfzehn Feiern am Tag gesprochen. Deshalb wurde versucht, Redner über staatliche Regularien zu gewinnen. Es sollten "Kader mit hohem marxistischem Wissen und positiver gesellschaftlicher Einstellung bereitgestellt" werden, die dazu moralische Vorbilder und gute Sprecher waren. Doch niemand befasste sich gern freiwillig mit dem Tod. Getreu zentralistischer Strukturen hätte man gern "das Rednerwesen vereinheitlicht". Denn eine Trauerrede fand in einem öffentlichen Raum statt und musste deshalb kontrolliert werden. Aus diesem Grund war es - trotz Rednermangel - auch Privatpersonen nicht erlaubt, am Sarg zu sprechen.

An der "Inaktivität der Institutionen" scheiterte in den Siebzigerjahren ein Pilotprojekt im Bezirk Frankfurt/Oder, das Häuser für Feiern und Bräuche schaffen sollte, also für Eheschließung, Namensgebung und Bestattung(!). Erst als das Ministerium für Kultur die Entwicklung einer sozialistischen Fest- und Feierkultur unter seine Obhut nahm, konnten Anleitungsbroschüren zur Gestaltung weltlicher Trauerfeiern veröffentlicht werden. Darin ging es auch um die Trauerrede als Bestandteil der weltlichen Bestattung.

Zitate wurden empfohlen, für engagierte Staatsbürger zum Beispiel Karl Marx: "Die Natur des Menschen ist so eingerichtet, dass er seine Vervollkommnung nur erreichen kann, wenn er für die Vollendung, für das Wohl seiner Mitmenschen wirkt." Vor allem aber die Klassiker wie Hesse, Rilke, Schiller oder Shakespeare. Es gibt eben nichts Besseres außerhalb der Bibel. Auch das "Rednerkollektiv für Trauerfeiern des Bezirkes Halle" lag 1974 nicht falsch mit seiner Empfehlung für den Aufbau einer Trauerrede: Rezitation, Einleitung, Würdigung der Verdienste, Trost an die Angehörigen, Abschied und Dank (das Ganze musikalisch umrahmt). Das sind Erfahrungswerte, die bereits aus der Antike überliefert sind. Etwaige Anleihen bei der Homiletik wurden niemals zugegeben (siehe Jane Redlin: Säkulare Totenrituale, Totenehrung, Staatsbegräbnis und private Bestattung in der DDR, Waxmann Verlag, Münster, New York, München, Berlin 2009).

Alle haben einen Glauben

Ganz allgemein aber galt und gilt: Wird die Form der protestantischen Bestattung weitgehend übernommen, das Ganze jedoch nicht nur um seinen christlichen Inhalt, sondern auch um Gemeindegesang und Gebet gebracht, muss ein adäquates Pendant her. "Was willst du denn den Leuten erzählen?", wurde ich von Mitchristinnen gefragt, als sie von meiner Absicht erfuhren, Trauerrednerin zu werden. Das Bild des atheistischen Trauerredners in der DDR wirkte immer noch stark nach. Ich bin im protestantischen Sachsen aufgewachsen und bekenne mich zur evangelischen Kirche. Für mich war das nie ein Problem - mir geht es darum, diejenigen, die den Weg zur Kirche nicht finden, nicht allein zu lassen. Die Trostlosigkeit so mancher anonymer Beisetzung hat ihre Ursache in der Praxis: Die Angehörigen sehen die Urne in einem Loch auf einer Wiese verschwinden, nach letzten Worten ("N.N. möge hier in Frieden ruhen") und Blumenstreuen wird ein Eimer Erde draufgekippt, Gestecke und Kränze werden drapiert, man gibt sich die Hand und geht auseinander. Der Trauerredner fühlt sich fast so schlecht wie die Hinterbliebenen, aber das ist nicht seine Schuld.

Alle meine Klienten, wirklich alle, haben einen Glauben, über den ich versuche, ihnen Trost zu vermitteln.

Damals in der DDR übernahm bei weltlichen Trauerfeiern vor allem die Musik den emotionalen und tröstenden Part. Denn hier kamen nicht etwa Kampflieder und Militärmärsche zum Einsatz, sondern die Klassiker Bach und Schütz, Beethoven und Mozart, Brahms und Chopin, ungeachtet ihres oft christlichen Hintergrunds. Auch Volkslieder wurden gespielt. Und der Gefangenenchor aus Nabucco hatte keinerlei politische Codierung. Er gehörte wie das "Ave verum", das "Ave Maria" und "Im schönsten Wiesengrunde" selbstverständlich zum Repertoire.

