Landvergabe nach Gutdünken
Ralf Demmerle darf als vorbildlicher Bauer gelten. Gegen den Trend der Abwanderung vom Land und aus dem Osten ist der gebürtige Pfälzer gemeinsam mit seiner Frau in das thüringische Dorf Hausen gezogen. Dort hat er einen idyllischen Bauernhof mit jetzt sechzig Hektar Land übernommen. Er baut fünf unterschiedliche Fruchtarten an, alles Bio, also ohne chemisch-synthetische Pestizide und Dünger. Seine Tiere - zum Beispiel Rinder, Schweine und Wasserbüffel - haben das ganze Jahr über Auslauf. Im angeschlossenen Tagungshaus übernachten regelmäßig Schulklassen, denen er zeigt, wie ein Bauernhof funktioniert.
Demmerle ist auch Mitglied der evangelischen Kirche. Und das im überwiegend konfessionslosen Thüringen. Jedes Jahr organisiert er die wohl am besten besuchte kirchliche Veranstaltung im Ort, eine Stallweihnacht mit Krippenspiel, das in der Dorfkirche beginnt und unter Büffeln und Lämmern auf seinem Hof endet. Jetzt kandidiert er auch noch für den Kirchenvorstand.
Doch wenn Demmerle von der Kirche Land pachten will, damit er mehr als wie bisher zwölf Schweine halten kann, lässt sie ihn regelmäßig leer ausgehen - zugunsten von riesigen Agrargenossenschaften mit fünftausend Hektar Fläche, die chemielastigen Ackerbau und Massentierhaltung betreiben, deren Schweine nie an die frische Luft kommen, sondern ihr kurzes Leben in engen Buchten mit Spaltenböden fristen. "Wir sind sehr enttäuscht", sagt Demmerle.
Die evangelische Kirche ist einer der größten Landeigentümerinnen in Deutschland, beackert ihre Flächen aber in der Regel nicht selbst, sondern verpachtet sie an Bauern. Wie viele Hektar genau im Besitz der evangelischen Kirche sind, weiß wegen ihrer dezentralen Organisation niemand genau. Doch es dürften an die 330 000 Hektar sein, wie die Agrarwissenschaftler Hans Kögl und Lars Fiedler etwa auf Grundlage amtlicher Statistiken errechnet haben, mehr, als die katholische Kirche ihr Eigen nennt. Das entspricht zwar kaum einem Prozent der gesamten Agrar- und Waldfläche in Deutschland, ist aber durchaus genug, um mit diesem Land ein politisches Zeichen zu setzen, welche Art von Landwirtschaft die Kirche unterstützt - und welche nicht.
Bewegung gefordert
"Wir wollen, weil wir biologisch arbeiten, einen kleinen Vorteil haben, wenn die Kirche Land verpachtet", sagt Bauer Demmerle. Seine Begründung: "Der Biolandbau bewahrt die Schöpfung, der konventionelle nicht." Tatsächlich belegen Studien zum Beispiel, dass Öko-Lebensmittel grundsätzlich weniger klimaschädliche Gase verursachen als konventionelle. Zudem können auf Bioäckern mehr Vögel, Insekten und Bodenorganismen überleben. Das Grundwasser wird gar nicht oder weniger mit Pestiziden und Düngern belastet.
Doch trotz dieser Vorteile zieht Demmerle schon seit Jahren den Kürzeren bei Landvergaben durch die Kirche. "Obwohl ich immer 40 bis 200 Prozent mehr als den ortsüblichen Pachtpreis geboten habe", erzählt er. Vielleicht hat die benachbarte Agrargenossenschaft Bösleben noch mehr geboten. Sie könnte es wohl auch, hat sie doch 2011/2012 elf Millionen Euro eingenommen. Sie besitzt eine eigene Werkstatt für Pestizidspritzen, eine Fleischerei und sogar eine Tankstelle. Die Genossenschaft kann es sich auch leisten, das neue Dach der Dorfkirche zu bezahlen.
Demmerle ist mit seinen Erfahrungen nicht allein. Mehrere Biobauern haben bei der Recherche zu diesem Artikel von ähnlichen Erfahrungen berichtet, aber die wenigsten wollen zitiert werden. Denn sie hoffen, doch noch etwas Land von der Kirche zu bekommen, und wollen die Beziehungen nicht durch öffentliche Kritik belasten. Auf das Thema sind mittlerweile auch Medien aufmerksam geworden, was vor allem Michael Grolm zu verdanken ist. Grolm - ein großer stämmiger Mann, der gern einen Imkerhut mit breiter Krempe und ein Medaillon mit Bienen darauf trägt - hat früher gentechnisch veränderte Pflanzen umgetreten, wofür er ein paar Wochen im Gefängnis saß. So hat er maßgeblich dazu beigetragen, den Widerstand gegen Gentechnik in der Landwirtschaft populärer zu machen, mittlerweile werden so gut wie keine Gentech-Pflanzen mehr in Deutschland angebaut. Grolm kämpft jetzt unter anderem dafür, dass kleinbäuerliche Biobetriebe leichter Land von der Kirche bekommen. Er ist Landesvorsitzender der ökologisch orientierten Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, der ABL, für Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt. Grolm weiß, wie man ein Thema in der Öffentlichkeit etabliert. Am 21. November 2012 hat er - frei nach Martin Luther - "Zehn Thesen zum Wert des Bodens" an eine Tür der Michaeliskirche in Erfurt geschlagen. Da er das unmittelbar vor dem Gottesdienst zur damaligen Herbsttagung der Landessynode der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland tat, schaffte er es in so gut wie jeden Medienbericht über die Versammlung.