Nach der Wiedervereinigung hielt die freiere Bestattungskultur aus dem Westen Einzug und mit ihr auch ein im Osten bisher ungewohntes Bild vom Trauerredner. Bisherige DDR-Redner versuchten sich anzupassen. Vielen gelang es, zumal sie ihre Klientel hatten. Gleichzeitig entdeckten andere Berufsgruppen neue Fähigkeiten. Vor allem sprangen redegewandte ehemalige Funktionäre, Lehrer, Offiziere und Gewerkschafter auf den Zug auf und geben der bunten Zunft der Trauerredner im Osten Deutschlands eine sehr spezielle Farbe. 1990 gründeten Trauerredner in den neuen Bundesländern den Fachverband für weltliche Bestattungs- und Trauerkultur, der dort etwa hundert aktive Mitglieder hat. Nicht jeder ist zum Trauerredner talentiert oder gar prädestiniert. Bei manchem geht es nach dem Motto: " Es genügt nicht, nichts zu sagen zu haben, man muss es auch in schlechtem Deutsch vorbringen können" (frei nach Karl Kraus). Da ist das verschwommene, in die Ferne weisende, mit Pathos vorgebrachte "Sehnen in uns", die beliebten Euphemismen, in denen "der Verblichene" in stilbrüchige Sprachbilder gehüllt wird. Angereichert wird mit Füllwörtern: Aus der geliebten Heimat wird die "so geliebte Heimat", aus dem treuen Ehemann wird der "treusorgende Ehemann". Da greifen die "nimmermüden Hände" in kabarettistischer Verbindung zum "schlagenden Herzen".

Humor ist nötig

Menschen, die beruflich mit dem Tod zu tun haben, brauchen viel Humor. Und überhaupt, lässt sich nicht der Tod nur so ertragen? Gewiss, eine Trauerrede wird nicht, wie eine Büttenrede, zum Schenkelklatschen animieren. Aber, mit Albert Schweitzer: "Das Schönste, was ein Mensch hinterlassen kann, ist ein Lächeln, wenn man sich seiner erinnert."

Im Jahr 2012 wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in der Bundesrepublik 35 Prozent der Bestattungen nicht kirchlich durchgeführt, das starke Ost-West-Gefälle ist hier nicht dargestellt. Die meisten Trauerredner gibt es im Osten und in den Ballungsgebieten der deutschen Großstädte. Laut BATF spricht heute bei der Hälfte der Bestattungen ein weltlicher Redner, möglicherweise sogar dann, wenn der Verstorbene einer Kirche angehörte - zum Leidwesen der Gemeindepfarrer. Ein Materialheft der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen spricht bereits 2004 von mindestens zehn Prozent, die den Pfarrer "abwählen". Die Gründe dafür sind vielfältig. Manche Angehörige wissen nichts von der Kirchenzugehörigkeit des Verstorbenen, andere lehnen "die Kirche" ab. Eine Rolle spielt auch die Erreichbarkeit des Seelsorgers im akuten Sterbefall.

Mein eigenes Konzept hat sich bestätigt. Dabei sehe ich mich, wie ich von vornherein ahnte, oft auch als Vermittler zwischen Angehörigen, Kirchgemeinden, Friedhofsverwaltung etc. Womit ich allerdings nicht rechnen konnte, war die Dynamik der Trauerbegleitung, die sich bei mir in der Arbeit für den Bundesverband Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister in Deutschland e.V. (VEID) sowie in der Begleitung von Trauernden einzeln und in Selbsthilfegruppen niederschlägt - und das ist reines Ehrenamt. Doch ohne meine Verwurzelung im Protestantismus könnte ich diese Profession nicht ausüben.

2008, ich hatte mich längst als Trauerrednerin eingearbeitet, starb ein Bekannter. Die Trauerrede bei der Urnenfeier hielt nicht ich, ich saß hinten im Trauerpublikum. Es war im Ganzen eine durchdachte, gute Rede. Der Kollege setzte Helmut Richters Gedicht "Über sieben Brücken musst du gehn" als Gleichnis für das Leben des Verstorbenen ein. Bei der Gedichtzeile "Siebenmal wirst du die Asche sein" sah ich meinen Bekannten, den Verstorbenen, neben mir in der Bank sitzen. Er klopfte mir leicht auf den Oberschenkel und sagte deutlich vernehmbar: "Siebenmal? Einmal reicht völlig!"

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Beate Bahnert

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