Vor der eigenen Tür
Grolm und die ABL sehen einen Widerspruch zwischen den Verlautbarungen der Kirche zur Agrarpolitik und dem Handeln der Institution. Schließlich predige sie, die Schöpfung zu bewahren und setze sich für soziale Gerechtigkeit ein, setze das aber nicht in Taten um, wenn sie ihr Land verpachtet.
Tatsächlich hat ein "Diskussionsbeitrag" der EKD zur Lage der Landwirtschaft schon 2003 eine Reform der EU-Agrarpolitik gefordert, die hehre Ziele erreichen soll. Zum Beispiel die "schonende Nutzung von Boden und Wasser zur langfristigen Bewahrung ihrer lebenswichtigen Funktionen". Wichtig sei auch ein "verantwortlicher Umgang mit den Tieren durch eine ihrer Art und ihren Bedürfnissen entsprechende Ernährung, Pflege und Unterbringung" und die "Aufrechterhaltung einer an die ländlichen Räume angepassten Siedlungsstruktur sowie Schaffung und Erhaltung eines vielfältig gegliederten Landschaftsbildes". Alles Postulate, die sich der ABL zufolge mit einer bäuerlichen Ökolandwirtschaft leichter verwirklichen lassen als mit der konventionellen Agrarindustrie. In der Entwicklungspolitik setzt sich die Kirche klar für Kleinbauern ein. Aber warum tut sie das nicht auch, wenn sie selbst Boden verpachtet - vor der eigenen Tür?
Eine zeitzeichen-Umfrage unter den 20 Gliedkirchen der EKD zeigt, dass die überwiegende Mehrheit der Gemeinden nach freiem Ermessen die Pächter auswählt. Es gibt kaum einheitliche Regeln oder Empfehlungen dafür und keine Transparenz nach außen. "Meistens bekommt das Land der Betrieb, der es schon immer hatte", berichtet der westfälische Bauer Wilhelm Eckei aus der Praxis. Oft bleibt der Boden der Kirche so über Generationen bei denselben Familien. Wer einen neuen Hof gründen will, hat geringe Chancen. Immerhin: Die Pachtpreise gelten oft als eher niedrig.
Einen anderen Weg hat als erste die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland eingeschlagen. Sie arbeitet mit einem Punktesystem, nach dem die Kreiskirchenämter die Pachtbewerber bewerten. Das Land solle derjenige bekommen, der die meisten von maximal 16 Punkten erhält, heißt es in einem Dokument der Kirche, das für jedermann im Internet einsehbar ist. Wer seinen Hauptwohn- oder -betriebssitz in der Gemarkung der Kirchengemeinde hat, bekommt drei Punkte, liegt er nur im gleichen Kirchenkreis, einen. Drei Punkte gibt es zum Beispiel auch, wenn mehr als die Hälfte des Personals Mitglied einer christlichen Kirche ist oder der Bewerber "deutlich" mehr als 30 Prozent über der ortsüblichen Mindestpacht bietet. Keine Punkte dagegen sind für Ökolandbau oder eine kleine und mittlere Betriebsgröße vorgesehen. Deshalb sind Bauer Demmerle und Aktivist Michael Grolm mit dem System unzufrieden. "Wir wollen mindestens einen Punkt für den Ökolandbau", sagt Demmerle. Es müsse aufhören, dass bäuerliche Betriebe und Neueinsteiger in die Landwirtschaft "systematisch benachteiligt" würden, sagt Grolm.
Demmerle hat nach seinen jahrelangen erfolglosen Versuchen, Kirchenland zu pachten, den Verdacht, dass die Flächen trotz des Punktesystems willkürlich vergeben würden. "Es gibt keine Transparenz. Wir erfahren nicht, wie viele Punkte wir und der Gewinner bekommen haben", kritisiert er. "Da ist das Misstrauen natürlich groß, dass große Betriebe auf Gutdünken Land bekommen."
Beim Landeskirchenamt in Erfurt ist Referatsleiter Diethardt Brandt zuständig für die Grundstücksverwaltung. Warum die Kirche nicht die Punktzahlen der Bewerber mitteilt? "Das können wir nicht machen, weil wir den Datenschutz wahren müssen." Bei tausenden Verfahren in den vergangenen Jahren habe es nur sehr wenige Beschwerden gegeben. Biobetriebe zu bevorzugen, sei bisher in der Landessynode nicht mehrheitsfähig gewesen. Und überhaupt: Die ABL sei ja ein sehr kleiner Verein mit wenigen Mitgliedern.
"Bevorzugung wäre unfair"
Öko zu bevorzugen, sei nicht fair gegenüber den konventionellen Landwirten, argumentiert Judith Königsdörfer, die dem Landwirtschaftsausschuss der Synode vorsitzt. Indirekt würde man ihnen dann nämlich vorwerfen: "Ihr macht euren Job nicht richtig", sagte sie im DeutschlandRadio. Womit Demmerle offenbar kein Problem hat. "Man muss sehen, wie die wirtschaften", antwortet er. "Die Kirche will doch, dass unsere Umwelt gesund erhalten wird." Und die konventionelle Landwirtschaft richte eben mehr Schäden an, zum Beispiel immer mehr Pestizide im Grundwasser oder Bodenerosion.
Auch auf dem Gebiet der meisten anderen Landeskirchen bekommen Biobauern nicht automatisch einen Bonus bei der Pachtvergabe. Eine Ausnahme könnte demnächst die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau sein. Sie führt gerade ein Punktesystem ein, das Punkte für eine "ordnungsgemäße Bewirtschaftung über das vertragliche bzw. gesetzliche Maß" hinaus vorsieht. Der Pressestelle der Landeskirche zufolge könnten die Gemeinden diesen Bonus auch für Biolandbau vergeben.
Clemens Dirscherl, Beauftragter der EKD für agrarsoziale Fragen, verweist darauf, dass für eine schöpfungsbewahrende Landwirtschaft das Leitbild der Nachhaltigkeit mit seinen ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Komponenten Eckpfeiler kirchlichen Handelns sei. "So unverbindlich dies zunächst klingen mag, so konkret kann dies auf Kirchenland dann vor Ort umgesetzt werden", erklärt er auf Anfrage von zeitzeichen. Das Leitbild der Nachhaltigkeit könne erfüllt werden "vom Öko-Bauern, gleich ob Bioland oder Demeter, aber auch vom konventionellen Landwirt, der seiner Schöpfungsverantwortung zum Beispiel durch die Vielfalt der Fruchtfolge auf dem Acker oder Flächenbindung bei der Tierhaltung gerecht wird." Dabei gehe es weniger um formale Zertifizierungsnachweise als um glaubwürdiges Handeln in der dörflichen Lebenswelt vor Ort.
Ein eindeutiges Bekenntnis zur Öko-Landwirtschaft bleibt also aus. Hingegen haben sich die meisten Gliedkirchen der EKD klar gegen gentechnisch veränderte Pflanzen auf ihrem Pachtland ausgesprochen. Sie verbieten die Technologie sogar ausdrücklich in ihren Pacht-Musterverträgen, die sie ihren Gemeinden empfehlen. Das gilt auch für das Ausbringen von Klärschlämmen, mit denen manche Bauern ihre Felder düngen. Mit diesem Verbot wollen die Kirchen verhindern, dass Schadstoffe aus den Klärschlämmen sich im Boden anreichern und ihn so langfristig schädigen.
Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Oldenburg hat laut ihrer Pressestelle seit April 2013 auch eine Auflage in ihre Pachtvertragsmuster aufgenommen, die eine mehrgliedrige, ortsübliche Fruchtfolge vorsieht. Die hannoversche Landeskirche schreibt nach eigenen Angaben vor: "Der Anteil von Mais in der Fruchtfolge darf 66 Prozent nicht überschreiten." Der Hintergrund ist klar: Gerade in Niedersachsen haben viele Landwirte in den vergangenen Jahren immer mehr Mais für Biogasanlagen angebaut - oft in Monokulturen. Das bedeutet: Sie säen mehrere Jahre hintereinander Mais auf denselben Äckern aus. Das geht auf Kosten der Artenvielfalt und langfristig bauen sich Schädlingspopulationen auf, die dann wieder mehr Pestizide erfordern.
Vielfältige Fruchtfolgen, weder Gentechnik noch Klärschlämme - für Ralf Demmerle, den Biobauern in Thüringen, sind das Selbstverständlichkeiten. Trotzdem ist er enttäuscht. Denn seine Kirche lässt ihn bei der Landvergabe immer wieder leer ausgehen.
Jost Maurin
Jost Maurin
Jost Maurin ist Redakteur für Wirtschaft und Umwelt bei der taz in Berlin.